Buch- und CD-Rezensionen

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von Dr. Beate Hiltner-Hennenberg


Hans Adamo, Zuckermanns Tochter.  Stärker als die Liebe war der Tod. Ein dokumentarischer Bericht unter Mitarbeit von Gaby Rehnelt, Verlag Klartext, Essen 2003. Warum so viel Zeit verstreichen musste, bis diese biografisch-dokumentarischen Lebensbeschreibungen jüdischer Mitmenschen, wie sie vor einem halben Jahr etwa Martin Doerry mit der Brief-Biografie über seine Großmutter Lilly Jahn gelang oder wie das vorliegende Buch darstellt, ans Licht der Öffentlichkeit kommen, ist einerseits befremdlich, andererseits nicht nur nachvollziehbar, sondern unbedingt zu begrüßen, sieht doch jetzt endlich, mehr als fünfzig Jahre nach Kriegsende, die Enkelgeneration der Täter und Opfer der bitteren Wahrheit ungeschminkt ins Auge.

Hans Adamo hat in Zuckermanns Tochter ein unerhört trauriges, unerhört dramatisches Schicksal von Liesl Will, die aufgrund ihrer Wurzeln als jüdisch galt, nachgezeichnet. Den Anstoß für diese Biografie gab eine Ausstellung mit Werken ihres Mannes, des Kunstmalers Heinrich Will, durch den Oberhessischen Geschichtsverein und der Stadt Gießen 1993, aus Anlass des 50. Jahrestages seiner Ermordung. Das Bild von Liesl Will – ihre Großmutter nannte sie damals stets Zuckemanns Tochter, daher der Buchtitel – wurde zu diesem Anlass nur unzureichend nachgezeichnet, führte sie doch ein eigenständiges und autarkes Leben. Das nahm der Autor zum Anlass, sich mit der unerschrockenen Kämpferin gegen die Menschenverachtung, die an der Universität über zehn Semester studiert hatte und danach lange Zeit als Kindergärtnerin beim Magistrat der Stadt Wien arbeitete, die musisch und literarisch interessiert und begabt war, näher zu beschäftigen.

Großvater Moritz Zuckermann zog um 1880 von Berlin nach Wien, weil er sich hier Aufschwung für seine Firma erhoffte und, vor allem, weil in Wien seit 1867 die liberale Gesetzgebung den Juden offizielle Gleichberechtigung mit ihren Mitmenschen versprochen hatte. Zu dieser Zeit waren damals mehr als die Hälfte der Wiener Anwälte Juden, und durch Juden errang die Wiener medizinische Schule Weltruf. Mit der Zuckermannschen Maschinenfabrik brachte es die Familie zu Wohlstand und gesellschaftlichem Ansehen.

Elisabeth Klein, Adamo schreibt durchweg „Liesl“, wurde 1901 hineingeboren in eine Zeit, die Stefan Zweig „die Welt der Sicherheit“ nannte, sie schwärmte für ihre Lehrerin Röserl und, etwas später, für den Volksopernsänger Richard Kubla. Mit siebzehn äußerte sie denn auch den Wunsch, Sängerin oder Schauspielerin zu werden. 1920 begann sie, an der Wiener Universität deutsche Sprache und Literatur zu studieren; sie belegte daneben poetische, mittelhochdeutsche wie auch philosophische und musikgeschichtliche Vorlesungen, etwa bei Walther Brecht, Hermann Jellinek, Dietrich Kralik und Wilhelm Jerusalem und Heinrich Gomperz, Wilhelm Robert Fischer und Guido Adler. Ihre Freunde der Jugendzeit waren Studenten, aber auch Verwandte von namhaften Wiener Künstlern, beispielsweise die Tochter von Felix Salten. Das Studium war für Liesl Klein ein wesentlicher Beitrag auf dem Weg zur Emanzipation als Frau, aber auch als Jüdin. Ihre Abkehr vom Judentum erfolgte nicht erst 1930 als Voraussetzung für die Eheschließung, sondern hier, ganz bewusst. Und hier, als Universitätsstudentin, entschied sie sich auch, nicht die väterliche Firma zu übernehmen, sondern einen eigenen Weg zu beschreiten, ihre Stärken auszuloten und Kindergärtnerin zu werden.

Kurz nach 1925 muss es gewesen sein, dass sie zum ersten Mal Heinrich Will begegnet war, der um diese Zeit zum Abschluss seines Studiums von Düsseldorf nach Wien gekommen war. Nach der Hochzeit, für die sie beide gekämpft hatten, zog das Ehepaar nach Gießen, in Wills Heimatstadt. Liesl wurde dort schnell als sympathische, gebildete und kultivierte Frau akzeptiert. Bis 1934 wurden die Heimat-Bilder und Bürger-Portraits Heinrichs gern gekauft, nach dieser Zeit kam allerdings ein schärferer Wind auf, eingeleitet mit der Rede des Gauoberleiters Ramm von der NS-Kulturgemeinde Frankfurt. Nach dem NSDAP-Parteitag in Nürnberg 1935 mit den judenfeindlichen Boykott-Schikanen und dem Antisemitismus als Staatsdoktrin wurde Heinrich aus dem Reichsverband der Bildenden Künste ausgeschlossen. Die Kontakte verringerten sich, man warf ihm vor, eine Jüdin geheiratet zu haben.

Kurze Zeit galt die Ehe noch als „privilegierte Mischehe“, dabei stets dem Druck zur Scheidung durch die Nazibehörden ausgesetzt. Im Februar 1942 drangen um 22 Uhr Mitarbeiter der Gestapo und der Kriminalpolizei in die Wohnung des befreundeten Dr. Kaufmanns ein, wo sich Wills seit ungefähr einem Jahr regelmäßig mit fünf, sechs anderen getroffen hatten, um sich durch ausländische Radiosendungen politisch zu informieren. Ein weiblicher Spitzel hatte sie verraten. Diese Gruppe, die letzten kritischen und ungebeugten Bürgerinnen und Bürger Gießens, schon länger observiert, wurde ins Gestapo-Gefängnis Darmstadt eingeliefert, wo man sie der staatsfeindlichen Propaganda in hochverräterischem Sinne anklagte und einen Bericht darüber, der von der Gestapo manipuliert war, dem Volksgerichtshof, dem höchsten Gericht des Hitlerstaates, übergab.

Nach der Verhaftung konnte Liesl ihrem Mann zwei eng und klein beschriebene Papiere zustecken lassen, auf dem sie von ihrer Hoffnung auf Zukunft schreibt, von ihrer Liebe zu ihm. Diese Papiere galten als wichtiger und belastender Bestandteil der Akten für den Volksgerichtshof.

Als der tagte, starb Liesls Vater, Samuel Klein. Bella Klein, die Mutter, Konzertpianistin und Oberingenieurs- und Fabrikantengattin, wurde im Mai 1942 nach Maly Trostinec deportiert. Sie wurde vergast, wann, ist nicht belegt, jedoch sind von rund 9000 deportierten österreichischen Juden 17 Überlebende bekannt. Liesl wurde im August 1942 in das Frauenzuchthaus Ziegenhain eingeliefert, der Tagebuchbericht einer Mitinhaftierten spricht nicht nur von extremem Raum- und Platzmangel, sondern auch von zwölfstündigen Arbeitsbelastungen, von Fesselungen, schlechten Haftbedingungen und von Bestrafungen wegen „Frechheit“. Aggressionen und Disziplinarverstöße nahmen zu. Trotz Müdigkeit und Schwäche scheint sie auf den beiden Fotografien für die Sträflingskartei, die überliefert wurden, nicht verbittert, eher blickt sie voraus, will nicht an das sie umgebende Elend denken. Am 7. Dezember 1942 wurde sie in das Konzentrationslager nach Auschwitz „entlassen“. 1,3 Millionen Menschen befanden sich dort. Es wird vermutet, dass sie gleich nach Ankunft in die Gaskammer getrieben worden ist.

Am 19. Februar 1943 wurde Heinrich Will in Preungesheim hingerichtet.

Nach der Dokumentation von Leben und dem gewaltsamen Tod von Elisabeth wie auch Heinrich Will fügt Hans Adamo ein Kapitel über die Täter und Gehilfen an, wobei er darstellt, dass viele Akten nicht mehr oder nur noch fragmentarisch existieren und Dokumente nur beschränkt zugänglich sind. Mit Walter Hartmann, Willi Harzmann, Ernst Drullmann, Karl Haas, Paul Nieder-Westermann und Johann Baptist Reichart konnte er zumindest einige nationalsozialistische Senatspräsidenten, Richter und Staatsanwälte namhaft machen und sie mit konkreten Todesverurteilungen in Verbindung bringen.

Was bleibt, nach der aufwühlenden Lektüre, ist zum einen die Tatsache, dass es nicht die Zahlen sind, sondern die Einzelschicksale, die das bestialische Geschehen erfassbar machen. Dass jede einzelne Biografie die heutige Generation aufrütteln muss, weil diese konkrete Person hinter dem beschriebenen Schicksal um Achtung, Gerechtigkeit, Menschlichkeit kämpfte. Und dass gerade ihr Kampf nicht für umsonst gewesen sein darf. In Bezug auf Liesl Klein bedeutet dies, Achtung zu haben vor ihrem Widerstand im inneren und äußeren. Dass sie ihr Leben auch in den schlimmsten Zeiten von Zuchthaus, Gefängnis und Konzentrationslager nie aus der Hand gab, dass sie nicht in Angst oder Passivität erstarrte, sondern immer mitmenschlich und verantwortungsbewusst bis zum Ende handelte. Auch dieser Widerstand gegen den Nationalsozialismus, so Adamo, wurde somit zu etwas besonderem.

Manfred Fuhrmann, Aus der Bahn geworfen. Die Stationen des jüdischen Theatermannes Dr. Hans Kaufmann. Mit einem Geleitwort von Martin Walser, Aisthesis Verlag Bielefeld 2003. (=Sonderveröffentlichungen des Naturwissenschaftlichen und Historischen Vereins für das Land Lippe, Bd. 70). Es ist ein Buch vorzustellen, das über ein jüdisches Schicksal berichtet und dabei eng mit der deutschen Geschichte, speziell der deutschen Theatergeschichte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, verbunden ist. Im Zentrum steht Hans Kaufmann, Dr. Hans Kaufmann, der 1876 in Charlottenburg/ Berlin geboren wurde und als bürgerlich-jüdisches Kind in Berlin aufwuchs. Wie im weiteren zu sehen ist, wirkte er als Intendant und Regisseur, machte sich mit Ur- und Erstaufführungen von Dramen und Opern einen Namen. Er wirkte an mittleren Bühnen, aber in einer gewaltigen künstlerischen Aufbruchszeit. Ohne Mühe könnte man Kaufmann als einen patriotischen Diener seines Vaterlandes ansehen. Bis 1942 die Deportation nach Theresienstadt erfolgt, um diese Zeit war Kaufmann Mitte sechzig.

Der vorliegende biografische Versuch von Manfred Fuhrmann, dessen Eltern Kaufmann und seiner Frau in schweren Zeiten aktiv helfen konnten, basiert auf drei Quellen. Neben Archivfunden konnte Fuhrmann auf zahlreiche eigene Erinnerungen zurückgreifen. Außerdem lieferte Kaufmanns zweite Frau, die Schauspielerin Theamaria Lenz, Materialien zur Nachzeichnung dieses Lebensbildes nach.

Man hat Martin Walser für ein eindringliches Vorwort zur Studie gewinnen können, der es bedauert, dass sich Geschichtsschreibung oftmals ausschließlich mit den Großen eines Faches, mit den Leuchtsternen sozusagen, beschäftigt. Natürlich, so notwendig es ist, über die Wegbereiter deutscher Schauspielkunst zu diesen Zeiten, wie etwa die Stars Fritz Kortner oder Gustaf Gründgens, zu berichten, so wichtig wäre es auch, über die für den reibungslosen Ablauf des Kunstgeschehens, über die Vordenker, die für die Spielpläne verantwortlich waren, über die Regisseure, die erst den Stars zu ihrem Ruhm verhalfen, Bescheid zu wissen.

Hans Kaufmann. Sein Vater Otto Kaufmann war Kursmakler und Stadtverordneter, seine Mutter stammte aus Antwerpen. Als Schüler besuchte Hans Kaufmann über zehn Jahre das Französische Gymnasium in Berlin, in welchem pro Jahrgang etwa 500 Schüler im humanistischen Sinne ausgebildet wurden, auch alte Sprachen wie hebräisch lernten. Zu seinem Jahrgang gehörten beispielsweise der spätere Chemiker Adolf Windhaus, später Nobelpreisträger, oder Tilo von Wilmowsky, der 1933, obwohl nicht jüdisch, alle seine Ämter verlor: Der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Kruppwerke kam als Freund von Goerdeler ins Konzentrationslager Ravensbrück und danach ins Konzentrationslager Sachsenhausen.

Zurück zu Kaufmann. Er studierte, kein Einzelfall, 1896 bis 1904 neben dem Studium der Rechte auch Bühnenpraxis bei Antoine und Brahm. Nun ist der biografischen Nachzeichnung zu entnehmen, dass sich Kaufmann nach der Jura-Promotion „zu einem versierten Theatermann, zum Regisseur“ entwickelte. Hier hätte


der Leser gerne mehr erfahren, wie ihm dies gelang, bei wem er hospitierte, wer – neben Otto Brahm und André Antoine in Paris - seine Lehrmeister waren.

Jedenfalls muss er eine Menge gelernt haben, denn schon 1904 wurde er von Raphael Löwenfeld als Dramaturg ans renommierte Schillertheater in Berlin berufen. Daneben war er erfolgreich als Redakteur der Zeitschrift Die Volksunterhaltung tätig; er konnte also seine Talente aufs schönste nutzbar machen. Ihm ist es zu verdanken, dass an dieser Bühne viel von den Autoren Hauptmann, Sudermann und Rittner erstaufgeführt wurde, daneben französische und russische Werke. Die Presse berichtete von gut durchdachten, sauber gearbeiteten Aufführungen.

1912 wechselte er als Oberregisseur an das Deutsche Opernhaus in Charlottenburg; zuvor hatte 1911 sein Vater, der Stadtverordnetenvorsteher Otto Kaufmann, ein Opernunternehmen auf dem Charlottenburger Terrain ins Leben gerufen. Er gründete eine Aktiengesellschaft, legte ein Abonnement auf und sorgte dafür, dass das Haus an der Bismarckstraße gebaut wurde. Die Operndirektor-Entscheidung zwischen Hans Kaufmann und Georg Hartmann fiel knapp aus; letztgenannter erhielt den Zuschlag.

Als Oberregisseur konnte Kaufmann immerhin die Spielpläne erarbeiten. Nach Fidelio, mit dem das Haus eröffnet wurde, punktete er mit vier Inszenierungen, darunter Der Wildschütz und Die Entführung aus dem Serail. Allerdings war dies die Zeit des Ersten Weltkrieges, und ab der Spielzeit 1916/ 1917 wurde versucht, mit Werken von Korngold oder Richard Genée der schweren Realität zumindest zeitweilig zu entfliehen. Nanon, heute kaum mehr bekannt, war der Renner des ganzen Jahres. Es ist leider aus dieser Zeit nicht allzu viel überliefert, immerhin sprachen die Kritiken in Hinblick auf die Regiearbeit von „einer durchaus wichtigen Tendenz einer Abkehr von der Engheit“ und vom „Sich-Befreunden mit [...] alter und neuer Dramenproduktionen“.

Bis 1920 war Kaufmann in Berlin tätig. Mit seinem Fortgang, so Detlef Meyer zu Heringsdorf, verlor die Charlottenburger Oper ihren auf Publikumserfolge abonnierten Regisseur. Am Landestheater Braunschweig war die Intendantenstelle frei geworden, und Hans Kaufmann, als Oberregisseur des Deutschen Opernhaus gleichzeitig auch Schriftführer der Vereinigung künstlerischer Bühnenvorstände, hatte davon zeitig Kenntnis bekommen. Er wollte sich vorwärts entwickeln und konnte für seine Bewerbungen auf höchst schmeichelhafte Referenzen von höchsten Stellen zurückgreifen. Oberbürgermeister Scholz beschreibt Kaufmann als „eine feingebildete, vornehme Persönlichkeit aus gutem Hause, auch juristisch vorgebildet, von guten Umgangsformen und bewährtem Takt“. Seit 1914 war Kaufmann, eines der Einstellungserfordernisse für den Intendantenposten, mit Gertrud Seligmann verheiratet. 1915 wurde ihr Sohn Herbert geboren.

Doch – wir befinden uns im Jahre 1920 – befindet sich in den überlieferten Berufungsakten auch ein singuläres abratendes Schreiben, das gegen Ende erwähnt, „ganz nebenbei bemerkt ist Dr. K. jüdischer Religion“. Tatsächlich begann hier schon unterschwellig die Diskriminierung.

Kaufmann wurde dennoch am 20. 1. 1920 zum Intendanten berufen. Er plante Uraufführungen, allerdings dominierte ansonsten das 19. Jahrhundert. Wobei sich Kaufmann als liberal Gesinnter aus bürgerlichem Hause zeigte, er gab der Bühne Raum sowohl für Sozialkritik als auch für aktuelle Themen. Die Grenze, bis wohin er zu gehen gedachte, war etwa Ernst Tollers Versdrama Masse Mensch von 1924. In seiner Amtszeit von 1920-1925 brachte er über 30 anspruchsvolle Dramen aufs Parkett.

Um 1924 und 1925 hatte sich Kaufmann erneut in der Theaterlandschaft umgesehen, aus einer Bewerbung für das Amt des Operndirektors in Leipzig wurde nichts, auch Kiel oder Freiburg waren nicht interessiert. 1925 erhielt Kaufmann einen Ruf nach Bern. Er hatte sich nicht auf die Stelle ans dortige Stadttheater beworben; jedoch könnte er sich dort besser stellen. So nahm er an. Er ging gemeinsam mit der Schauspielerin Theamaria Lenz, die er 1927 in Basel heiratete. Das Stadttheater Bern vereinigte Schauspiel und Oper sowie die Kammerspiele unter einem Dach, das war neu für ihn. Mit Hauptmann, Ibsen und Strindberg brachte er die Moderne in die Schweiz.

Nun passiert etwas Sonderbares: Offiziell gab Kaufmann 1930 seine dortige Stellung auf, ohne schon etwas anderes als Sicherheit zu haben. Warum? Gab es bereits eine offene antijüdische Propaganda? Aber warum löste er seinen Vertrag von sich aus? Zwischen den Zeilen ist von einem Abtreibungsstück, das er bringen sollte, aber absolut nicht wollte, die Rede. Beide Seiten, Theater und der scheidende Intendant, vereinbarten Stillschweigen. Mit diesem Zeitpunkt, er wird es nicht geahnt haben, war seine aktive künstlerische Theaterkarriere zu Ende. Am 1. August 1932 berief man ihn zwar noch einmal zum Verwaltungsdirektor am deutschen Schauspielhaus Hamburg, doch mit der Machtübernahme durch Hitler am 30. Januar 1933 begann die rabiate nationalsozialistische Rassenpolitik mit dem Boykott jüdischer Geschäfte. Die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935, welche deutschen Juden die staatsbürgerlichen Rechte entzogen, nötigten ihn, seine Ehe aufzulösen.

Aus dieser Zeit datiert die Freundschaft zwischen der Schauspielerin Lenz, Kaufmanns zweiter ehemaligen Frau, mit der Mutter des Biografen. Denn Fuhrmanns Vater besaß ein Sanatorium, und dort war ein gewisses Zusammenleben der ehemaligen Eheleute Kaufmann zeitweilig möglich. Fuhrmann kann auf sehr persönliche Dokumente zurückgreifen, vieles wurde allerdings aus Angst vor Repressalien 1943 verbrannt.

Nach der gesellschaftlichen Ausgrenzung erfolgte für Kaufmann 1941 Schritt für Schritt die physische Vernichtung. 1942 wurde er Hiddesen bei Detmold denunziert. Immerhin vermutet der Biograf, dass der Grund, warum Kaufmann so lange noch verdeckt im Untergrund leben konnte, darin lag, dass ein SS-Hauptsturmführer Hahn seine schützende Hand über ihn hielt. Dennoch: Kaufmann kam mit dem Transport nach Theresienstadt. Dort haben von 140000 Juden nur 19000 überlebt, 14 Prozent. Es war möglich, und vielleicht machte es das Schicksal etwas erträglicher, dass man dort mit Häftlingen Theaterstücke aufführen konnte. Überliefert ist das Werk Der Schlachtenlenker.

Nach drei Jahren kehrte er, vorzeitig gealtert, nach Hiddesen zurück. Noch einmal sah es so aus, als könne er an seine Theaterleidenschaft anknüpfen. Hans Kaufmann sollte 1945 Intendant des Lippeschen Landestheaters in Detmold werden. Formell wurde er auch dazu ernannt, doch schon vor Ablauf eines Jahres entzog man ihm wieder die Leitung. Die Presse fand seine Inszenierungen steif und konventionell, man unterschob, er sei überfordert. De facto funkte ein Theaterring dazwischen, der ebenfalls ein Ensemble konstituierte. Später wurde der Ring zerschlagen, aber Kaufmann war draußen.

Seinen letzten Kampf focht Kaufmann mit den Verwaltungsbehörden aus, um einer angemessenen Entschädigung willen. Der Kampf geriet zu einer Farce; anscheinend war der Personalakt verschwunden. Fuhrmann äußert die Vermutung, dass in den fünfziger Jahren einzelne Persönlichkeiten der nationalsozialistischen Ideologie nicht fremd gegenüberstanden. 1957 verstarb Hans Kaufmann im Detmolder Krankenhaus.

Es ist beschämend, dass der Künstler und Theaterregisseur Kaufmann, der zahlreiche Publikumsgenerationen mit seinen Inszenierungen bildete, die letzten Lebensjahre so völlig anerkennungslos leben musste. Im Gegenteil, dass er mit ansehen musste, dass ihm nach der Rückkehr aus dem Konzentrationslager politisch belastete Persönlichkeiten vorgezogen wurden. Dass er keine Entschädigung bekam. Sein Sohn Herbert wanderte spätestens 1936 nach Israel aus. Von ihm konnte der Biograf keine Spur ausfindig machen. Welch trauriges Schicksal! Wir sollten es uns vergegenwärtigen und für mehr Gerechtigkeit sorgen.

Peter Andreas; Michael Fischer, Gräber unsterblicher Komponisten, Verlag Bärenreiter, Kassel 2003. Gerade im wettertrüben Herbst, um Allerseeelen und Allerheiligen, gedenken wir der Verstorbenen, solcher, die uns näher standen oder auch ferner. Das greifen die Medien, egal ob Verlage oder Theater, gerne auf. Ein Wiener Theater holte jüngst die wehmütigen, aber herzrührenden Schinken von Georg Kreisler bis Ralph Benatzky wieder hervor in die Öffentlichkeit. Sicher, um an sie und deren Vermächtnis musikalisch zu erinnern, andererseits aber auch, um sich am eigenen Dasein zu erfreuen.

Die Österreicher haben sich ja oberflächlich gesehen – mit dem Sterben eher kommod eingerichtet, sie besingen in den schönsten Tönen Situationen wie „Wenn i amoi sterb“ wie auch „Erst wanns aus wird sein“. Tiefer drunten siehts anders aus: „Die Musik ist vielleicht“, so vermutete der Dichter Heinrich Heine neidlos, „das letzte Wort der Kunst, wie der Tod das letzte Wort des Lebens“. Tatsächlich scheinen Trauer und Tod eine magische Anziehung auf Musiker ausgeübt haben. Weltberühmte Komponisten wie Joseph Haydn oder Ludwig van Beethoven haben im Angesicht ihres Todes ihre wichtigsten Werke verfasst, Arbeiten letzter Gültigkeit. Andere, etwa Mozart, der sich als Freimaurer früh mit dem Tod auseinander setzte, schaffte es, Wärme und Trost in seine Trauermusiken hineinzuschreiben. Die zahlreichen Abbildungen und Originalzitate werten dieses Buch auf.

Gidon Kremer, Zwischen Welten, Verlag Piper, München; Zürich 2003.

Gidon Kremer, in Riga geboren, ist nicht erst seit seiner spektakulären spartenübergreifenden Konzerte und Recitals einer der großen, aufregenden und wegweisenden Geiger unserer Zeit. Mit seinem Eintreten für die zeitgenössische Musik, mit seinem Kammermusik-Festival in Lockenhaus, natürlich auch mit seiner Übersiedlung in den Westen hat er weltweit für Aufsehen gesorgt.

Wie kam es dazu, wer half ihm, sich so und nicht anders zu entwickeln, seine Persönlichkeit zu formen? In seinem dritten Buch, nach Kindheitssplitter und Obertöne, beschreibt Kremer kritisch, aber auch mit großer innerer Beteiligung die Jahre seiner strengen und harten Ausbildung in Moskau, seine Erfahrungen in der Sowjetunion, seine Erlebnisse bei David Oistrach, auch er ein Künstler mit jüdischen Wurzeln. Er berichtet, anekdotenreich, über seine Erlebnisse im Studentenwohnheim, über Gespräche, in denen er reifen und wachsen konnte, und, nicht zuletzt, über die Anfänge seiner Weltkarriere.

Das Buch ist packend und authentisch geschrieben. Es geht um das unbedingte Ringen um seine künstlerischen Ideale, um das ehrliche Suchen nach musikalischer Wahrheit genau so wie um die ersten Liebeserfahrungen. Weil Gidon Kremer, schon damals und nicht weniger heute, sich noch immer als ein Suchender begreift, als ein Arbeitstier, trotz seiner immensen Erfolge. Als einer, der sich nicht – wie viele andere Künstler seiner Preisklasse – aufbläst. Für jene, die die alte Sowjetunion noch kennen lernten, sind seine Beschreibungen des totalitären Regimes eine Rückerinnerung an all jene wahnsinnigen Paradoxien, die es umso erstaunlicher erscheinen lassen, dass sich trotz all des zeitfressenden Lern-Ballastes wie Geschichte der KPdSU oder


Marxismus-Leninismus solch außergewöhnlichen Künstler, wie sie die Sowjetische Schule hervorbrachte, entwickeln konnten. Aus dem lesenswerten Buch spricht ein sympathischer und umfassend gebildeter Künstler.

Jens Malte Fischer, Gustav Mahler. Der fremde Vertraute, Verlag Zsolnay, Wien 2003.

Gustav Mahlers Musik vereint in gewaltiger großräumiger Synthese divergierende Klangwelten. Das machte die Rezeption der Werke Mahlers, den man den Zeitgenossen der Zukunft (Blaukopf) nannte, anfangs nicht eben leicht. Vor allem die starken Gegensätze und die Vielfarbigkeit seines Orchesterapparates hat Mahler, ein aus der böhmischen Provinz stammender, sich mit außerordentlichem Ehrgeiz hocharbeitender Künstler, für seine innere Ideen benutzt. Und deren hatte er immens viele. Mahler war also zweifellos einer der größten Komponisten, der musikalisch über die Kontraste zwischen Leben und Kunst, zwischen Liebe und Tod gesprochen hat. Vor allem seine emotionale Tiefe und seine Erinnerungsarbeit lässt Mahler zu ähnlich innerlich reichen Komponisten wie Franz Schubert zugehörig erscheinen. Und dies muss erst einmal jemand nachzeichnen.

Nachdem sich in den sechziger- und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts Musikschriftsteller wie Theodor W. Adorno, Kurz Blaukopf, Hermann Danuser oder auch Wolfgang Schreiber mit dem Komponisten beschäftigten, jedoch vor allem sein Werk im Auge hatten, legt Jens Malte Fischer, Theaterwissenschaftler in München, nun die erste ausführliche deutschsprachige Biografie über diese facettenreiche, sicher nicht leicht zu verstehende Persönlichkeit vor.

Der meisterhafte Rechercheur zeichnet - in entsprechenden Spannungsbögen - Mahlers dramatisches Künstlerleben, seine schwierigen familiären Verstrickungen wie seine immensen Erfolge, die ihn Kapellmeisterstellen in Wien und New York bescherten, nach.

Eine umfassende Chronik, ein Literaturverzeichnis, verschiedenste Anmerkungen, Werkverzeichnis und Werkregister, ein Personenregister und eine Empfehlungsliste runden dieses wunderbare Standardwerk ab.

Ildiko Raimondi: Schubert Orchesterlieder (Junge Philharmonie)

Unter dem Titel Schubert unerhört präsentiert die Sopranistin Ildikó Raimondi, Solistin an der Wiener Staatsoper, gemeinsam mit der Jungen Philharmonie Wien unter Leitung von Michael Lessky Orchesterlieder, die thematisch mit Franz Schubert in Verbindung stehen.

Die Absicht der Künstler war es, der Eintönigkeit einschlägiger Schubert-Lied-Veranstaltungen entgegen zu wirken und gleichzeitig Bekanntes und Neues auf künstlerisch hohem Niveau einem interessierten und avancierten Publikum anzubieten.

Die Musikstücke wurden sorgfältig und akzentuiert in zweifacher Hinsicht ausgewählt: Eine Programmschiene bilden wegweisende Lieder Schuberts, die der nachfolgenden Komponistengenerationen so wertvoll waren, dass verschiedene namhafte Komponisten den originalen Klavierpart orchestrierten. Zu hören sind beispielsweise An Silvia (in einer erstaunlich lieblichen Instrumentierung von Michael Lessky), Ständchen (die Instrumentierung von Arnold Schönberg trifft den ländlich-volkstümlichen Ton), An die Laute (Instrumentierung Felix Mottl) und Ellens Gesang II (die Vorliebe von Johannes Brahms’ für Bläser birgt einen eigenen Reiz).

Die zweite Schiene der CD beinhaltet Orchesterlieder, und zwar von Komponisten, die sich der repräsentativen Wirkung des Schubertschen Liedgestus produktiv annäherten. Die dessen neues Wort-Ton-Verhältnis für sich übernahmen und in neue Richtungen weiterentwickelten. Zu diesem Bereich gehören Gustav Mahlers Liebeslied Liebst du um Schönheit (ein kleiner Druckfehler auf der Rückseite des Covers tut nichts), Alexander von Zemlinkys Vertonung der Eichendorffschen Gedichts Waldgespräch oder Hugo Wolfs furioses Er ist’s nach dem Gedicht von Eduard Mörike.

Es ist der gesamten Produktion die Freude am Programm, an der Musik anzuhören!

Ludwig Richter, Damals in Dresden. Neudruck der Ausgabe von 1944, Verlag E. A. Seemann, Leipzig 2003.

Das Richter-Gemälde Brautzug im Frühling hing bei meiner Großmutter, einer stolzen Dresdnerin, zwischen der Barock-Kredenz und ihrem Blüthner-Flügel; und dieses Arrangement entsprach dem völlig üblichen Gusto damaliger Zeit. Als Kind hatte ich keinen blassen Schimmer, dass dieses Bild bei der Weltausstellung 1855 in Paris die Medaille II. Klase zugesprochen bekam. Noch immer freue ich mich, wenn ich es irgendwo als Reproduktion wieder sehe, weil irgendwie alles stimmig und natürlich dargestellt ist, die Menschen so bescheiden wandeln und dennoch alles eine wunderbare Fröhlichkeit atmet.

Dass die Gemälde, Radierungen, Holzschnitte und Illustrationen des Dresdners Ludwig Richter derzeit wieder im Kommen sind, hat wohl weniger mit dem Nostalgie-Kult zu tun als damit, dass man an ihm eines der typischen Künstlerschicksale Mitte des 19. Jahrhunderts ausmachen kann. Unter armen, Richter schreibt selbst „verkommenen“ Verhältnissen aufgewachsen, lernte der das „Wahre, Naturgemäße“ Suchende bei seinem Vater, der sich zum Professor für Landschaftskunst an der Königlich Sächsischen Akademie hocharbeitete, erste handwerkliche Kenntnisse. Typischerweise kommen Reisen hinzu, mit einem Fürsten nach Frankreich, durch ein Stipendium dann nach Italien. Nach und nach wird Richter bekannter. Bisweilen wird er unterstützt durch einen Mentor oder Gönner. Nach seiner Position als Zeichenlehrer an der Meißner Porzellanmanufaktur in Meißen schafft er es wieder ins kunstsinnigere Dresden, hat ein Lehramt, später wird er Nachfolger seines Vaters an der Kunstakademie.

In Damals in Dresden berichtet er von Fußwanderungen mit seinen Schülern, oft ins Böhmische, um Studien zu sammeln, um sie ein kunstgeübtes Auge zu lehren. Wie sehr er dies besaß, zeigen seine Gemälde Die Überfahrt am Schreckenstein, Abendandacht oder Sankt Annenkirche zu Graupen. Darüber hinaus zeugen sie davon, dass Richter Schicksalsschläge wie den Tod einer jüngeren Tochter kannte. Und doch spricht durch all seine Kunst nicht nur die Freude über die Natur, sondern auch die – selbst erfahrene - Gewissheit christlicher Glaubenserfahrung.

Anat Feinberg, George Tabori, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2003.

George Tabori, geboren 1914 in Budapest als György Tábori), gilt als einer der bekanntesten Regisseure und meistgespielten Autoren des deutschen Theaters der Jetztzeit.

Ich hatte das große Glück, ihn in den Neunzigern persönlich anlässlich einer Probenphase zu Schönbergs Oper Moses und Aron an der Oper Leipzig kennenzulernen, wo er die sonst höchsten Regisseur-Drillich gewohnte Solisten-, Chor und Statisterie-Crew durch seine anti-aktionistische, provokant-ruhige und lauschend-hinterfragende Art erheblich verstörte.

Tabori – bereits jetzt eine Legende, die unter uns lebt, ein „ewiger Optimist“, als der er sich bezeichnet, in Personalunion Stückeschreiber, Regisseur, Theaterdirektor und Schauspieler, einer der besten des deutschen Theaters. Tabori – ist aber auch ein Zeuge des vergangenen zwanzigsten Jahrhunderts, einer, der den Holocaust überlebte, und der die Erinnerung daran stets in seinen Arbeiten wach zu halten versucht.

Eigentlich logisch, dass ein solch namhafter Künstler sein umfangreiches künstlerisches und persönliches Archiv, derzeit 30 laufende Meter mit Manuskripten seiner Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Hörspiele und Filme, der Stiftung Archiv der Berliner Akademie der Künste übergab. Er ist seit Jahren selbst Akademie-Mitglied. Das war vor drei Jahren, und erst im Mai dieses Jahres wurde diese Übertragung der Öffentlichkeit bekannt gegeben – typisch Tabori, ist man versucht zu sagen: Immer für Überraschungen und Erstaunliches zu haben.

Dank dieser Archivunterlagen konnte Anat Feinberg, in Tel Aviv geborene und derzeit in Heidelberg wirkende Professorin für hebräische und jüdische Literatur an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg, die erste Tabori-Biografie in deutscher Sprache vorlegen. Zuvor hatte sie eine wissenschaftliche Studie über den Künstler – allerdings nur in englischer Sprache – veröffentlicht.

Nun ist es ja nicht so, dass über die Verdienste des Ausnahmekünstlers George Tabori bislang Stillschweigen geherrscht hätte, die Interviews mit und über ihn in in- und ausländischen Theaterzeitschriften sind Legion. Er hat sogar eine eigene Homepage, die allerdings das letzte Mal am 26. 2. 2001 aktualisiert wurde. Auch er selbst hat zu jeder Zeit – als begnadeter Erzähler, der er ist – das Erlebte mit fantasievollen Anekdoten ausgeschmückt, so dass er bei „vielen Dingen nicht mehr weiß, ob sie wirklich waren“. Seine Autobiografie, an der er seit einigen Jahren schreibt und deren erster Teil („Autodafé“) inzwischen vorliegt, ist sowieso ein work in progress.

Umso wichtiger war daher die Suche nach originalen Lebenszeugnissen, nach Dokumenten, Briefen und Notizen, die es ermöglichen, Taboris Lebensgeschichte zu rekonstruieren und dabei durchaus auch noch Unerkanntes – immerhin war er in 17 Ländern kürzer oder länger zu Hause - oder Vergessenes zu entdecken. Mit System und in chronologischer Folge gliedert sich die Tabori-Biografie in die solche Kapitel wie Jugend in Budapest, Kriegs- und Wanderjahre, (Un-)glück in Hollywood, New York: Zwischen Familie und Theater, Eine schicksalhafte Premiere in Berlin, Theaterexperimente im Labor, Provokationen in München, Von Beckett bis Mozart, Zwischen „Kreis“ und Burgtheater sowie Abschied von Wien.

In ihnen kommen seine Lebensstationen als Kellner, Journalist, Geheimdienstagent, Drehbuchschreiber in Hollywood, Romanautor, vor allem aber seine Theaterarbeiten zur Sprache.

Das Buch ist vom Lay out her sehr gut lesbar und interessant und durchdacht aufbereitet. Zum Fließtext werden auf fast jeder Seite farbige Schienen gesetzt mit politischen Erklärungen, mit Briefzitaten, mit Abbildungen, die das gerade Behandelte näher erläutern. Der Leser kann diese quasi lexikalischen Erläuterungen, wann immer er sie braucht, benutzen oder auch weglassen.


1969 begann in Berlin mit „Kannibalen“ der Triumph des Theatermachers Tabori. Mittlerweile wird er mit Ehrungen überhäuft und gilt als der bekannteste jüdische Theatermacher, da er auch die schwierigsten Themen mit Witz und Humor behandelt. Christoph Müller schreibt über ihn: Sein „eigenwilliges Mixtum compositum aus grimmiger Gesellschaftskritik und Nonsense-Absurdität, New Yorker Seelenanalyse und zirzensischem Klamauk, Politik und Poesie, Purzelbäumen und Menschheitsklagen, Kabarettscherzen und Moralmonologen ist eine verwirrend sinnenfrohe und gedankenschwere Farce“.

Und was meint Tabori selbst über seinen Lebensraum, das Theater? „Ein gutes Publikum ist ein mutiges. Es ist willig, in den Spiegel hineinzuschauen, den wir ihm hochhalten, ein Spiegel, der [...] weder schmeichelt noch die Welttäuschungen bekräftigt [...]. Seit den Griechen ist das Theater unser größter Heiler, unser größter Lehrer und, was aufs gleiche herauskommt, unser größter Clown“.

Hoffen wir auf noch viele weitere Spiegel-Vorhaltungen.

Andreas Eckhardt; Richard Jakoby; Eckart Rohlfs, Musik-Almanach 2003/ 2004.Daten und Fakten zum Musikleben in Deutschland, für den Deutschen Musikrat herausgegeben, Redaktion Margot Wallscheid, Gustav Bosse Musikverlag; Bärenreiter Verlag, Kassel 2002.

Noch in den letzten Wochen des Jahres 2002 erschien die wie immer lang erwartete neue Ausgabe des Musik-Almanachs. Wieder wurde der Umfang erweitert, wieder gibt es spannende Daten und Fakten zu lesen, etwa aus den Bereichen Musikunterricht, Ausbildung, Fortbildung; Forschung und Dokumentation; Orchester und Musiktheater, Konzertdirektion und Künstlervermittlung und Hörfunk und Fernsehen. Aber auch zum Presse- und Publikationswesen, zur Musikwirtschaft, zur Kirchenmusik oder auch zu Fragen der kulturpolitischen Gremien wurden die wichtigsten Daten zusammen getragen.
Eine lohnende Investition!

Andreas Eckhardt; Richard Jakoby; Eckart Rohlfs, Musik-Almanach 2003/ 2004. Daten und Fakten zum Musikleben in Deutschland, für den Deutschen Musikrat herausgegeben, Redaktion Margot Wallscheid, Gustav Bosse Musikverlag; Bärenreiter Verlag, Kassel 2002.

Noch in den letzten Wochen des Jahres 2002 erschien die wie immer lang erwartete neue Ausgabe des Musik-Almanachs. Wieder wurde der Umfang erweitert, wieder gibt es spannende Daten und Fakten zu lesen, etwa aus den Bereichen Musikunterricht, Ausbildung, Fortbildung; Forschung und Dokumentation; Orchester und Musiktheater, Konzertdirektion und Künstlervermittlung und Hörfunk und Fernsehen. Aber auch zum Presse- und Publikationswesen, zur Musikwirtschaft, zur Kirchenmusik oder auch zu Fragen der kulturpolitischen Gremien wurden die wichtigsten Daten zusammen getragen.
Eine lohnende Investition!

Harenberg Kursbuch Bildung. Das erste interaktive Lexikon, Projektleitung Berthold Budde, Harenberg 2003.

Dieter Schwanitz und Marcel Reich-Ranicki haben es mit ihren Vorschlägen für die unabdingbare Bildungslektüre vorgemacht. Der Verlag Harenberg, Vorreiter in Sachen Kulturlexika, hat dieses Projekt gerne aufgegriffen, jedoch in interaktiver Art (ohne CD-ROM). 2000 Einträge sind verknüpft mit 5000 Fragen, dreimal so viel Antworten und 3000 Abbildungen. Das muss man gesehen haben!

Götz Friedrich, Mein Opernführer, Verlag Henschel, Berlin 2002.

Man kann nun wirklich nicht behaupten, dass es an Opernführern derzeit mangele. An individuellen schon. Da hatte der Musikkritiker des Wiener Kurier, Franz Endler, einen vorgelegt. und nun bringt Werner Otto den Opernführer heraus, den Götz Friedrich sich mittels jahrzehntelanger Regiearbeit erarbeitete. Zusammengestellt wurden die Texte von Max W. Busch und Harro Schweizer, das Vorwort schreibt Karan Armstrong und ein intensives Gespräch über Belcanto und Belvisto steht dem ganzen Unterfangen voran. Die Ansichten auf die jeweiligen Opern, die auch in die Moderne und in die Vergangenheit gestreut sind, lesen sich spannend, darüber hinaus lockern den Text zahlreiche farbige und schwarz-weiß-Abbildungen auf. Beate Hennenberg

Britta Orgovanyi-Hanstein, Geschichtsbaum Europa, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003.

Warum Wissen und Fakten immer zwischen zwei Buchdeckel pressen? Britta Orgovanyi-Hanstein versucht es auf bildhaftere Weise, indem sie aus den tradierten Geschichtsereignissen, die sowohl Morgenland als auch Abendland einschließen, einen Baum kreiert. Auf einen Blick erschließen sich so viel leichter Verbindungen, Parallelen, zeitlich ähnliche Strategien, die in Textform so anschaulich nicht gelingen würden. Ihr Motto „Zeit ist Geschichte – Geschichte ist Meinung“ passt, der Betrachter kann sich viel schneller eine eigene Meinung bilden. Beate Hennenberg

Sylvia Grohs-Martin, Ich sah die Toten, groß und klein. Eine Schauspielerin überlebt den Holocaust, Verlag Henschel, Berlin 2002.

Noch eine Überlebensgeschichte zur Zeit des Holocaust? Ja! Nicht nur, weil sie viele bisher beschriebenen Schicksale an Erinnerungsreichtum, an Lebhaftigkeit und ihrem riesigen Überlebenswillen in den Schatten stellt. Auch nicht, weil Steven Spielberg ihr eine „unzerstörbare Leidenschaft für das Leben“ bestätigt. Sondern deshalb, weil diese starken Menschen helfen können, dass so etwas wie das Dritte Reich mit seinen vielen Mitläufern, die Bescheid wussten, aber wegschauten, niemals wieder erstehen darf! Deshalb. Dabei ist das Buch spannend zu lesen, die Lebensgeschichte berührend, die kulturgeschichtlichen Erinnerungen sind phänomenal.

Rita Kuczynski, Im Westen was Neues? Ostdeutsche auf dem Weg in die Normalität, Verlag Parthas, Berlin 2003.

Nach Rita Kuczynskis Buch Die Rache der Ostdeutschen, für das sie zwanzig Berliner befragte, warum sie PDS wählten, hat sie nunmehr für ihre aktuelle Studie achtzehn Gesprächspartner befragt, die anders wählten. Ein weiteres zur Diskussion stehendes Thema war, wie sich Ostdeutsche aktiv in die anstehenden Reformen einbringen könnten, das vielfältig analysiert wurde. Neben aller Meinungsvielfalt lautet das Fazit: ostdeutsche haben sich besser selbstverwirklichen können.

Laurenz Lütteken (Hg.), Messe und Motette, Verlage Bärenreiter und Metzler, Kassel und Stuttgart 2002.

Christiana Nobach, Streichinstrumente, Verlage Bärenreiter und Metzler, Kassel und Stuttgart 2002.
Die Idee, mehrere Artikel zusammenhängender Bereiche aus dem gewaltigen neuaufgelegten MGG-Projekt noch einmal separat zusammenzufügen, ist sehr zu begrüßen. Nunmehr, da der Sachteil vollständig abgeschlossen ist, macht es Sinn, auch die Themen Messe und Motette sowie Streichinstrumente gesondert für den Fachleser oder den speziell Interessierten herauszugeben. Das kleinere Paperback-Format sowie die exakte Widergabe der hehren MGG-Artikel (sowie deren fallweise Erweiterung) dürften den oben genannten Publikationen zu Erfolg verhelfen.

Musikpraxis in der Schule, herausgegeben von Siegmund Helms und Reinhard Schneider, Band 7: Interkultureller Musikunterricht, herausgegeben Matthias Kruse, Gustav Bosse Verlag, Kassel 2003.

In Österreich steht die Reduktion der Musikstunden auf dem Plan, eine fatale Tatsache, bergen doch gerade die musisch-kreativen Fächer die Chance, über den eigenen Tellerrand zu schauen, eigene künstlerische Fähigkeiten zu entwickeln, sich mit dem Thema „Fremdheit“ auseinander zu setzen und sich anderen Sichtweisen zu öffnen.

Vor allem der Musikunterricht bietet sich an, etwas über verschiedene Kulturen, Musikformen und interkulturelles Musikverständnis zu erfahren. Der vorliegende Band liefert etwa praktische Überlegungen in Bezug auf den Musikunterricht mit Muslimen, Wissenswertes zu Klezmer-, zu arabischer und türkischer Musik, zu Blues, zu jüdischer, chinesischer und sudanesischer Musik. Eine CD mit Hörbeispielen liegt bei.

Luca Impelluso, Götter und Helden der Antike ( = Bildlexikon der Kunst, Bd. 1). Rosa Giorgi, Die Heiligen. Geschichte und Legende. ( = Bildlexikon der Kunst, Bd. 2), Verlag Parthas, Berlin 2003.

Beide Bildbände – im Original 2002 bei Electa in Mailand erschienen – möchten einem breiten Publikum so komplexe Themen wie das der Götter und das der Mythen zugänglich machen. Die Sprache der Bilder scheint heute nur noch wenigen verständlich, so die Meinung der Autoren, und den Museumsbesuchern und Kunstinteressierten drohen wichtige Teile der Botschaften sakraler wie auch weltlicher Kunstwerke zu entgehen. Der Band über die Götter versteht sich als visueller Leitfaden zum Kennenlernen und Wiedererkennen der in der bildenden Kunst vertretenen Heiligen, auch hinsichtlich ihrer Symbolik und dem historischen Stellenwert.

101 Zen-Geschichten. herausgegeben von Paul Reps, Verlag Patmos, Düsseldorf 2003.

Auch wer sich nicht als besonderen Kenner asiatischer Lebenskunst bezeichnet, von den wissenden, weisen Mönchen der fernöstlichen Zen-Klöster hat wohl jeder schon gehört. Das Büchlein liefert gleichnishafte, teils hintergründige, teils skurrile Anekdoten, die von Zen-Meistern aus fünf Jahrhunderten überliefert wurden.

Gerald Joswowitz, Computer in der Schule. (= Musikpraxis in der Schule, hrsg. von Siegmund Helms und Reinhard Schneider, Bd. 9), Gustav Bosse Verlag, Kassel 2003.

Kein anderes Medium hat in den letzten Jahrzehnten in so viele Bereiche des täglichen Lebens Einzug gehalten wie der Computer. Was liegt näher, dieses gerät also auch für den Bereich des Musikunterrichts und für pädagogische Zwecke nutzbar zu machen, zumal er aus der Lebenswelt von Kindern schon nicht mehr wegzudenken ist. Der Autor gibt zu, dass der PC selbst kein Apparat sein kann, der Wunderdinge vollbringt, er garantiert auch noch lange nicht eine gelungene Unterrichtsstunde. Und auch die Rolle des Lehrenden ändert sich, er wird viel mehr zum sachkompetenten Berater, zum Initiator und Moderator von Lernprozessen. Der vorliegende inhaltlich gut abgestimmte Band betrachtet zum einen die Verwendbarkeit des PCs im schulischen Musikunterricht, schildert verschiedene Anwendungsmöglichkeiten und liefert Informationen zu technischen Grundlagen – schon mal eine ganze Menge. Eine Demo-CD-ROM mit Beispielen aus der allgemeinen Musiklehre, der Gehörbildung und dem Notensatz vervollständigt den Band.


Thomas Stillbauer, Neues aus der 1b. Was machen eigentlich unsere Erstklässler? Mit Zeichnungen von Kai Georg Wujanz, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 2003.

Bei uns in Österreich heißen die Wutzis ja Tafelklassler, aber das ist auch der einzige Unterschied, wie Thomas Stillbauer endlich aufdeckt. Er hat sich als der größte Erstklässler der Welt ein Jahr lang unter die potentiellen Weltentdecker, Zahnärzte, Brotausfahrer und Bundeskanzler gewagt und seiner Klasse aufs Maul geschaut. Fazit: Es geht in ersten Klassen in Deutschland echt heiß zu, Grundschullehrerinnen müssten eigentlich durch die Bank weg die Tapferkeitsmedaille bekommen, und letztlich ist es um unsere Kids gar nicht so schlimm bestellt. Auch wenn heute andere Werte als die verzopfte Kinderstube das Rennen machen.

Donata Elschenbroich, Weltwissen der Siebenjährigen.Wie Kinder die Welt entdecken können, Verlag Kunstmann, München 2001.

Kinder im Alter bis zu sieben Jahren sind wahre Geistesgrößen und entdeckungshungrige Genies – bis, ja, bis die schulische Erziehung allzu strikt reglementiert und stutzt. Einschlägige pädagogische Publikationen beklagen den Schwund von Erlebnisbereichen in der Großstadt, von ausreichend Zeit mit Mutter und Vater sowie den allzu mächtigen Einfluß von Peer-Groups. Anstelle von lauthals hervorgebrachten Klagen, so die Autorin Elschenbroich---, sollten sich verantwortungsvolle Erziehungsberechtigte doch mal in die Psyche der Kids einfühlen und sich fragen, was gebe ich meinem Spross unbedingt an Wissen mit auf den Weg? Womit sollte ein Kind bis zum siebten Lebensjahr unbedingt an Denkweisen, an Wissensvermittlung, an Erlebnissen in Berührung gekommen sein?

Mit einem Kind eine Kokosnuss aufsägen; eine Artischocke entblättern – wie viel explosive Lebenskraft kann unter einer Schale verborgen sein. Anleitung: Jedes Kind soll eine frucht kunstvoll freilegen und einen Kern gespaltet haben.

Oder Beispiel der zeitgestresste Vater: Anleitung: Jedes Kind sollte einige Tage seines Lebens im Wald verbracht haben. Jedes Kind sollte einmal in einen Bach gefallen sein. Ganz anderes Beispiel – die Beschäftigung mit der Schrift, eine Tatsache, die Eltern gerne Schulen allein überlassen. Der Rat hier: Jedes Kind sollte durch eine schriftliche Mitteilung in eine andere Stimmung versetzt worden sein – getröstet werden etc. Es sollte die Möglichkeiten von Geheimschriften ausprobieren können. Fazit: Elschenbroich entwirft mit ihrem derzeit hoch gehandelten Buch eine „Wunschliste für Weltwissen“ für Kinder, eine Checkliste, die auch der anderen betroffenen Seite, den Eltern, Mut machen soll, sich in ausgefallenen Ideen sicher zu fühlen, sich einfach an das eigene Kindesalter zu erinnern. Die im Anhang aufgelisteten pädagogischen Initiativen aus anderen Ländern sind teilweise mustergültig, teilweise – Beispiel USA - jedoch ebenso weltfremd und entlarvend.

Peter Struck, Schule macht Spaß. Das Grundschul-Handbuch für Eltern, Urania Verlag, Berlin 2003.

Donata Elschenbroisch war es, die vor noch gar nicht so langer Zeit belegte, dass Kinder im Alter bis zu sieben Jahren wahre Geistesgrößen und entdeckungshungrige Genies sind. Dann kommt die Schule. Das stundenlange Sitzen, die Hackordnungen innerhalb der Schülercliquen und der autoritäre Lehrer steht einem phantasievollen und spielerischen Aneignen von Wissen diametral entgegen. Wirklich? Peter Struck, zehn Jahre lang Lehrer an Volks- und Realschulen, zeigt auf, dass es zu dieser Sackgasse nicht führen muss. Er behauptet: Kinder sind geborene Lerner. Es kommt darauf an, das Umfeld so günstig wie möglich zu gestalten. Und da kommt einiges auf die Eltern zu: Struck gibt Hinweise auf die Frühförderung, informiert über Schulauswahl, weist auf den Kontakt mit den Lehrern hin (das Kapitel geriet ihm etwas zu illusorisch) und informiert auch zum Thema Computer. Das Buch macht Eltern Mut, da sie erfahren, dass sie doch viel und aktiv gestalten können. Allerdings sind Kinder, aber das ist nicht neu, eine sehr zeitraubende Angelegenheit.

Helene Weigel. In Fotografien von Vera Tenschert. Mit einem Vorwort von Katharina Thalbach, Henschel Verlag, Berlin 2000.

Helene Weigel trotzte 1968 ihrer Freundin Vera Tenschert das Versprechen ab, falls sie ein Buch über sie gestalten wolle, dann ein menschliches zu machen. Diese Bitte hat die Fotografin mit dem vorliegenden Schwarz-weiß-Bildband in schönster Weise erfüllt. Es dokumentiert einerseits die Arbeit der Künstlerin, andererseits zeigt sie Helene Weigel auch sehr privat, von Probe-Bildern über Ausstellungsbesuche und Arbeitsgespräche bis hin zum Inventar des Buckower Hauses. Es sind ausschließlich Bilder aus der späteren Schaffensperiode der Künstlerin.

Die 100 schönsten Gedichte der deutschen Literatur: Lieblingsgedichte. Gesprochen von Carmen-Maja Antoni, Dieter Mann, Ulrich Mühe, Otto Sander, Katharina Thalbach, Ulrich Turkur und anderen, Verlag Patmos, Düsseldorf 2004. Wer liebt sie nicht, jene sinnenschweren Gedichte von Johann Wolfgang von Goethe und Hermann Hesse über Eduard Mörike und Friedrich Schiller bis hin zu Joachim Ringelnatz und Friedrich Hölderlin. Der Kunstverlag Patmos hat seine Top 100 der beliebtesten und schönsten deutschen Gedichte aufgestellt, zum Anhören, Auswendiglernen, Sinnieren, oder auch, damit man seine ganz persönlichen Favoriten einmal wiederhört. Reinhören!