Die Narretei des Kyoto-Protokolls

Drucken
von Rainer Ernst Schütz

Wer wünscht sich nicht eine gesunde Umwelt? Wer möchte nicht dazu beitragen, daß die Welt auch in Zukunft lebenswert ist? Alle ernsthaften Bemühungen, diese Zukunft zu sichern, haben meinen Respekt.

Weniger Respekt habe ich allerdings für ein Programm übrig, das vorgefaßte Meinungen und zweifelhafte Rezepte mit untauglichen politischen Mitteln zusammen¬mixt und daraus eine Politik erzeugt, die schnurgerade in eine weitere Schwächung Europas führt. Und nicht an dieser Schwächung Europas wird wieder nicht irgend ein böser Feind schuld sein, sondern Europa selbst, da es in nun schon traditioneller Selbst¬überschätzung der ganzen Welt seine unaus¬ge¬gorenen Rezepte aufdrängen möchte, die Welt aber – jedenfalls relevante Teile davon – sich nicht darum kümmert.

Der Reihe nach: In der Wissenschaft besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß sich die Welt im Grunde einer neuen Eiszeit nähert. Dieser Grundtendenz überlagert ist eine gegenwärtig zu beobachtende Tendenz zur Erwärmung, für die die meisten – aber bei weitem nicht alle – Wissenschaftler Veränderungen der Erdatmosphäre verant¬wortlich machen. Diese Erwärmung ist übrigens bisher verhältnismäßig klein; im Mittelalter war es wärmer. Ob diese Veränderungen der Erdatmosphäre auf menschliche Aktivitäten zurückgeht oder nicht, ist ein äußerst umstrittenes Thema. Viele, aber bei weitem nicht alle Wissenschaftler neigen derzeit dazu, den Menschen als Täter zu sehen. Andere weisen darauf hin, daß bei einem einzigen Vulkanausbruch ein Mehrfaches des Schadstoff¬eintrages in die Atmosphäre erfolgt, wie sie menschliche Aktivitäten (Verkehr etc.) zur Folge haben. Und derartige Ausbrüche sind in den letzten Jahren mehrfach beobachtet worden.

Letztlich gibt es derzeit keine wirklich eindeutige Analyse der Ursachen der Erderwärmung. In meiner folgenden Argumentation gehe ich auch gar nicht darauf ein. Ich weise hier nur darauf hin, daß für den Fall, daß die Ursachen doch nicht in menschlichen Verhaltensweisen liegt, alle auf eine Änderung dieser menschlichen Verhaltensweisen abzielenden Rezepte eo ipso wirkungslos wären. Dieses zusätzliche Argument, das gegen das Kyoto-Protokoll spricht, sei hier nur vermerkt.

Im Folgenden gehe ich von der (bisher unbewiesenen) Annahme aus, daß tatsächlich die Ursache des Klimawandels in menschlichen Aktivitäten begründet liegt; daß also Industrieabgase, Verkehr, Hausbrand und von Menschen oder für den menschlichen Bedarf gehaltenen Tieren erzeugte Treibhausgase für die Erwärmung verantwortlich sind.

So uneinig die Wissenschaftler darüber sind, ob diese Aktivitäten tatsächlich die Ursache der Erderwärmung sind, so einig sind sie sich darüber, daß die „Reparatur“ der Erdatmosphäre, also die Erholung und Rückentwicklung zu Werten vor Beginn dieser Erderwärmung, eine außerordentlich lange Zeitspanne in Anspruch nehmen wird. Man spricht von zwanzig bis dreissig Jahren, gerechnet von dem Zeitpunkt an, wo der Schadstoffeintrag aus Menschenhand auf den Wert von 1990 minus fünf Prozent zurückgeführt sein wird.

Nun kann aber derzeit von einer Senkung des Schadstoffeintrages keine Rede sein, dieser wächst vielmehr weiterhin gewaltig an. Daraus folgt zwingend, daß der Nutzen aus der Befolgung des Kyoto-Protokolls jedenfalls in weiter Ferne liegt, so er überhaupt je erreicht werden kann.

Ob dieser Nutzen erreicht werden kann, liegt nun einerseits daran, ob die Ursachenanalyse überhaupt richtig ist – diese Variante beachten wir hier und heute ja nicht weiter (obwohl man sie nie vergessen darf!).

Andererseits – und damit komme ich zum Kern meiner Argumentation – liegt es daran, ob sich alle oder wenigstens die relevanten Staaten der Erde an dieses Protokoll halten.

Aber das ist evidentermaßen nicht der Fall. Jetzt kann, wer will, moralische Entrüstung produzieren und Schuldzuweisungen verteilen. Klar ist jedenfalls, daß die USA, daß Rußland und daß China – um nur die wichtigsten zu nennen – mit dem Kyoto-Protokoll nichts am Hut haben. Und daß Afrika für derart esoterische Pläne keine Kraft übrig hat, ist wohl auch klar. Und die gewaltigen argentinischen Rinderherden, deren Fleisch nicht nur in den USA, sondern auch in Europa gerne konsumiert wird, und die gewaltige Mengen an Treibhausgasen produzieren, konnten bisher auch noch nicht mit Katalysatoren ausgerüstet werden.

Unterm Strich bleibt, daß die Wahrscheinlichkeit, in absehbarer Zeit irgendeinen Erfolg in diesen Bemühungen zu haben, sehr, sehr klein ist. Und die Wahrschein-lichkeit, daß die lebenden und im Amt befindlichen Politiker etwas davon haben werden, ist gleich Null.

Das ist aber wesentlich für eine Analyse dessen, wie wahrscheinlich es ist, daß Politiker der bisherigen Nichtunterzeichnerstaaten ihr Verhalten ändern werden. Und es ist damit wesentlich für den strategischen Teil der Beurteilung des Kyoto-Protokolls.

Denn selbst wenn eine Sache im Prinzip richtig wäre – und beim Kyoto-Protokoll ist das noch durchaus unsicher – kann ihre naive Verfolgung dann falsch sein, wenn sie strategisch zur Selbst¬schädigung und damit zur Zerstörung der eigenen Ziele führt.

Europa und die wenigen anderen Staaten von Relevanz, die sich dem Kyoto-Protokoll angeschlossen haben, verzichten auf Milliardenbeträge an Wirtschafts-erträgnissen, um einem Ziel hinterherzujagen, das andere (die Nicht-Unterzeichner) vereiteln. Die Folge ist eine ständige ökonomische Benach¬teiligung der das Protokoll befolgenden Nationen und eine dementsprechende wirtschaftliche Stärkung derer, die sich nicht daran halten.


Wer wünscht sich diese Konsequenz? Europäer? Nur europäische Narren! Hingegen gibt es sehr wohl Nutznießer dieser Situation.

Denn: Sollte der Klimawandel tatsächlich so gravierende Folgen zeitigen, wie sie von vielen Forschern erwartet werden, dann wird ein ungeheurer Investi¬tionsbedarf entstehen, um einerseits neue Trockengebiete zu bewässern und um andererseits neu fruchtbar gewordene Gebiete – etwa in Kanada oder Sibirien – urbar zu machen. Diesen Investitionsbedarf werden aber dann die verarmten Europäer nicht aufbringen können, wenn sie die Riesenlasten aus der Befolgung des Kyoto-Protokolls zu tragen haben - neben den ohnehin vorhandenen Problemen mit ihrer Altersversorgung (ein Problem, das die USA nicht hat) und Gesundheitsversorgung (ein Problem, um das sich die USA weniger kümmert).

Die USA werden dann gewiss gerne als Invstor einspringen, selbstverständlich um den Preis, ihren „way of life“ und ihre Macht- und Finanzinteressen gewahrt zu sehen. Und Länder, die sich große Summen von einem Investor erwarten, hören üblicherweise auf die Wünsche dieses Investors und nicht etwa auf nörgelnde Kommentare eines Kontinentes, der meinte, alles besser zu wissen und sich doch nur selbst ins „out“ manövriert hat.

Der Nutznießer ist klar: Es ist zuvorderst die USA; aber auch, und zwar in dem Maße, in dem sie ihre wirtschaftlichen Potenz relativ zu Europa verbessern können, China und Russland. Die Vorteile für diese Länder sind so groß, daß man annehmen könnte, daß das ganze Kyoto-Protokoll eine Erfindung der CIA im Verein mit dem KGB gewesen sein könnte, und die liebenswert-naiven Europäer sind gleich darauf hereingefallen.

Wie dem auch sei, es bleibt die Frage, was zu tun sei. Diese Antwort ist ausnahms¬weise relativ leicht, und ausnahmsweise ist Österreich ein gutes Beispiel.

Wenn man schon in der Situation ist, das Kyoto-Protokoll unterzeichnet und auch noch ratifiziert zu haben, dann ist es zweckmäßig, sich mit aller Kraft gegen alle Pläne zu wehren, die Strafbestimmungen für die Unterzeichnerstaaten einführen wollen. Weiters soll man ruhig und gewissenhaft alle schadstoffreduzierenden Techniken weiterentwickeln und anwenden, die betriebs- und volkswirtschaft¬lichen Nutzen bringen. Und zu guter Letzt soll man in allen Bereichen, wo das nicht der Fall ist, es so machen, wie es Österreich ohnedies tut: Das Nichterreichen der Kyoto-Ziele wortreich öffentlich bedauern. Und sonst nichts.