Was bringt die neue Regierung?

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Der Club Alpbach-Wien lud am 14.April gemeinsam mit dem Club unabhängiger Liberaler zu einem Vortragsabend zum Thema „Was bringt die neue Regierung?“. Der dort vorgetragene Text ist im Folgenden wiedergegeben.

Sehr geehrte Damen und Herren, zunächst möchte ich mich sehr herzlich für die Einladung des Club Alpbach-Wien bedanken, und als Mitglied des Club Alpbach seit Jahrzehnten freue ich mich, sozusagen auf heimischem Boden diskutieren zu können. Fast wäre ich geneigt gewesen, die Floskel „Es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen“ zu verwenden, ich habe aber davon Abstand genommen, weil es zwar sicherlich eine Ehre ist hier zu sprechen, ob es aber ein Vergnügen ist, zum Thema „Was bringt die neue Regierung“ zu sprechen, ist doch eher zweifelhaft. Ich frage mich auch, ob der Titel nicht zu sehr an die Geschenk¬verteilungs-demokratie früherer Zeiten erinnert, und ob er nicht vielmehr hätte lauten müssen „Was nimmt uns die neue Regierung“. Meinem Freund, dem verehrten Präsidenten des Club Alpbach-Wien, Fred Korkisch, muß ich jedenfalls das Kompliment machen, das bei weitem unangenehmste Thema ausgesucht zu haben, über das zu referieren man derzeit eingeladen werden kann. Was kann man schon halbwegs Seriöses über die zu erwartenden Segnungen der neuen Regierung sagen, wenn man nicht einmal weiß, wie lange es diese Regierung noch geben wird?

Leichter, als zu sagen, was die Regierung bringen wird, ist, zu sagen, was sie nicht bringen wird. Also: Es wird keine Rückkehr zur Schuldenpolitik der Siebziger- bis Neunzigerjahre geben. Es wird keine weitere Abrüstung des Bundesheeres geben. Es wird keine Ausweitung der Staatsaufgaben geben. Es wird keine forcierte Pflege eines marxistophilen Kulturklüngels geben.

Was es geben wird, ist etwas schwieriger zu sagen.

Ich könnte nun einfach die offizielle Liste der Regierungsvorhaben, von der Pensionsreform und der Sanierung der Krankenkassen über die Beschaffung von Abfangjägern bis zur Forschungspolitik durchgehen und Vermutungen darüber anstellen, wie weit es die Regierung darin bringen wird. Dieses Verfahren hätte aber den gravierenden Nachteil, daß der jeweils aktuelle Stand der Regierunsvorhaben, soweit sie öffentlich kommuniziert werden, den innenpolitischen Journalisten zweifellos wesentlich geläufiger ist als einem außenstehenden Beobachter, und ich Ihnen daher nichts berichten könnte, was der aufmerksame Zeitungsleser nicht schon erfahren hätte. Das daraus resultierende fortgesetzte Gähnen möchte ich Ihnen und mir ersparen und wähle daher einen Ansatz, der mir näher liegt, nämlich den Versuch einer Analyse zu wagen, ob es politstrategische Überlegungen geben könnte, die hinter dem offensichtlichen politischen Tagesgeschehen verborgen sein könnten.

Denn das politische Tagesgeschehen wirft ja durchaus Fragen auf:

War es vernünftig, mit jener Partei nochmals eine Koalition zu machen, die schon die alte Koalition ruiniert hat?

Wieso läßt sich der Bundeskanzler die fortwährenden Störmanöver aus Kärnten gefallen? Wieso konnte er es zulassen, daß ein so offensichtlich unvollkommener Gesetzesentwurf wie die Pensionsreform vorgelegt wurde?

Kann hinter alldem eine sinnvolle Strategie stecken?

Ich meine, das könnte sein. Ich stelle die These auf, daß die Koalition ein eingebautes, vom Bundeskanzler gewolltes Ablaufdatum besitzt. Ich meine, für Schüssel könnten die Rufe aus Kärnten durchaus willkommen sein, und die offenkundigen Mängel der Reformvorschläge könnten Absicht sein.

Ich wähle bewußt den Konjunktiv, da solche Vermutungen immer höchst spekulativen Charakter haben, da ja kein vernünftiger Stratege, weder im Kriege noch in der Politik, seine Pläne öffentlich bekanntgibt. Es handelt sich also bei meinen Ausführungen um eine völlig ungewisse Vermutung, über die ich deshalb öffentlich zu sprechen wage, weil ich sie für möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich halte, und weil sie mir sympathisch ist. Letzteres hat damit zu tun, daß ich nicht zu den Verächtern oder gar Hassern unseres Bundeskanzlers gehöre, sondern meine Sympathie für dessen Politik offen bekenne.

Dies bringt natürlich nicht nur das Risiko mit sich, sich bei der halben Bevölkerung unbeliebt zu machen, sondern auch das etwas ernstere Risiko, daß man auf Grund persönlicher Wertschätzung einer Person in diese vielleicht mehr hinein¬interpretiert, als das unter Bedachtnahme auf die Sicherheit des Ergebnisses der Analyse gemacht werden sollte. Da ich aber als Liberaler einen durchaus positiven Bezug zum Begriff des Risikos habe, will ich nun meine Analyse versuchen. Dabei muß ich auch etwas in die Vergangenheit ausholen.

Ausgangspunkt ist für mich die persönliche Beziehung zwischen Wolfgang Schüssel und Jörg Haider. Meine Sympathie für Wolfgang Schüssel habe ich Ihnen schon verraten, und was Jörg Haider betrifft, so habe ich seit drei Jahrzehnten die Ehre, wenn auch nicht immer das Vergnügen, ihn persönlich zu kennen. Wer verfolgt hat, wie letzterer seit der Regierungsbildung im Februar 2000 immer dann, wenn es für Schüssel am unangenehmsten war, sich zu Wort gemeldet hat, um den Regierungskurs zu konterkarieren, und somit laufend alle seine Versprechungen gebrochen hat, er werde sich aus der Bundespolitik heraushalten, der wird nicht umhin können, Wolfgang Schüssel zumindest erstaunliche Nehmerqualitäten zuzubilligen. Von solchen Erlebnissen kann man schon schmale Lippen bekommen. Die Ursache liegt zweifellos in der Psyche Jörg Haiders, über die ich mich hier nicht zu verbreitern brauche. Mir geht es vielmehr um Wolfgang Schüssel, der mit Haider ja seit Jahrzehnten gut bekannt ist, und für den Haider also keine unbekannte Größe war, die richtig einzuschätzen er nicht in der Lage gewesen wäre. Ganz im Gegenteil, er konnte ihn sehr gut und richtig einschätzen. Die Opposition geht legitimerweise davon aus, daß die gesamte Regierungs-performance nur ein Ergebnis unbeholfenen Stolperns von einem Fehler zum nächsten ist. Wer nicht so denkt und stattdessen versucht, dahinter ein mögliches Konzept zu entdecken, der wird davon ausgehen müssen, daß Wolfgang Schüssel genau wußte, was er tat, als er im Jahre 2000 eine schwarz-blaue Koalition einging.


Die große Koalition der Jahre 1986-2000 hat ja, ganz im Gegensatz zu der spziell von links behaupteten Bekämpfung des Rechtspopulismus, diesen in Wirklichkeit exzessiv gefördert und groß gemacht. Ich unterstelle Wolfgang Schüssel, erkannt zu haben, daß Haider und seine Getreuen nur durch Einbindung in die Regierungs¬verantwortung auf ihren wahren Wert geprüft und damit reduziert werden konnten, und ich vermute, daß dieses Motiv bis heute wirksam ist.

Es ist aber, so vermute ich, nicht das einzige Motiv unseres Bundeskanzlers. Als ÖVP-Obmann war und ist er natürlich an der Größe und am Erfolg der ÖVP interessiert. Das zu begreifen, war für Jörg Haider offenbar zu schwierig: Dieser war offenbar der Meinung, Pflicht und Aufgabe des ÖVP- Obmannes sei es, für die Größe und den Ruhm der FPÖ zu sorgen. Da hat er aber irgendetwas wohl nicht ganz richtig verstanden. Dementsprechend groß war seine Empörung über den Koalitionsbruch im Herbst 2002. Übrigens meine ich, daß Jörg Haider diesen Koalitionsbruch genaugenommen völlig richtigerweise Wolfgang Schüssel anlastet – Schüssel und nicht Haider hat die Koalition gebrochen, schließlich hätte er ja auch damals, so wie er es ja jetzt auch tut, mit den Knittelfeldern weiterregieren können. Das wäre für die FPÖ natürlich sehr angenehm gewesen, und wäre es Wolfgang Schüssels Pflicht, für das Wohlergehen der FPÖ zu sorgen... und so weiter, siehe oben.

Haider, ein hervorragender Taktiker, aber schlechter Stratege, hat für sich selbst immer die Option offengehalten, die Regierung Schüssel 1 zu einem Zeitpunkt seiner, Haiders, Wahl platzen zu lassen, um dann selber Bundeskanzler zu werden. So hat er sich das jedenfalls gedacht. Schüssel hat aber Haiders geplante Taktik sich selbst zunutze gemacht und hat damit gegen Haider punkten können. Das zeigt ganz deutlich die Überlegenheit des nicht so perfekten Taktikers, aber genialen Strategen Schüssel über Haider. Dabei hat Haider erstmals auch schwerste taktische Fehler begangen, und zwar gleich drei:

Er hat nicht damit gerechnet, daß Riess-Passer zurücktreten würde, sondern angenommen, sie würde sich alles gefallen lassen.

Er hat nicht damit gerechnet, daß Schüssel die Koalition aufkündigen würde und Neuwahlen wagen würde.

Und er hat die Stimmung in der Wählerschaft der FPÖ völlig falsch eingeschätzt.

Daß Haider mit seiner Forderung nach sofortiger Steuersenkung bei Schüssel nicht landen konnte (obwohl auch namhafte Ökonomen und nicht nur Keynesianer höhere Staatsausgaben befürworteten) ließ bereits darauf schließen, was hinter dem tagespolitischen Streit steckte: Schüssels feste Entschlossenheit, die Staatsfinanzen nachhaltig zu sanieren, und zwar auch um den Preis, daß breite Teile der Bevölkerung unzufrieden sind.

Daß dies eine hochriskante politische Strategie ist, weiß man gerade in der ÖVP, hat diese doch in der Zeit ihrer Allein¬regierung 1966-1970 unter dem unvergessenen Professor Stephan Koren die Staatsfinanzen in sehr ordentliche Bahnen gelenkt, und ist dafür bei den Wahlen 1970 fürchterlich abgestraft worden. Daher kann ich mir nicht vorstellen, daß ein solcher strenger Sparkurs, wie er offensichtlich heute wieder gefahren wird, ohne begleitende Strategie gewagt würde. Dazu komme ich gleich.

Sparkurs und Pensionsreform sind eng verknüpft. Die Dringlichkeit einer Pensionsreform ist ja seit Jahrzehnten bekannt, und daß bestimmte politische Kräfte eine nachhaltige Reform immer vereitelt haben und zum Teil auch heute noch verhindern wollen, macht die Lösung des Problems nicht leichter, sondern ist die Ursache für viele Ungerechtigkeiten, die heute zwangsläufig kommen, weil man nicht rechtzeitig reformiert hat. Und das Jammern über die Unmöglichkeit einer entsprechenden Lebensplanung erscheint mir recht fragwürdig, da doch jeder, der wissen wollte, wissen konnte, daß das alte System nicht auf Dauer haltbar sein würde.

Vor rund zwanzig Jahren veröffentlichte Franz Kohmeier sein Buch „Adam Riese schlägt zurück“, in dem er all das genau beschreibt, was mit mathematischer Präzision seither eingetreten ist. Interessant ist, daß 1984, als wieder einmal eine kleine Pensionsreform gemacht wurde, von der man wußte, daß sie nicht reichen würde, daß also damals schon zwei Drittel der Österreicher nicht mehr an die Haltbarkeit des Pensionssystems glaubten. Vor zwanzig Jahren! Und heute sagen manche, es käme alles zu plötzlich!

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Zitat aus Kohmeiers Buch, in dem er sich über die politischen Möglichkeiten bezüglich einer Pensionsreform äußert: (ich zitiere)

„Der Wohlfahrtsstaat kann nun auf diese Herausforderung mit zwei Strategien antworten:

  1. die Pensionsversicherung als Umverteilungsinstrument in der jetzigen Form um jeden Preis, selbst um den Preis eines späteren Zusammenbruchs, solange wie möglich aufrechtzuerhalten;
  2. durch eine rechtzeitige, echte, tiefgreifende Reform zumindest den Kern der sozialen PV auf Dauer überlebensfähig zu machen
  3. Die dritte mögliche Entwicklung wäre, daß der kollektive Wohlfahrtsstaat als Holzweg der Geschichte erkannt und in einen, dem mündigen Bürger entsprechenden Sozialstaat übergeleitet wird. Dies würde jedoch einen grundlegenden politischen Klimawechsel voraussetzen. Die wachsende Einsicht in die Unfinanzierbarkeit dieses Wohlfahrtsstaates würde diesen Klimawechsel sicher fördern, wenn nicht sogar herbeiführen.“ (Zitat Ende)

Es läßt sich jedenfalls sagen, daß nicht Möglichkeit zwei sondern Möglichkeit eins genutzt wurde. Und wir dadurch jetzt allmählich bei Position drei angelangt sind.

Soviel zur zwingenden Notwendigkeit der Pensionsreform.

Nun aber zunächst noch zur heurigen Regierungsbildung. Wenn man davon ausgeht, daß Wolfgang Schüssel seinen Sparkurs ernst nimmt, muß man davon ausgehen, daß er auch die Pensionsreform ernstnimmt. Wenn er aber die Pensionsreform ernstnimmt, so wird er zum Zeitpunkt des Auslaufens des Legislaturperiode selber noch nicht in Pension gehen können. Wenn er aber noch nicht in Pension gehen kann, wird er, so nehme ich wenigstens an, wohl weiterhin nach Möglichkeit zumindest eine wesentliche Rolle in der Politik spielen wollen, möglichst seine derzeitige Rolle. Das kann er aber nur, wenn er bei den nächsten Wahlen kein Desaster erlebt. Bei einer Koalition mit der SPÖ, so bequem sie für beide daran beteiligten Parteien gewesen wäre, oder mit den Grünen, so charmant diese Option auch sein mag, wären jene Wähler, die von der FPÖ zur ÖVP gewechselt sind und die natürlich keineswegs gleich zu Stammwählern der ÖVP geworden sind, sofort wieder weg gewesen. Und kein ÖVP-Obmann überlebt in seinem Amte einen derartgen Verlust an Wählern.


Damit war für mich – meine Freunde wissen es – schon im Oktober die jetzige Koalitionsform klar, die endlosen Verhandlungen dienten nur dem Weichklopfen der eigenen ÖVP-Funktionäre, den Bedürfnissen mancher Medien und der Eitelkeit des Bundes¬präsidenten.

Völlig falsch wäre es meiner Meinung nach aber nun, diese Regierungskoalition als Zeichen der Sympathie Wolfgang Schüssels für die FPÖ zu werten. Es war vielmehr erstens die für die ÖVP bei weitem billigste Regierungskoalition, es war zweitens die einzige, mit der er eine Option auf ein gutes Wahlergebnis bei den nächsten Wahlen hat, und es ist drittens die einzige Regierungskoalition, die es Schüssel in die Hand gibt, die Inhalation der FPÖ durch die ÖVP fortzusetzen. Jede andere Koalition hätte mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer gewissen Erholung der FPÖ geführt; nur in dieser, jetzt bestehenden Koalition ist die Chance groß, daß im vereinten Wirken der Herren Haider, Stadler und Konsorten die FPÖ in der Wählergunst weiterhin so marginalisiert wird, daß Schüssel bei sich bietender Gelegenheit wieder Neuwahlen machen kann – und wer zweifelt daran, daß ihm die FPÖ solche Gelegenheiten bieten wird? Neuwahlen machen kann, aber vermutlich nicht muß: Wer es erträgt, mit solchen knittelfeld¬bewährten Geistesgrößen, wie sie die FPÖ jetzt im Parlament sitzen hat, zu kooperieren, hat offensichtlich die nötige Seelenstärke und Leidens¬fähigkeit und wird das auch noch eine weitere Zeit lang aushalten. Und andererseits dürften die Verantwortlichen von der FPÖ wohl auch in der Lage sein, Meinungsumfragen zu lesen; also prophezeie ich der Regierung Stabilität bis zu dem Zeitpunkt, wo entweder die FPÖ glaubt, wieder zulegen zu können – und davon ist derzeit nichts in Sicht. Oder bis die FPÖ Wolfgang Schüssel aus eigener Unfähigkeit die Chance bietet, eine weitere Reduktion der FPÖ durch Neuwahlen vorzunehmen. Also sehe ich eine für die ÖVP komfortable Situation mit dem unter Anführungs¬zeichen sozusagen „schlimmsten“ Szenario, die Legislatur¬periode auszudienen.

Wann immer Neuwahlen kommen mögen, und ich halte 2004 für einen guten Tip, wird sich die Frage stellen, welche Wähler man anzusprechen wünscht. Und damit komme ich zur einzigen mir vorstellbaren Strategie des Bundeskanzlers, die da heißen mag: Die 2002 neugewonnenen Wähler behalten und noch einige aus der FPÖ dazugewinnen, aber auch Menschen mit ökonomischem Verständnis aus SPÖ und Grünen anzusprechen. Und ich denke, daß er dafür seit längerem eine Doppelfalle aufgestellt hat, eine Falle für die FPÖ und die gleiche Falle für die Opposition. Es ist die Generationsfalle.

Schon im Sommer 2002 hat sich Jörg Haider als der bessere Sozialist geoutet, mit dem Anspruch, wie stets den kleinen Mann zu verteten. Gleiche Ansprüche erheben auch SPÖ und die Grünen. Nun haben sich die SPÖ und die Grünen lange Jahre im Besitz der Zustimmung der Jugend gewähnt, noch in Erinnerung an 68-er Zeiten. Zumindest bei der SPÖ ist das aber Geschichte; schon bei den letzten Wahlen haben sich die meisten Jungwähler für die ÖVP entschieden. Und das möchte der Bundeskanzler offenbar ausbauen. Nichts ist dafür so gut geeignet wie eine kritische Diskussion der Pensionsreform¬vorschläge.

Denn natürlich fällt bei diesen Reformvorschlägen auf, daß besonders meine Generation, also die kurz vor dem Pensionsalter stehenden Menschen, durch fehlende Aufwertung früherer Beitragszeiten und andere Maßnahmen besonders spürbar benachteiligt werden. Ein Protest und intensive Kritik an diesen Plänen war also garantiert. Auffällig ist allerdings, daß sich Alfred Gusenbauer erstaunlich zurückhält, ja sogar ein Mittragen einer schmerzhaften Reform durch die SPÖ anbietet. Er ist ein kluger Politiker und wittert die Falle. Ich gehe davon aus, daß Wolfgang Schüssel ganz bewußt ein Pensions¬reformpaket schnüren ließ, das zumindest in der vorliegenden Form von den drei anderen Parlamentsparteien abgelehnt wird. Das ist meiner Meinung nach aber genau das, was Wolfgang Schüssel wollte.

Denn da davon auszugehen ist, daß es die Politik wohl nicht wagen wird, diejenigen Österreicher zu belasten, die schon ihre Pension beziehen, so bleibt nach Adam Riese bei einer Änderung der vorliegenden Pläne zugunsten der bald in Pension gehenden Menschen als Belastungsopfer nur die jüngere Generation übrig. Wer jünger als fünfundvierzig Jahre ist wird ohnedies die volle Last der Reform trage müssen und nun möglicherweise zusätzlich noch die Last, die aus allen jetzt zu diskutierenden „Verbesserungsvorschlägen“ zwangsläufig erwächst. Was man den Älteren gibt, muß man eben den Jüngeren wegnehmen. Ob die jüngere Generation Dankbarkeit für diese Verbesserungs¬vorschläge empfinden wird, darf bezweifelt werden.

Es kann der ÖVP hinsichtlich ihrer Reputation bei der jüngeren Generation daher nichts besseres passieren, als daß der ÖVP-Vorschlag entweder zu Fall gebracht wird oder so abgeändert wird, daß beträchtliche zusätzliche Belastungen auf die jüngeren zukommen – und das wird zwangsläufig so sein. Die ÖVP braucht dann nur noch intensiv auf diesen Umstand hinweisen; und dazu wird sie wohl imstande sein.

Das Kabinett Schüssel 1 hatte bekanntlich einen recht schweren Start. Die Umfragewerte waren deutlich schlechter als am Beginn des Kabinettes Schüssel 2. Binnen eines Jahres hat sich das seinerzeit total geändert, und zwar trotz Nulldefizitbestrebungen und Belastungen aller Art. Das heißt, daß das auch diesmal zumindest nicht unmöglich erscheint. Das würde bedeuten, daß beim Erreichen guter Umfragedaten für die ÖVP diesmal eher die FPÖ zittern müßte, ob nicht eine der eingebauten Sollbruchstellen aktiviert wird. Für ein solches Szenario spricht auch der Umstand, daß die ÖVP bisher so gut wie nichts zur Betreuung der 2002 frischgewonnenen Wähler unternommen hat; niemand wird aber annehmen können, daß sie ohne Betreuung über die Jahre hinaus der ÖVP die Treue halten werden. Das spricht doch eher für eine Naherwartung kommender Wahlen seitens der ÖVP. Und übrigens sollte niemand überrascht sein, wenn sich ÖVP und SPÖ ganz plötzlich auch noch auf ein mehrheitsbildendes Wahlsystem einigen sollten. Das hätte für beide Großparteien einen durchaus verständlichen Charme, da man damit die Sorge mit den politischen Rändern ein für allemal los wäre.

Natürlich ist das alles, wie ich eingangs schon sagte, pure Spekulation. Sie basiert auf der Annahme, daß die verantwortlichen Akteure so intelligent sind und so risikobereit sind, wie ich das vermute. Und Wolfgang Schüssel als begnadeter politischer Spieler verfolgt natürlich keinen starren Plan, sondern zieht je nach Spielverlauf die geeignetst erscheinende Karte. Ein mir möglich erscheinendes Szenario habe ich dargestellt, aber man sich bekanntlich immer irren.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.