Mehr Markt - mehr Freiheit - mehr Verantwortung

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von Mag.Dr. Georg Vetter

Die aufkeimende Kapitalismusdebatte mutet schon recht seltsam an: Jene, die in der politischen Auseinandersetzung sehr schnell mit dem Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit hantieren, sind oft auch jene, die uns vor den Folgen der so genannten Globalisierung warnen und Fremdbestimmungsängste schüren. Jene, die überall eine Ausbeutung der Dritten Welt orten, gehen Hand in Hand mit jenen, die Schutzzölle gegen außereuropäische Waren fordern. Jene, die gegen das internationale Finanzkapital wettern, sind die ersten, die für ihre eigenen Projekte die Hand aufhalten.

Wie immer in der Geschichte haben die Menschen ein zwiespältiges Verhältnis zur Freiheit: Einerseits sehnen sie sich nach ihr, andererseits fürchten sie sich. Freiheit bedeutet auch Verantwortung, und die zu übernehmen ist nicht jedermann bereit. Geführt zu werden wie eine Herde scheint manchen ein Leben ohne Last. In dieses gefühlsmäßige Dilemma stoßen jene, die unter dem Schlagwort neoliberal die Angst vor einer freien Welt schüren. Was vor hundert Jahren Judenliberalismus hieß, heißt heute Neoliberalismus und meint immer noch dasselbe: Fürchtet Euch vor der Freiheit – und ihr habt Recht, wenn ihr Euch davor fürchtet!

Letztlich ist eine solche Mentalität die Wegbereiterin der Unmündigkeit. Daher ist es so wichtig, ein positives Verhältnis zur Freiheit zu finden. Wer einem Kind jahrelang einbläut, dass das Erwachsensein eine unerträgliche Verantwortung bedeutet, wird in der Erziehung versagen.

Niemand darf glauben, dass ein Zustand der immerwährenden Glückseligkeit erreicht werden kann. Leben wird immer Wandel und Veränderung bedeuten – darin liegt eben auch die Herausforderung. Einem Endzustand auf dieser Erde würde die Spannung des Lebens fehlen.

Wer andererseits daran glaubt, dass Erfüllung etwas mit der Möglichkeit zur Verwirklichung des eigenen Weges zu tun hat, wird sich nicht in die fürsorglichen Arme des Staates werfen. Er wird von diesem Staat größtmögliche Freiräume verlangen.

Ein erster Ansatz wird es sein, die Steuerbelastung zu senken. Wenn die Menschen meinen, dass sie selbst am besten wissen, wie sie ihren Weg gehen sollen, werden die Behörden nicht um die Verwirklichung irgendeiner Verteilungsgerechtigkeit angerufen werden, die letztlich nur von einer kleinen Minderheit nach deren eigenen Wertungen bestimmt würde. Die Minimierung der Steuerlast ist also eine Bedingung einer freien Gesellschaft. Die Senkung der Körperschaftssteuer auf 25 Prozent sowie die Einführung der Gruppenbesteuerung erscheinen diesbezüglich als Schritte in die richtige Richtung. Ähnliche Schritte bei der Lohn- und Einkommensteuer müssten konsequenterweise folgen.

Der rein pekuniäre Aspekt wird einer Gesellschaft freier Menschen aber nicht genügen. Sie werden eine Sehnsucht danach verspüren, ihr Leben frei zu gestalten. Hiezu bedarf es vor allem auch des Privateigentums und der Vertragsfreiheit, die beide vom Staat zu garantieren sind.

Der Schutz des Eigentums ist meiner Ansicht nach in Teilbereichen noch wesentlich verbesserungsfähig. Seit die Regierung im Jahr 2000 die Privatisierungsgeschwindigkeit erhöht und sich die Zahl der Eigentümer der österreichischen Großbetriebe vervielfacht hat, zeigt sich immer deutlicher ein rechtliches Defizit: Die Aktionäre in Österreich haben zu wenig Rechte. Sie dürfen investieren, aber zu wenig mitbestimmen. Sie haben keine durchsetzbaren Auskunftsrechte, ihnen werden bei Übervorteilung juristische Prügel zwischen die Füße geworfen und sie können relativ leicht und in einem bedenklichen, weil halbgeheimen Verfahren enteignet werden.

Wenn die großen Aktiengesellschaften die Träger der kapitalistischen Wirtschaft sind, dann ist das Aktienrecht folgerichtig deren juristisches Herzstück. Unser völlig veraltetes Aktienrecht, das in wesentlichen Bestimmungen noch aus der Zeit des Nationalsozialismus stammt, geht – wenig verwunderlich - von einem zu führenden, also verachteten Aktionär aus. Die Mündigkeit eines freien Menschen war nicht der Leitstern, der über der Wiege des nach wie vor geltenden Aktienrechts schwebte. So ist es verständlch, dass die Aktionäre in ihrer Rechtlosigkeit in eine Art Apathie verfallen sind, aus der sie sich selbst nur schwer befreien können.


Manager tragen zwar theoretisch eine große Verantwortung – wenn sie allerdings einen Fehler machen, können sie kaum zur Verantwortung gezogen werden. Wer es sich mit der Mehrheit seiner Aktionäre, also meist dem Mehrheitsaktionär, nicht verscherzt, wird praktisch nie mit Haftungsfällen konfrontiert sein. Tatsächlich existiert also ein Haftungsprivileg für die Organmitglieder unserer Großgesellschaften. Darüber weiß die breite Masse im deutschsprachigen Raum spätestens seit den Mannesmann-Abfertigungen Bescheid. Kein Wunder also, wenn die Kapitalismusdebatte auf dem fruchtbaren Boden des Unbehagens gedeiht.

Wenn Freiheit und Verantwortung zusammen gehören, darf es für Manager kein Haftungsprivileg geben. Eine Durchbrechung dieses Privilegs hat vor wenigen Wochen ein Gesetzesentwurf versucht, der Manager dann zur persönlichen Verantwortung ziehen wollte, wenn diese im Zuge einer Emission grob fahrlässig oder gar vorsätzlich falsche Angaben tätigen und dadurch Anleger schädigen. Vorsätzlich bedeutet Betrug, und auch grobe Fahrlässigkeit passiert einem anständigen Menschen nicht. Wer beispielsweise im betrunkenen Zustand mit seinem Auto in eine Menschenmenge rast, handelt grob fahrlässig.

Die Spitzen der österreichischen Wirtschaft haben diese Durchbrechung des Haftungsprivilegs aus dem Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz 2005 mit dem Argument herausreklamiert, dass eine solche Bestimmung dem Wirtschaftsstandort Österreich schade – und schon reagierte die Politik. Der geplante Paragraf wurde gestrichen.

Im Ergebnis haben sich die Wirtschaftsbosse mit diesem Lobbying mit jenen solidarisiert, die die Gauner ihrer Branche sind. Während jeder Steuerberater oder Anwalt für jede Fahrlässigkeit haftet, wäre hier nur eine Haftung für grobes Verschulden bei der Schädigung von Anlegern vorgesehen gewesen. Ich glaube, dass die Exponenten dieses Lobbyings sich gar nicht der Tragweite ihres Tuns – nämlich des Schutzes der schwarzen Schafe - bewusst gewesen sind. Somit haben jene, die möglichst viel Freiraum verlangen und den Sozialismus ablehnen, sich selbst eine geschützte Werkstatt geschaffen. Das nennt man einen Bärendienst.

Die Konsequenz eines nicht funktionierenden Rechtssystems wird immer der vermehrte Einfluss des Staates sein. Wovor die Vertreter einer freien und sozialen Marktwirtschaft jahrelang gewarnt haben, ist daher bereits Wirklichkeit geworden: Das Aktienamt. Das Aktienamt existiert in Österreich unter dem Namen der Übernahmekommission, die Aktionäre vor Benachteiligungen schützen soll. Diese (Inquisitions)Behörde ist so mächtig wie keine zweite. Sie hat Verordnungskompetenz, ist Richter und auch Strafbehörde. Sie erlässt Gebote und Verbote, gewährt Ausnahmen, beschneidet Stimmrechte und darf selbst Dividendenansprüche aussetzen. All das hat im Zusammenhang mit Böhler-Uddeholm zu einer intensiven Debatte geführt. Was allerdings noch nicht ausreichend erkannt worden ist, ist die Tatsache, dass der Machtanspruch des Staates die Kehrseite der mangelnden Individualansprüche darstellt.

Wir stehen in ständiger wirtschaftspolitischer Konkurrenz mit anderen Staaten, insbesondere unseren Nachbarländen. Deutschland hat uns mit seiner rot-grünen Jakobinerregierung bisher den Wettstreit einfach gemacht: Kapital ist wie auf einer schiefen Ebene nach Österreich geflossen. Sollte die Bundesrepublik nach der nächsten Bundestagswahl wieder Tritt fassen, wird es mit dieser Selbstverständlichkeit vorbei sein. Dann werden wir einen vertrauenserweckenden Rechtsrahmen brauchen, in dem die Eigentumsrechte qualitativ hochwertig definiert sind. Wer davon ausgeht, dass Freiheit und Verantwortung zusammengehören, wird auch den Aktionärschutz als Investitionsschutz verstehen.

Es bedarf eines solchen Verständnisses, um das Vertrauen in die freie Marktwirtschaft zu stärken. Darin liegt der wahre Dienst für den Wirtschaftsstandort Österreich.

Mag. rer. soc. oec. Dr. Georg Vetter ist Rechtsanwalt in Wien. Er ist Autor des Buches „Die neue Macht der Aktionäre“ (Ibera Verlag) und Vizepräsident des Clubs unabhängiger Liberaler.