Steuersenkung auf Pump versus Null-Defizit

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von Dieter Grillmayer

Im Zuge der Budget-Debatte im Parlament berichtete DIE PRESSE am 13. Oktober über eine aktuelle OGM-Umfrage, wonach ein Drittel des Wahlvolkes einem Null-Defizit und einer Fortsetzung der Bemühungen zur Budgetkonsolidierung mehr abgewinnen kann als einer Steuersenkung auf Pump, während 48 Prozent der Befragten daran glauben, dass die Entlastung der Steuerzahler die Nachfrage beleben und die Konjunktur ankurbeln wird, und dass sich eine Neuverschuldung damit längerfristig „rechnet“.

Das wirft zunächst einmal die Frage auf, welche Partei die doch recht beträchtliche Quantität der Null-Defizit-Befürworter eigentlich vertritt. Die SPÖ und die Grünen haben die vormalige Budget-Philosophie von Finanzminister Grasser und Bundeskanzler Schüssel stets verunglimpft, können also nun schwer eine Kehrtwendung machen, ohne gänzlich unglaubwürdig zu werden - ebenso unglaubwürdig wie die ÖVP, welche ihren neuen Kurs mit denselben Argumenten verteidigt, welche sie vormals vom Tisch gewischt hat. Es darf angenommen werden, dass Wolfgang Schüssel seinen fulminanten Wahlsieg vom Herbst 2002 vor allem dem Umstand verdankt, dass er Karl-Heinz Grasser, den „Erfinder“ des Null-Defizits, zu sich ins Boot holte, während die FPÖ mit der Knittelfelder Forderung nach einer Steuerreform - koste sie, was sie wolle - nicht nur nicht punkten konnte, sondern ein Wahldebakel erlebt hat. Der Bundeskanzler hat mithin nicht nur ein Glaubwürdigkeitsproblem; es werden auch viele seiner Wähler von ihm sehr enttäuscht sein. (Wahrscheinlich nimmt Wolfgang Schüssel das nur in Kauf, weil er das Null-Defizit mangels durchsetzbarer ausgabenseitiger Maßnahmen derzeit ohnehin nicht für erreichbar hält. Das rechtfertigt es aber m. E. nicht, darauf zu verzichten, einem ausgeglichenen Budget wenigstens so nahe wie nur möglich zu kommen.)

Gewiss: Man kann die Wünsche seiner Wählerschaft ignorieren, ja man wird das - zumindest als verantwortungsbewusste Regierungspartei - sogar tun müssen, wenn es sich um (gruppen)egoistische Begehrlichkeiten handelt und/oder wenn die Republik und ihre Bürger an der Wunscherfüllung Schaden nähme. Auf die Senkung der Körperschaftssteuer wird dies angesichts des von einigen neuen EU-Mitgliedern erzeugten Konkurrenzdrucks wohl zutreffen, bei der Einkommensteuerreform scheint mir aber eher das Gegenteil der Fall zu sein.

Die Senkung der Einkommensteuer kommt unmittelbar den Beziehern mittlerer Einkommen und den besser Verdienenden zugute, während die große Gruppe der Einkommensschwachen, darunter 78 Prozent aller ASVG-Pensionisten, die ohnedies nicht (mehr) steuerpflichtig sind, aus dieser Maßnahme keinen unmittelbaren Gewinn ziehen kann. Die „Oberschicht“ dieser Gruppe (z. B. die Pensionisten mit zwischen 820 € und 1.140 € Brutto-Monatsbezug) wurde allerdings durch die im Jänner 2004 in Kraft getretene und sozialpolitisch begrüßenswerte Steuerreform begünstigt, doch hat das dem Vernehmen nach kaum zu einer Belebung des privaten Konsums geführt.

Angesichts der an die Grenzen der Finanzierbarkeit stoßenden staatlichen Vorsorge und der schwindenden Arbeitsplatz-Sicherheit ist es weder verwunderlich noch unvernünftig, wenn zusätzlich verdientes Geld lieber auf die „hohe Kante“ gelegt als ausgegeben wird. Wenn also sogar jene, die gegenüber den Besserverdienern einen Nachholbedarf haben, in Zeiten wie diesen eher verhalten konsumieren, warum sollen dann jene die Geschäfte stürmen, die auch jetzt schon keinen Mangel leiden? Ob die Steuersenkung 2005 tatsächlich eine Konjunkturbelebung zur Folge haben wird, ist also keineswegs sicher.

„In den USA ist seit mindestens zwei Jahrzehnten unter den Theoretikern mehrheitlich klar, dass der Staat die Konjunktur nicht beeinflussen kann. ... In den USA spielt der Keynesianismus kaum noch eine Rolle. In Europa ist dieses Konzept noch nicht ausgestorben, plädieren vor allem die Gewerkschaften dafür, dass höhere Staatsausgaben die wirtschaftliche Flaute beleben sollen.“

Bernhard Felderer in DIE PRESSE vom 06.08.03

Auch wenn Generationen von Schülern das „deficit-spending“ als das non-plus-ultra der Wirtschaftspolitik vorgebetet worden ist und sie das verinnerlicht haben - der Praxis hält diese bequeme Theorie nicht stand. Schuld daran scheint mir vor allem zu sein, dass in Demokratien laufend Wahlen ins Haus stehen und dass jede Regierung versucht ist, mit allfälligen Überschüssen das Wahlvolk bei Laune zu halten, statt Schuldentilgung zu betreiben. In Österreich kommt dazu, dass viel zu lange viel zu viel Geld ohne Konjunktureffekt in marode Staatsbetriebe gepumpt worden ist. Daran seien jene erinnert, welche sich nach diesen Zeiten zurücksehnen.

In Österreich hat die Politik des „deficit-spending“ zu einer Staatsverschuldung in Höhe eines zwölfstelligen Euro-Betrages geführt. Allein die jährlich dafür anfallenden Zinsen belasten das Budget stärker als die Ausgaben für den gesamten Bildungsbereich. Gäbe es also diese unter SPÖ-Finanzministern in 30 Jahren angehäuften Schulden nicht, dann würde sich manche heute lautstark kritisierte Sparmaßnahme in diesem und anderen Bereichen völlig erübrigen.

Wenn also die Politik des Schuldenmachens den Budgetspielraum mittel- und langfristig immer mehr einengt, liegt es da nicht auf der Hand, damit endgültig Schluss zu machen? Konsequenterweise hat Karl-Heinz Grasser im Jahr 2000 als Finanzminister einer Partei, die das Ende der Schuldenpolitik stets gefordert hatte, dem Null-Defizit oberste Priorität eingeräumt. Vier Jahre später soll nun alles anders sein?

Die neue Ansage heißt „Senkung der Abgabenquote“. Diese soll von derzeit über 45 Prozent des BIP bis zum Jahr 2010 auf unter 40 Prozent gedrückt werden. Keine Frage, dass eine möglichst niedrige Abgabenquote zu den Prioritäten liberaler Politik gehört, dass die Bedeckung der notwendigen öffentlichen Leistungen aber gewährleistet sein muss. Was unter „notwendig“, insbesondere auf dem Gebiet der Sozialpolitik, zu verstehen ist, soll hier nicht diskutiert werden. Die Antwort auf diese Frage begründet aber in hohem Maß die sogar innerhalb der EU großen Unterschiede bei der Abgabenquote, wie etwa 31 Prozent in Irland und 51,4 Prozent in Schweden. (Zahlen von 2001; damals lag der Durchschnitt der EU-15 bei 41,7 Prozent.)

Das Beispiel Schweden belegt einerseits die Auswirkungen einer durch Jahrzehnte ungebrochenen sozialdemokratischen Vorherrschaft, und andererseits zeigt es auf, dass Österreichs Abgabenquote zwar hoch, aber sicher nicht unzumutbar ist. Daraus ergibt sich nochmals ein Argument für ein Festhalten am Null-Defizit:

Der unter sozialdemokratischer Vorherrschaft zwischen 1970 und 1999 angehäufte Schuldenberg ist zweifelsohne auch die Folge einer großzügigen Sozial-, Steuer-, Arbeitsplatz- und Gehaltspolitik, wovon viele aus der mittleren und älteren Generation materiell profitiert haben. Es wäre daher zumindest nicht unbillig, die Begünstigten mit einer entsprechend hohen Steuerleistung daran zu beteiligten, dass die Staatsfinanzen endlich wieder in Ordnung kommen. Wohlgemerkt, es würde ja niemandem etwas genom¬


genom¬men, und von einer Nicht-Steuersenkung ab Jänner 2005 wären ohnedies nur die Bezieher mittlerer und höherer Einkommen betroffen. Und letztlich deuten alle Wirtschaftsdaten darauf hin, dass sich Österreich in ein paar Jahren die fragliche Steuerreform und die Senkung der Abgabenquote ganz ohne Neuverschuldung (und auf einem dann niedrigeren Niveau des Schuldenstandes und des Zinsendienstes) würde leisten können.

Soviel an Einwendungen zur Abkehr vom Null-Defizit. Sie erheben nicht den Anspruch der Unfehlbarkeit, aber sie sind wohl durchdacht. Daher zum Abschluss noch einmal die Frage: Welche Partei vertritt die 33 Prozent der Null-Defizit-Befürworter, die in ihrer überwiegenden Mehrheit gewiss zu jenen Österreicherinnen und Österreichern gehören, für welche die vielbeschworene Nachhaltigkeit mehr ist als nur ein Modewort, die Gemeinnutz über Eigennutz stellen, die wertbewusst und zukunftsorientiert sind, indem sie darauf verzichten, es sich auf Kosten der Kinder- und Enkelgeneration gut gehen zu lassen, sondern die ihren Nachfahren nicht nur eine gesunde Umwelt, sondern auch gesunde wirtschaftliche Verhältnisse zu hinterlassen bemüht sind?