Buchbesprechungen II
Ohne Frage waren und sind Musizieren und Musikhören wie auch das Theaterspiel und der Tanz wesentliche Bestandteile des Lebens jüdischer Menschen; grad unter ihnen entwickelten sich besonders viele hervorragende Instrumentalisten, Sänger, Dirigenten, Komponisten, Schauspieler und Regisseure. In Deutschland haben Künstler jüdischer wesentlich zum Reichtum der Kultur beigetragen. 1933 begann deren gewaltsame Unterdrückung, Vertreibung und schließlich Ausrottung. Nach Beginn des Nazi-Regimes gelang es zunächst, trotz vieler Beschränkungen und Diskriminierungen, eine rege musikalische Tätigkeit aufrechtzuerhalten. Zu deren Zentrum wurde der Jüdische Kulturbund, der den aus Theatern, Orchestern, Konservatorien und Rundfunksendern entlassenen Künstlern Arbeits- und Wirkungsmöglichkeiten bot, diese gegenüber den Nazi-Dienststellen durchsetzte, und der wiederum künstlerische Erlebnismöglichkeiten bot und so der Demoralisierung begegnete. Im Zusammenwirken mit dem Jüdischen Kulturbund und von diesem unterstützt, setzten jüdische Chöre, bestehende und neue Orchester und Kammermusikgruppen sowie die zunächst noch in Deutschland verbleibenden Solisten, Dirigenten und Komponisten ihre – immer mehr durch Behörden eingeschränkt – Tätigkeit fort. Jüdische Organisationen, religiöse Gemeinschaften und Künstler entwickelten innerhalb der verordneten Beschränkungen ein reges und vielgestaltiges kulturelles Leben. Der Kulturbund Deutscher Juden entstand im Juli 1933, im April 1935 veranlassten die zuständigen Nazi-Dienststellen eine Umbenennung in Jüdischer Kulturbund in Deutschland. Die ghettoartige kulturelle Arbeit, so Stompor, wurde von den Nazis zunächst geduldet und sogar teilweise für Propaganda gegenüber dem Ausland geduldet.
Nach dem Terror vom November 1938 wurde diese Arbeit immer mehr erschwert; ab Sommer 1939 konnten nur noch Konzerte und einige Schauspielaufführungen erfolgen. Im Kulturbund Berlin hatte es bis dahin neben etwa 50 Schauspiel-Inszenierungen 19 Opern- und fünf Operetten-Inszenierungen gegeben, außerdem Kabarett- und Tanzveranstaltungen! Stompor hält fest, dass bis zuletzt in den Konzerten immer wieder neu entstandene Werke vorgestellt wurden und dass insbesondere die in Deutschland verbliebenen jüdischen Komponisten voller geradezu trotziger Aktivität waren. In der letzten Phase der jüdischen Kulturarbeit gab es zwischen den Künstlern und ihrem Publikum eine Gemeinschaft in zunehmender Todesgefahr.
Alle akademischen Schichten waren am Kulturbund-Leben beteiligt, auch die Pädagogen. Ein Exkurs: Der Kulturbund deutscher Juden Rhein-Main wurde 1934 in Frankfurt gegründet. Ein Aufruf hielt die Ziele fest: „Unser Programm umfasst Musik, Theater, Vortrag, bildende Kunst, Arbeitsbeschaffung für alle künstlerischen Berufe, Fortbildung und Ausbildung jüdischer Musiker. Hier erwächst den Jugendverbänden ein zeitgemäßes Aufgabengebiet. Wir wenden uns an alle[...]“. Unter Leitung von Hans-Wilhelm Steinberg wurde ein Orchester aufgebaut. Als Konzertmeister wirkte hier unter anderem Hans Bassermann, ein langjähriger Professor am Konservatorium in Leipzig.
Musik in Ghettos und Konzentrationslagern
Insofern war die Arbeit dieses Kulturbundes bis 1939 wie das Leben in einer (befristeten) Enklave. Musikalische und szenische Aufführungen gab es danach auch noch in den Ghettos Theresienstadt, Wilna, Warschau, Lodz und Amsterdam sowie in den Konzentrationslagern Buchenwald, Sachsenhausen, Ravensbrück, Dachau, Auschwitz und Westerbork in den Jahren 1941 bis 1944, teils illegal, teils geduldet und teils sogar von der SS angeordnet.
Von dieser Kulturarbeit gibt es noch weniger Zeugnisse als zu den Aufführungen im Jüdischen Kulturbund. Stompor hatte sich mit seiner möglichst lückenlosen Chronologie keine leichte Aufgabe gesetzt. Er wertete zahlreiche Tageszeitungen, Beschreibungen in Archiven, Nachlässe, Sammlungen aus, sprach mit überlebenden Beteiligten und schuf so eine in Text und Bild erstmalige Dokumentation.
Beate Hennenberg
Alexandra Scheibler, „Ich glaube an den Menschen“. Leonard Bernsteins religiöse Haltung im Spiegel seiner Werke (Studien und Materialien zur Musikwissenschaft, Bd. 22), Verlag Olms, Hildesheim; Zürich; New York 2001.
Eine neue wissenschaftliche Untersuchung zu Lennie Bernstein?!
Über den Komponisten, Dirigenten, Musikdidakten, Musikbegeisterer, Womanizer, Exzentriker und tiefen Grübler Leonard Bernstein gibt es zahllose ältere und neuere musikologische, literarische wie auch poetische schriftliche Niederlegungen, Notenmaterial aus seiner Feder, eine Fülle von Primärquellen, Fernsehproduktionen, Interviews, Texte aus Bernsteins Feder und CD-Booklets; diese schweben erwartungsgemäß auch im Internet.
Die Anzahl der Treffer bei der Eingabe des Namens in den Internet-Suchmaschinen sprengt jegliche Rahmen: Ob es um Aufnahmen diverser Labels geht, um Fotos, die ins Netz gestellt sind, ob ein Berlin-Hellersdorfer Musikgymnasium den Namen Leonard Bernstein verliehen bekommt, ob Bernstein-Videos bei eBay zu kaufen sind – Lennie Bernstein ist reichlich zehn Jahre nach seinem Tod fast aktueller denn je. Fast. Denn auch zu Lebzeiten schon war er eine Legende.
Zur Vita
Leonard Bernstein (1918-1990) gehört zweifelsohne zu den bedeutendsten Musikerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Mit 25 Jahren, am 24. August 1943, trat er mit der Uraufführung seines Songzyklus I Hate Music! Zum ersten mal als Komponist an die Öffentlichkeit. Vielleicht hätte er den Schwerpunkt seines Musikerdaseins mehr auf das Komponieren gelegt, wenn nicht am 14. November desselben Jahres sein Leben eine entscheidende Wendung genommen hätte. Der junge Bernstein sorgte für Furore, als er für den erkrankten Bruno Walter einsprang und in New York ein Konzert mit den Philharmonikern dirigierte. Der außerordentliche Erfolg des Konzertes machte ihn von einem Tag auf den anderen berühmt und bildete den Anfang einer international erfolgreichen Dirigententätigkeit. Was die meisten nicht wissen: Bernstein absolvierte auch ein zweijähriges geisteswissenschaftliches und musiktheoretisches Studium an der Harvard University.
Zahlreiche Wissenschaftler haben sich seines Werkes unter verschiedensten Blickwinkeln angenommen, dem großen Thema seiner Religiosität jedoch hat bislang hat keine akademisch fundierte Studie beikommen können.
Das Anliegen Scheiblers
Hier setzt die Autorin, eine gebürtige von Oppenheim, an mit vorliegender Untersuchung, die sich den jüdischen Wurzeln Bernsteins, des Verhältnisses Bernstein und Israel, der Nähe zu Gustav Mahler, der Auseinandersetzung mit christlichen Glaubensinhalten, dem Thema Musik als Form der Religionsausübung sowie dem komplexen Bereich Künstlerbild, Weltanschauung und religiosphilosophische Aspekte widmet. Erstmals ist sie der Frage nach religiösen Aspekten in dessen Leben und Werk nachgegangen:
Da ist zum einen Bernsteins jüdischer Hintergrund zu nennen. Beide Elternteile waren ukrainische Flüchtlinge und gehörten dem chassidischen Judentum an. Insbesondere der aus einer Rabbinerfamilie stammende Vater Leonard Bernsteins war gläubiger Jude und stets darum bemüht, seine drei Kinder im Sinne der jüdischen Religion und Tradition aufwachsen zu lassen. Und dass sich Leonard Bernstein auch aus eigener Initiative mit religiösen Inhalten beschäftigte, geht aus zahlreichen in Universitäten, Kirchen und Synagogen gehaltenen Ansprachen sowie aus seinen publizierten Schriften hervor. Diese verweisen auf sein Interesse an jüdischen, christlichen und religionsphilosophischen Themen.