Der Ablaßhandel mit der Republik
Haben wir mit Kant den Mut, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen. Denken wir über die jüngsten Zahlungen Österreichs für die Verbrechen im sogenannten dritten Deutschen Reich nach.
Nachdem sich vor wenigen Jahren diverse Schweizer Banken als Goldgruben erwiesen haben, haben nunmehr ein paar amerikanische Geschäftemacher die Einnahmequelle „Privatkrieg gegen Österreich“ entdeckt und drohen hinter vorgehaltener Hand, Österreich vor aller Welt an den nationalsozialistischen Pranger zu stellen. Unser Land soll in ein Schuldbekenntnis mit dem naheliegenden Zweck hineingeredet werden, in der Folge regen Ablaßhandel zu treiben – was läßt sich schon besser exploitieren, als ein schlechtes Gewissen, das zu jedem guten Menschen gehört. Die versuchte Transformation der Republik vom Opfer- zum Täterstaat ist sohin nicht frei von kommerziellen Motiven. Während bei den Studenten bis hin zu den Pensionisten gespart wird, fließen Milliardenbeträge in mehr oder weniger bekannte US-Opfer-Fonds der „holocaust industry“ (Norman Finkelstein). Das Verständnis der Österreicher wird irgendwann beschränkt sein und kann daher gleich als Beweis für offenen oder verdrängten Antisemitismus gewertet werden – auch dann, wenn sie etwa als Opfer, Bank Austria-Aktionäre und Steuerzahler mehrfach selbst Geschädigte sind.
Wir haben es hier mit einer Koalition von umtriebigen Geschäftemachern, politischen Falschmünzern und idealistischen Mitläufern zu tun, die jeden Widerspruch gegen ihre letztlich zweckgerichteten Schuldzuweisungen als Ausfluß einer ekelerregenden unheilbaren Krankheit erscheinen lassen und den „aberwitzigen Versuch“ unternehmen, „aus einem Gebäude, weil eine seiner Wohnungen ein Kranker innehat(te), ein Spital zu machen“ (Egon Friedell). Da Schuld und Verantwortung einen freien Willen voraussetzen, werden die Gewaltherrschaft auf der einen Seite und der Widerstand auf der anderen Seite heruntergespielt. Stattdessen wird dem Nationalsozialismus, so absurd es klingt, eine quasi-demokratische Legitimität unterstellt, die sich von irgendeiner dunklen Mehrheit ableiten soll. Die Unterdrückung wird verharmlost und sozusagen nur als eine Nebenerscheinung eines verkommenen Volkes empfunden, das sich die Peinigung selbst zuzuschreiben habe.
Solch eine Logik scheint sowohl Ursache als auch Folge eines antidemokratischen Selbsthasses zu sein, der bei manchen tatsächlich in persönlichen Schuldgefühlen begründet sein mag. Wer als Anti-Christus die Frohbotschaft negiert und die Geschichte nur als verhängnisvolle Aufeinanderfolge von Fehlentwicklungen betrachtet, wird irgendwann mit Horaz „das gemeine Volk hassen und es sich vom Leibe halten“. Er wird mit allen Ideologien den grundlegenden Fehler begehen, das Volk a priori zu idealisieren. Da es aber in jeder Gesellschaft Lügner, Betrüger, Kollaborateure und sonstige Verbrecher gibt, fallen Wir und Wir-Ideal bei den Puritanern der Macht bald auseinander und – seit Freud ist jeder Österreicher ein geborener Psychoanalytiker – es entsteht jenes Gefühl der Schuld, das gerne verdrängt wird. Großherzigkeit auf Kosten Dritter bietet sich an. Die extreme Rechte, die durch die Kollektivverantwortungsthese ihre Individualschuld relativiert, reicht der extremen Linken mit ihrer Täterstaattheorie die Hand.
Brauchen wir ein neues Volk? Brauchen die Russen, Chinesen und Kubaner ein neues Volk? Nein. Wir sollten nur die tiefe Ungerechtigkeit vermeiden, aus einem Opfer einen Täter zu machen. Und wir sollten an Hitlers nicht geringsten Feind Winston Churchill denken - ohne seine Worte auf die Goldwaage zu legen - der schon 1946 in Zürich ein „Ende der Vergeltung“ und einen „gesegneten Akt des Vergessens“ forderte: „Wir müssen uns von den Greueln der Vergangenheit abkehren und unseren Blick auf die Zukunft richten. Wir können es uns nicht leisten, durch die kommenden Jahre den Haß und den Wunsch nach Rache mitzuschleppen, die aus dem Unrecht der Vergangenheit entstanden.“
Mag.Dr.Georg Vetter Ist Rechtsanwalt in Wien. Er ist Vorstandsmitglied des Clubs unabhängiger Liberaler.