Was bringt die neue Regierung?
Die große Koalition der Jahre 1986-2000 hat ja, ganz im Gegensatz zu der spziell von links behaupteten Bekämpfung des Rechtspopulismus, diesen in Wirklichkeit exzessiv gefördert und groß gemacht. Ich unterstelle Wolfgang Schüssel, erkannt zu haben, daß Haider und seine Getreuen nur durch Einbindung in die Regierungs¬verantwortung auf ihren wahren Wert geprüft und damit reduziert werden konnten, und ich vermute, daß dieses Motiv bis heute wirksam ist.
Es ist aber, so vermute ich, nicht das einzige Motiv unseres Bundeskanzlers. Als ÖVP-Obmann war und ist er natürlich an der Größe und am Erfolg der ÖVP interessiert. Das zu begreifen, war für Jörg Haider offenbar zu schwierig: Dieser war offenbar der Meinung, Pflicht und Aufgabe des ÖVP- Obmannes sei es, für die Größe und den Ruhm der FPÖ zu sorgen. Da hat er aber irgendetwas wohl nicht ganz richtig verstanden. Dementsprechend groß war seine Empörung über den Koalitionsbruch im Herbst 2002. Übrigens meine ich, daß Jörg Haider diesen Koalitionsbruch genaugenommen völlig richtigerweise Wolfgang Schüssel anlastet – Schüssel und nicht Haider hat die Koalition gebrochen, schließlich hätte er ja auch damals, so wie er es ja jetzt auch tut, mit den Knittelfeldern weiterregieren können. Das wäre für die FPÖ natürlich sehr angenehm gewesen, und wäre es Wolfgang Schüssels Pflicht, für das Wohlergehen der FPÖ zu sorgen... und so weiter, siehe oben.
Haider, ein hervorragender Taktiker, aber schlechter Stratege, hat für sich selbst immer die Option offengehalten, die Regierung Schüssel 1 zu einem Zeitpunkt seiner, Haiders, Wahl platzen zu lassen, um dann selber Bundeskanzler zu werden. So hat er sich das jedenfalls gedacht. Schüssel hat aber Haiders geplante Taktik sich selbst zunutze gemacht und hat damit gegen Haider punkten können. Das zeigt ganz deutlich die Überlegenheit des nicht so perfekten Taktikers, aber genialen Strategen Schüssel über Haider. Dabei hat Haider erstmals auch schwerste taktische Fehler begangen, und zwar gleich drei:
Er hat nicht damit gerechnet, daß Riess-Passer zurücktreten würde, sondern angenommen, sie würde sich alles gefallen lassen.
Er hat nicht damit gerechnet, daß Schüssel die Koalition aufkündigen würde und Neuwahlen wagen würde.
Und er hat die Stimmung in der Wählerschaft der FPÖ völlig falsch eingeschätzt.
Daß Haider mit seiner Forderung nach sofortiger Steuersenkung bei Schüssel nicht landen konnte (obwohl auch namhafte Ökonomen und nicht nur Keynesianer höhere Staatsausgaben befürworteten) ließ bereits darauf schließen, was hinter dem tagespolitischen Streit steckte: Schüssels feste Entschlossenheit, die Staatsfinanzen nachhaltig zu sanieren, und zwar auch um den Preis, daß breite Teile der Bevölkerung unzufrieden sind.
Daß dies eine hochriskante politische Strategie ist, weiß man gerade in der ÖVP, hat diese doch in der Zeit ihrer Allein¬regierung 1966-1970 unter dem unvergessenen Professor Stephan Koren die Staatsfinanzen in sehr ordentliche Bahnen gelenkt, und ist dafür bei den Wahlen 1970 fürchterlich abgestraft worden. Daher kann ich mir nicht vorstellen, daß ein solcher strenger Sparkurs, wie er offensichtlich heute wieder gefahren wird, ohne begleitende Strategie gewagt würde. Dazu komme ich gleich.
Sparkurs und Pensionsreform sind eng verknüpft. Die Dringlichkeit einer Pensionsreform ist ja seit Jahrzehnten bekannt, und daß bestimmte politische Kräfte eine nachhaltige Reform immer vereitelt haben und zum Teil auch heute noch verhindern wollen, macht die Lösung des Problems nicht leichter, sondern ist die Ursache für viele Ungerechtigkeiten, die heute zwangsläufig kommen, weil man nicht rechtzeitig reformiert hat. Und das Jammern über die Unmöglichkeit einer entsprechenden Lebensplanung erscheint mir recht fragwürdig, da doch jeder, der wissen wollte, wissen konnte, daß das alte System nicht auf Dauer haltbar sein würde.
Vor rund zwanzig Jahren veröffentlichte Franz Kohmeier sein Buch „Adam Riese schlägt zurück“, in dem er all das genau beschreibt, was mit mathematischer Präzision seither eingetreten ist. Interessant ist, daß 1984, als wieder einmal eine kleine Pensionsreform gemacht wurde, von der man wußte, daß sie nicht reichen würde, daß also damals schon zwei Drittel der Österreicher nicht mehr an die Haltbarkeit des Pensionssystems glaubten. Vor zwanzig Jahren! Und heute sagen manche, es käme alles zu plötzlich!
Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Zitat aus Kohmeiers Buch, in dem er sich über die politischen Möglichkeiten bezüglich einer Pensionsreform äußert: (ich zitiere)
„Der Wohlfahrtsstaat kann nun auf diese Herausforderung mit zwei Strategien antworten:
- die Pensionsversicherung als Umverteilungsinstrument in der jetzigen Form um jeden Preis, selbst um den Preis eines späteren Zusammenbruchs, solange wie möglich aufrechtzuerhalten;
- durch eine rechtzeitige, echte, tiefgreifende Reform zumindest den Kern der sozialen PV auf Dauer überlebensfähig zu machen
- Die dritte mögliche Entwicklung wäre, daß der kollektive Wohlfahrtsstaat als Holzweg der Geschichte erkannt und in einen, dem mündigen Bürger entsprechenden Sozialstaat übergeleitet wird. Dies würde jedoch einen grundlegenden politischen Klimawechsel voraussetzen. Die wachsende Einsicht in die Unfinanzierbarkeit dieses Wohlfahrtsstaates würde diesen Klimawechsel sicher fördern, wenn nicht sogar herbeiführen.“ (Zitat Ende)
Es läßt sich jedenfalls sagen, daß nicht Möglichkeit zwei sondern Möglichkeit eins genutzt wurde. Und wir dadurch jetzt allmählich bei Position drei angelangt sind.
Soviel zur zwingenden Notwendigkeit der Pensionsreform.
Nun aber zunächst noch zur heurigen Regierungsbildung. Wenn man davon ausgeht, daß Wolfgang Schüssel seinen Sparkurs ernst nimmt, muß man davon ausgehen, daß er auch die Pensionsreform ernstnimmt. Wenn er aber die Pensionsreform ernstnimmt, so wird er zum Zeitpunkt des Auslaufens des Legislaturperiode selber noch nicht in Pension gehen können. Wenn er aber noch nicht in Pension gehen kann, wird er, so nehme ich wenigstens an, wohl weiterhin nach Möglichkeit zumindest eine wesentliche Rolle in der Politik spielen wollen, möglichst seine derzeitige Rolle. Das kann er aber nur, wenn er bei den nächsten Wahlen kein Desaster erlebt. Bei einer Koalition mit der SPÖ, so bequem sie für beide daran beteiligten Parteien gewesen wäre, oder mit den Grünen, so charmant diese Option auch sein mag, wären jene Wähler, die von der FPÖ zur ÖVP gewechselt sind und die natürlich keineswegs gleich zu Stammwählern der ÖVP geworden sind, sofort wieder weg gewesen. Und kein ÖVP-Obmann überlebt in seinem Amte einen derartgen Verlust an Wählern.