Terror, Sicherheit und Liberalismus

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von Rainer Ernst Schütz

Wer behauptet, die Welt hätte sich seit dem 11. September gewandelt, hat nur in einer Hinsicht recht; nämlich hinsichtlich der Rezeption von Problemlagen durch die breite Öffentlichkeit. Die Möglichkeit, Passagierflugzeuge zu kapern und sie gegen Ziele zu steuern, gab es schon vorher und gibt es weiterhin. Die Möglichkeit, durch terroristische Anschläge gewaltigen (in jedem Wortsinn) Schaden anzurichten, gab es und gibt es; nur wurden bisher Warnungen vor dieser Möglichkeit oft als unsinnige Ängste hysterischer Spinner abgetan oder gleich unterstellt, wer die öffentliche Sicherheit erhöhen möchte, wolle in Wirklichkeit einen Polizeistaat errichten.

In diesem Zusammenhang sollte doch an die Wurzeln des Liberalismus erinnert werden. Von seinen Gegnern wurde ihm unterstellt, die Staatsvorstellung des Liberalismus sei der so-genannte „Nachtwächterstaat“, in Zeiten nationalistischen Staatsverständnisses ein Schimpf wort sondergleichen. Klassische Liberale hängen dieser Vorstellung aber unverdrossen an: Der Staat solle sich aus dem Leben der Bürger möglichst heraushalten, mit der (selbst-verständlichen) Ausnahme der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit. Es ist gut, sich diese liberale Grundvorstellung in Erinnerung zu rufen, gibt es doch gerade heute nicht wenige politische Kräfte, die als angebliche Liberale gerade das Gegenteil fordern, nämlich die Einmischung des Staates in alle möglichen Lebensbereiche, von der materiellen Grundsicherung über Gleichstellungsgarantien bezüglich der Geschlechter bis zur Förderung bestimmter sexueller Vorlieben – nur eines solle der Staat moglichst nicht tun: zum Schutz der Sicherheit Daten sammeln.

Dabei ist der Datenschutz als ursprüngliches liberales Anliegen vor allem gegen die Belästigung der Bürger durch unverlangte und unerwünschte Zusendungen konzipiert worden und als Schutz gegen das Ausspähen lukrativer Verbrechensopfer durch kriminelle Kräfte. Unter dem offensichtlichen Einfluß von Nostalgikern der 68-er Revolte hat sich sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung des Datenschutzes als auch in der öffentlichen Wahrnehmung der Bürgerrechte der Schwerpunkt weg vom Schutz der Bürger verlagert hin zum Schutz von Verbrechern vor staatlicher Verfolgung.

Das ist besonders skurril in einem Land, das ja eine lange Tradition mit staatlicher Datenverwaltung hat. Seit jeher werden die Daten der Bürger in Österreich staatlich verwaltet. Von der Geburts- über die Heirats- bis zur Sterbeurkunde, von der Krankenversicherung und ihren Leistungen, den Kraftfahrzeugdaten, den Wohnverhältnissen (ermittelt in Volks¬zäh¬lun¬gen), dem Aufenthaltsort (dokumentiert durch den Meldezettel) bis zur persönlichen Identität, nachzuweisen durch Paß oder Personalausweis, wird alles vom großen Bruder verwaltet. Es ist noch nicht allzu lange her, daß die bis dahin bestehende Pflicht zum mit sich führen eines Personaldokumentes abgeschafft wurde (für den Führerschein gilt sie immer noch).

Angelsächsische Länder haben da eine andere Tradition. Meldezettel etwa sind völlig unbekannt, und Personalausweise, da nur im Reisefall benötigt, eine Angelegenheit von Minderheiten; in den USA wird die Zahl derer, die einen Reisepaß besitzen, nur auf etwa 5% geschätzt. Großbritannien und die USA überlegen nun, unter dem Eindruck des 11. September, inwieweit sie ihre Sicherheitslage durch die Einführung von Identitätsprüfungen verbes¬sern können. Für diese Länder wäre eine Einführung eines Personalausweises tatsächlich eine geradezu revolutionäre Umstellung, die auch die Überwindung psychologischer Hemmschwellen beinhaltet. Für Österreich hingegen bleibt im Prinzip alles beim alten, bis auf die Frage, wie die Fälschungssicherheit von Personaldokumenten optimiert werden kann.

Ähnlich ist die Lage in Deutschland. Der SPD-Abgeordnete Dieter Würfelspütz forderte die flächendeckende Einführung des Fingerprintsystems für Personalausweise, und Innenminister Otto Schily (SPD) prüft ernsthaft diese Forderung. Für und wider wird diskutiert. Nicht so in Österreich. Eine Forderung nach Einführung des Fingerprintsystems wird sofort als Generalverdächtigung aller Österreicher interpretiert und als rechtsextremer Skandal abgetan. So ärgerlich die Verweigerung der Diskussion des Für und Wider insbesondere für die Sicherheitslage sein mag, in Wahrheit hat die Opposition damit wieder ein Geschenk an die FPÖ überreicht. Denn es sieht nicht nur jetzt schon die Meinung der Bevölkerung ganz anders aus als die der Opposition und vieler Kommentatoren, sie wird sich in kurzer Zeit noch signifikant verändern, und zwar zugunsten des Fingerprintsystems. Die Markteinführung dieses Systems steht unmittelbar bevor. Die kommenden Automodelle werden bereits schlüssellos mit Fingerprinterkennung ausgeliefert werden, und wer die Mentalität der autoverrückten Österreicher kennt, kann sich die Folgen leicht ausmalen. Überdies werden in großem Ausmaß Firmen ihre interne Sicherheit mit diesem System erhöhen, und wer jeden Tag seinen Fingerprint beim Betreten seines Büros abgibt, wird es kaum als Skandal empfinden, wenn eben dieser Fingerprint auch in seinem Personaldokument gespeichert ist. Es läßt sich also leicht prophezeien, daß die FPÖ in ein, zwei Jahren als strahlende Siegerin in diesem Themenbereich dasteht.

Über dieser Frage innenpolitischer Taktik darf aber nicht die Frage der moralischen Bewertung vergessen werden. Immer wieder ist ja zu hören, der liberale Rechtsstaat leide unter einer stärkeren Überwachung der Bürger. Gerade Parteien, die zumindest wirtschaftspolitisch scharfe antiliberale Attacken zu reiten gewohnt sind, machen sich dafür stark, „liberale Werte“ zu retten, indem sie den Bürger vor Kontrolle schützen wollen. Und soweit es sich um die unkon¬trollierte Sammlung und Weitergabe von Daten an Unbefugte handeln sollte, haben sie natür¬lich recht und müssen aus liberaler Sicht unterstützt werden. Aber wo soll das der Fall sein?

Mir ist nichts bekannt von Plänen, etwa die Finanzdaten von Firmen an deren Konkurrenten weiterzugeben. Mir ist nichts von Plänen bekannt, die privaten Liebschaften der Politiker ins Internet zu stellen. Mir ist nichts von Plänen bekannt, die Safecodes von Bankkunden an das organisierte Verbrechen weiterzuleiten. Und Pläne, die private Steuererklärung der Bürger öffentlich zu machen, gibt es nicht rechts, sondern links der Mitte im Parlament

Und die Sammlung von Daten durch Befugte ist ja wohl der Sinn der Sache: Der Kriminalpolizei wird es ja wohl erlaubt sein müssen, eine Datei über Kriminelle zu führen. Überhaupt ist mir nicht recht verständlich, wo in der Verweigerung der Weitergabe von Daten an Befugte ein ethischer Wert versteckt sein könnte? Ist es ethisch wertvoll, die Polizei zu behindern, ist es ethisch wertvoll, die Meldebehörde über seinen Aufenthaltsort zu belügen? Ist es ethisch wertvoll, seinen Personalausweis zu fälschen? Ist es ethisch wertvoll, dafür einzutreten, daß Personalausweise leicht fälschbar bleiben?

Ich sehe ethischen Wert ganz umgekehrt in der Sicherheit der Bürger und nicht in der Sicherheit der Verbrecher. Und die weitaus meisten Bürger sehen das genauso; in den neuen Bundesländern der BRD beginnt sogar die PDS das zu begreifen und startet eine Sicherheitskampagne. Nur in Österreich haben manche Parteien noch die Schlafmütze auf.

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