Die Wende in den Köpfen
Seit Monaten beschäftigt mich die Frage, wie sinnvoll oder wie überflüssig es ist, den zahlreichen Kommentaren zum Wahlausgang vom 24. November und den daraus zu ziehenden Lehren noch einen hinzuzufügen. Die jüngsten Entwicklungen geben nun aber auch zu aktuellen Anmerkungen Anlass.
Mein besonderes Interesse gilt dem Umstand, dass im Herbst 2002 nahezu alle abtrünnig gewordenen FPÖ-Wähler zur ÖVP wechselten, also offenbar mit Studienbeiträgen, Ambulanzgebühren, Abfangjägerkauf und aufgeschobener Steuerreform einverstanden waren, weiteren Beschränkungen bei den Sozialleistungen des Staates tapfer ins Auge sahen und einem ausgeglichenen Staatshaushalt Vorrang einräumten gegenüber der in die Jahre gekommenen Doktrin, dass Schuldenmachen eine heilige Pflicht sei, wenn das Wirtschaftswachstum nachlasse und die Arbeitslosenzahl ansteige. Die populistischen Versprechungen der Opposition und der sonstigen Gegner des Regierungskurses blieben hingegen fast wirkungslos.
Ich fasse dies als ein Indiz dafür auf, dass die schwarz-blaue Wenderegierung auch ein Umdenken, eine Wende in den Köpfen der Wähler eingeleitet hat, weg vom kurzsichtigen Anspruchsdenken, hin zur Einsicht, dass man unangenehme Wahrheiten auf Dauer nicht ignorieren kann. Viele der heute 30- bis 50-jährigen Wähler sind volkswirtschaftlich beschlagen genug, um genau zu wissen, dass es großer Schnitte z. B. im Gesundheitswesen oder bei den Pensionen bedarf, wenn sie von den hohen Beiträgen, die sie jetzt dafür leisten, im eigenen Alter noch etwas haben wollen. Egoismus ist also weiterhin im Spiel. Gute Politik ist die Kunst, dieses Phänomen in (ge)rechte Bahnen zu lenken.
Umso mehr wundere ich mich, dass die neue Bundesregierung den Verkaufsschlager vom prioritären Nulldefizit gegen die Ankündigung einer großen Steuerreform ausgetauscht hat und damit zu einer Politik zurückkehrt, welche die Begehrlichkeiten unserer Wohlstandsgesellschaft mit geliehenem Geld finanziert. Diese bisher unter dem Markennamen „SPÖ“ verkaufte Politik ist letztlich für den geringen Budgetspielraum und die hohe Steuerquote verantwortlich, die uns heute zu schaffen machen. Es kann gar nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass allein der Zinsendienst für die Staatsschulden jährlich mehr Geld „frisst“ als dem Bildungsministerium insgesamt für Unterricht, Wissenschaft und Forschung zur Verfügung steht, und dass jeder Österreicher vom Baby bis zum Greis monatlich mehr als 1000 Schilling weniger bezahlen oder mehr bekommen könnte, gäbe es diesen Schuldenberg nicht.
Selbstverständlich verschließe ich mich nicht dem Argument, dass eine Budgetsanierung mit Augenmaß erfolgen muss und dass „soziale Kälte“ ein Vorwurf ist, dem es zu begegnen gilt. Ich kritisiere daher nicht die Absicht, die ganz schlecht bezahlten Berufsgruppen ab 2004 völlig steuerfrei zu stellen, ganz im Gegenteil. Wenn ein marktwirtschaftlich orientierter Staat schon keine Mindestlöhne garantieren kann, so sollte er wenigstens bei denen auf Steuerleistungen verzichten, die zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel verdienen. Diese Maßnahme macht auch nur einen Bruchteil der für 2005 angekündigten großen Steuerreform aus, die das Defizit auch unter günstigen Rahmenbedingungen, insbesondere der Realisierung angepeilter Ausgabenkürzungen, wieder auf mindestens 1,5 Prozent des BIP hochtreiben wird.
Allen Statistiken zufolge liegt Österreich hinsichtlich des wichtigsten Wohlstands-Indikators, der Kaufkraft seiner Bevölkerung, im europäischen Spitzenfeld. Wäre es da nicht mehr als gerechtfertigt, eine hohe Steuerquote so lange in Kauf zu nehmen, bis der Staatshaushalt wirklich nachhaltig saniert ist? Etliche mit Österreich durchaus vergleichbare EU-Staaten haben es binnen weniger Jahre geschafft, von einer Defizitwirtschaft zu einem Budgetüberschuss zu kommen, z. B. Finnland von -4,7% auf +6,7%, Schweden von -6,9% auf +4,0%, Irland von -2,2% auf +4,5% und die Niederlande von -4,0% auf +2,0% (1995 - 2000). Warum sollte das bei uns nicht möglich sein? Nicht nur dass damit der Schuldenstand und der Zinsendienst abnimmt und Geld für wesentlich sinnvollere Ausgaben freigemacht werden kann - ein sanierter Staatshaushalt ist schlichtweg die erste Voraussetzung dafür, auch für Krisenzeiten gerüstet zu sein. Eine Regierung, die ihre Planung im Bereich der Finanz-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auf ein ständiges (und damit unbeschränktes) Wirtschaftswachstum abstellt, handelt zumindest fahrlässig. Jeder private Haushaltsvorstand muss finanzielle Rückschläge einkalkulieren, wenn er nicht sich und die Seinen einer ständigen Existenzbedrohung aussetzen will.
Ich hege ernste Zweifel daran, dass ein höheres Nettoeinkommen, als es die Verhältnisse erlauben, für die überwiegende Mehrheit der Österreicher mehr Zuwachs an Lebensqualität bringt als das Bewusstsein, in einem auf sicheren Fundamenten ruhenden Staat von hohem internationalen Ansehen zu leben, und ebenso bezweifle ich, dass eine Volkswirtschaft wirklich gesund und krisensicher ist, deren Erfolg von stets wachsenden Geldflüssen abhängt und die dies nur durch die Produktion höchst überflüssiger Konsumgüter und ihrer mit hohem Werbeaufwand verbundenen Vermarktung erreichen kann.
Ich würde mich zu diesem Thema nicht so prononciert äußern, hätte ich nicht durch viele Gespräche im Bekanntenkreis den Eindruck gewonnen, dass ich mit meinen Bedenken nicht allein dastehe und dass viele Menschen in diesem Land irritiert sind, weil sie sich von einer Neuauflage der Mitte-Rechts-Regierung auch eine Fortsetzung der Wende-Politik erwartet hätten, einer Politik, die mithin auch eine Wende in den Köpfen fördert und nicht konterkariert.
Es ist augenscheinlich, dass diese Situation mit der nach wie vor offenen Frage über den künftigen Kurs der Freiheitlichen zusammenhängt. Jörg Haider und sein Anhang wollen noch immer nicht wahr haben, dass die Wahlniederlage vom 24. November auch gezeigt hat, dass die Knittelfelder Forderungen (insbesondere die nach einer raschen Steuersenkung) und die Vorliebe für den „kleinen Mann“ bei der freiheitlichen Anhängerschaft bei weitem nicht so gut angekommen sind als der mutige Reformkurs der zurückgetretenen „Publikumslieblinge“ Riess-Passer und Grasser. Solange die FPÖ nicht zum Kurs einer politischen Erneuerung Österreichs ohne Wenn und Aber zurückkehrt, solange sie sich eher als unsicherer Kantonist darstellt und in der Koalition als „Bremser“ betätigt, wird sie, zumindest als Regierungspartei, nicht wieder Tritt fassen.
Dabei gäbe es für sie auch im Bereich des Immateriellen ein weites Betätigungsfeld, ihr Profil zu schärfen und die Wende in den Köpfen voranzutreiben. Es wäre nämlich hoch an der Zeit, gezielt und beharrlich die Dogmen zu hinterfragen, die im Gefolge der 68er-Bewegung aufgekommen und von vielen Gutmeinenden naiv und ungeprüft übernommen worden sind. Denn die negativen Folgen sind unübersehbar, zumindest für jene, die sehen wollen und die aus eigenem Erleben die Fünfziger- und Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts mit der Jetztzeit vergleichen können.
Wer das nicht kann, der schaue sich einmal im TV-Nachmittagsprogramm die alten Spielfilme an und vergleiche das damalige gesellschaftliche Klima, die damalige Einstellung etwa zu Ehe und Familie, zu Mannsein und Frausein mit dem, was heute propagiert und gelebt wird. Im