Die Wende in den Köpfen

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von Dieter Grillmayer

Bereich der Sexualität ist nahezu jedes Tabu gebrochen, der Feminismus hat sich zum Selbstzweck emanzipiert, statt sich in eine wertschätzende Partnerschaft einzubringen, mit Familienzerstörung, Scheidungsrekord und Geburtenrückgang im Gefolge, es geht vielfach gewalttätiger zu als je zuvor, und auf dem Kunst- und Bildungssektor ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Ergebnis dieser Fehlentwicklung sind Sinnkrise, Orientierungslosigkeit und die (von den Wachstumsfetischisten geförderte) Flucht in die Konsum- und Spaßgesellschaft.

Meine besondere Sorge gilt den Fragen von Bildung, Erziehung und Unterricht, bin ich doch nicht nur 35 Jahre lang Lehrer und Schulleiter gewesen, sondern überhaupt den Idealen der Aufklärung und des liberalen Bildungsbürgertums besonders verpflichtet, in dem das Dritte Lager seine Wurzeln hat. Nach meinem Verständnis kann Schule nur dann ihren Auftrag erfüllen und den hohen Steueraufwand dafür rechtfertigen, wenn sie sich als Bildungsunternehmen und Leistungsgemeinschaft versteht und von der Öffentlichkeit auch so gesehen wird. Schule ist weder eine Kinderbewahranstalt, wo der „Spaß“ dominieren muss, noch ein Instrument zur Gesellschaftsveränderung. Lehrer und Schüler bilden eine Arbeitsgemeinschaft auf der Basis gegenseitigen Vertrauens und guten Benehmens. Auf beiden Seiten dürfen Anstrengungen zur Erreichung der Bildungsziele erwartet werden, und ein Bildungsministerium trägt seinen Namen nur dann zu Recht, wenn es für solche Grundsätze massiv wirbt und kompromisslos gegen zeitgeistige Beliebigkeit, Bequemlichkeit, Oberflächlichkeit, Egoismus, Konsum- und Vergnügungssucht auftritt.

Was soll man dann aber von einer Bildungsministerin halten, welche die Reduzierung von Unterrichtszeit mit der Begründung ankündigt, die Schüler müssten „entlastet“ werden? Unter Experten ist unbestritten, dass von einer Überforderung im österr. Schulwesen derzeit höchstens dort die Rede sein kann, wo eine nicht begabungsgerechte und damit falsche Schulwahl getroffen wurde. Ebenso unbestritten ist, dass zu einer fundierten Bildung und Ausbildung kein bequemer Weg hinführt und dass insbesondere das Erreichen höherer Qualifikationen einen Zeitaufwand erfordert und rechtfertigt, der beträchtlich über den 38,5 Wochenstunden der Arbeitswelt eines Erwachsenen liegt.

Muss man unter diesem Blickwinkel die Ankündigung der Ministerin nicht als bildungsfeindlich ansehen, da sie das öffentliche Bewusstsein zu diesem Thema (wieder einmal) negativ beeinflusst, und weil es ja in Wirklichkeit nur ums Geld geht? Auch der Hinweis auf weniger Unterrichtsstunden in nahezu allen anderen OECD-Ländern ist sehr oberflächlich, müsste man doch bei einem Ländervergleich die Bildungssituation in ihrer Gesamtheit studieren und nicht nur die von den Kindern in der Schule verbrachte Zeit herausgreifen. Seit Jahrzehnten werden die Lehrer in Österreich angehalten, den Lehrstoff in der Schule so gut aufzubereiten und den Bildungszuwachs so gut zu festigen, dass eine häusliche Arbeit nur in Ausnahmefällen nötig erscheint. Was unter diesen Umständen die Streichung von zwei Wochenstunden für Konsequenzen nach sich zieht, sollte den Verantwortlichen doch klar sein.

Zweifellos ist in den 35 Jahren meiner Berufstätigkeit die Schere zwischen Kosten und Nutzen, zwischen den Bildungsausgaben des Staates und dem Erfolg aller Unterrichtsbemühungen, immer weiter aufgegangen. Die Gründe dafür sind vielfältig, wobei die schleichend, aber stetig zunehmende Wohlstandsverwahrlosung des Nachwuchses und der Wandel des Bildungsideals besonders hervortreten. Wer also eine Trendwende einläuten will, der muss bewusst machen, dass Bildung untrennbar mit Erziehung verbunden ist, und der muss Bildung wieder als Selbstzweck propagieren oder zumindest dem Vorrang von Praxisbezug und Lebensnähe ganz kräftig widersprechen. Ein Signal in diese Richtung wäre die Forderung, das ach so „überflüssige“ Latein, ein Kulturgut ersten Ranges, für den Nachweis einer höheren Bildung wiederum verbindlich zu machen. An einen Einführungskurs in der dritten und vierten Klasse aller AHS-Formen könnte sich in der Oberstufe ein „langes“ Latein oder, alternativ dazu, eine lebende (romanische oder slawische) Fremdsprache anschließen.

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