Die Verharmlosung der Massenvernichtungswaffen
Der weltweite Sarkasmus, mit dem das erfolglose Suchen nach den Massenvernichtungswaffen im Irak quittiert wird, erinnert an einen fatalen Zusammenhang der Kriegsgeschichte: Im ersten Weltkrieg verbreitete sich bei den Entente-Mächten das Gerücht, dass die Mittelmächte großangelegte Massenvernichtungslager eingerichtet hätten. Nach dem Krieg stellte sich heraus, dass es diese Massenvernichtungslager nicht gab. Als ebensolche Gerüchte über Massenvernichtungslager der Deutschen im Zweiten Weltkrieg auftauchten, wurden sie nicht mehr ernst genommen. Man glaubte an eine neuerliche Propaganda. Die Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg sollen auch dazu beigetragen haben, dass die Aliierten nicht mit größerer Geschwindigkeit die Konzentrationslager befreiten. Die Überraschung bei vielen war groß, das Entsetzen ebenso.
Eine ähnliche Gefahr ist heute im Zusammenhang mit den Massenvernichtungswaffen gegeben. Solche Waffen existieren zweifellos und werden sich ebenso zweifellos eines Tages auch in den Händen unberechenbarer Despoten befinden. Wird man sich dann der Irak-Erfahrungen erinnern, tatenlos bleiben und in der Folge ein böses Erwachen erleben? Oder wird und muss man im Zweifel nicht jeden Despoten, der über Massenvernichtungswaffen verfügen könnte, entwaffnen?
Wenn in unserer Gesellschaft der Verdacht besteht, dass es etwa Gewalt in der Familie gibt, wird ein Gericht im Zweifel eher für eine staatsgewaltlich durchgesetzte Wegweisung entscheiden als die Dinge bis zur Katastrophe eskalieren zu lassen. Lieber 10 Mal zu Unrecht weggewiesen als einmal untätig den Gewaltausbruch geschehen lassen, scheint die Devise zu sein.
In der internationalen Politik sollte kein anderer Maßstab gelten. Im Zweifel sollte die Ordnung auch mittels Gewalt aufrecht erhalten werden, um sich nicht später dem Vorwurf ausgesetzt zu sehen, angesichts der drohenden Katastrophe untätig gewesen zu sein.
Manche werden meinen, dass Entscheidungen nur auf Grund sicherer Informationen getroffen werden sollten. Das ist, so schon Clausewitz, „elender Büchertrost“. Die Staatsführung entscheidet immer auf Grund unsicherer Informationen. Der Feldherr steht immer auf einem Hügel, von dem er viel zu sehen glaubt. Der Historiker aber, der die Geschichte immer im Rückspiegel sieht, erhebt sich auf einen Überhügel, von dem aus er das Schlachtfeld noch besser übersieht. Das ist, im Gegensatz zur Staatsführung, keine Kunst. Im übrigen bestätigen die vielen Bomben, die wöchentlich Dutzende Opfer fordern, vielmehr die Existenz massengefährdender Waffen im Irak, auch wenn diese in der Regel von diversen Terroristen kurzfristig und weltweit organisiert werden. Die Anschläge im Irak sind kein Argument gegen die Durchsetzung einer nichtdespotischen Ordnung, sondern ein schlagendes Argument für die Legitimation des amerikanisch-britisch-spanisch-polnischen-australischen Vorgehens. Wer die Berechtigung des Irak-Krieges wegen der nichtgefundenen Massenvernichtungswaffen bestreitet, verharmlost letztere.
Wir Österreicher kiefeln immer noch daran, dass wir im März 1938 keinen militärischen Widerstand geleistet haben. Internationale Solidarität und nicht Isolation muss daher gerade aus unserer Erfahrung die richtige politische Konsequenz sein. Ein Festhalten an einer Neutralität, die nie als Selbstzweck, sondern immer als Mittel zum Abzug der Besatzungsarmeen konzipiert war, wäre ein schwerer Fehler. Gerade die Demokratien müssen zusammenhalten. Wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass uns andere Nationen, von denen wir uns distanzieren, im Fall des Falles selbstlos unterstützen werden. Ebenso wenig sollte unser internationaler Beitrag nur auf konsensuale Anweisungen der Vereinten Nationen beschränkt sein. Da in diesem Forum nach wie vor totalitäre Staaten die überwiegende Mehrheit stellen, wäre es geradezu eine Absage an die Demokratie, europäische Solidarität wegen der eigenen Neutralität hintanzustellen und sich auf internationaler Ebene ausschließlich auf Beschlüsse der UNO zu verlassen. Als Bewohner eines kleines Landes, das selbst einmal überfallen worden ist, sollte wir die Solidarität Gleichgesinnter nicht gering schätzen.
Den Menschen hinsichtlich der historischen Überholtheit der Neutralität reinen Wein einzuschenken, ist eine zentrale Aufgabe einer weitsichtigen und verantwortlichen Politik. Der bevorstehende Wahlkampf um die Bundespräsidentschaft gibt zumindest zwei Kandidaten die Gelegenheit, sich abseits eines unverständlichen Populismus als weitsichtiger Staatsmann oder als weitsichtige Staatsfrau zu profilieren.
In einer immer gefährlicher werdenden Welt ist es keine Lösung, lautstark Neutralität zu schreien oder sich in verharmlosenden Zynismus zu flüchten.
Dr.Georg Vetter ist Rechtsanwalt in Wien