Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg im Club - Vortrag: Die Juden in Wien

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Am 21. Februar war das religiöse Oberhaupt der jüdischen Gemeinde Österreichs im Club zu Gast. Der für seine Intelligenz und seinen feinen Sinn für Humor bekannte, aus einer Rabbinerfamilie mit ungarischen Wurzeln stammende Mann, hat nach dem Studium von Mathematik und Statistik in Wien, in Jerusalem ein Rabbinatsstudium absolviert.

In seinem Vortrag schilderte er in höchst kurzweiliger Form persönliche Erfahrungen, Beobachtungen und Anekdoten aus dem Leben seiner Gemeinde in Wien.

Zwar habe er sich vorgenommen, die Shoah nicht anzusprechen, doch komme er darum nicht ganz herum. Immerhin sei es nach dem Kriege notwendig gewesen, die stark dezimierte Kultusgemeinde völlig neu aufzubauen. Die geringe Zahl der verbliebenen und wiedergekehrten Juden mache eine materielle Unterstützung jüdischer Einrichtungen durch öffentliche Stellen notwendig. Einiges – nicht alles – habe sich in den letzten Jahrzehnten zum Besseren gewendet. Insbesondere durch die „Waldheim-Krise“ bedingt habe es ein Umdenken, eine Beschäftigung breiter Kreise der Bevölkerung mit Juden betreffenden Fragen gegeben. Erstmals sei zu dieser Zeit akzeptiert worden, dass Österreich nicht ausschließlich das erste Opfer der Hitler´schen Aggression gewesen sei. Viele Österreich hätten damals eben Schuld auf sich geladen.

Das „Jewish Welcome Service“ biete jedes Jahr rund 100 ehemals in Österreich ansässigen, heute in aller Welt lebenden Juden die Möglichkeit, ihre unfreiwillig verlassene Heimat wiederzusehen. Mit Wien verbinde viele dieser Menschen eine Art „Hassliebe“. Viele von ihnen hätten durchaus nicht nur die schlechten Zeiten in Erinnerung, die sie hier erlebt hatten.

In Österreich lebende Juden müssten sich einfach damit abfinden, Höhen und Tiefen im Zusammenleben mit der nichtjüdischen Mehrheitsbevölkerung zu erleben. Die jüdische Gemeinde sei zum Teil dadurch größer geworden, dass aus dem Osten (der ehemaligen Sowjetunion) stammende Emigranten, die Wien zunächst nur als Durchgangsstation betrachtet hatten, ihren ursprünglichen Plan, nach Israel, England oder die USA weiterzureisen, aufgegeben hätten und hier „hängengeblieben“ seien. Es sei nicht immer einfach, solche, aus zum Teil sehr fremden Kulturen (wie etwa aus Usbekistan) stammende Menschen hier zu integrieren. Integration bedeute jedenfalls nicht, deren Wurzeln völlig zu kappen. Ganz im Gegenteil sei es vielmehr wichtig, damit behutsam umzugehen und den Menschen ausreichend Zeit zu geben, sich der neuen Heimat anzunähern.

Die derzeit rund 8.000 Köpfe zählende jüdische Gemeinde Wiens sei daher sehr vielfältig, sowohl hinsichtlich ihrer „religiösen Observanz“, als auch im Hinblick auf ihre Abstammung. „Grundsätzlich muss nicht jedes Vorurteil schlecht sein“. So sei es eben auch ein populäres Vorurteil, dass „die Juden immer zusammenhalten.“ Zu vielfältig und gegensätzlich seien indes die Interessen der einzelnen Gruppen. Die aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden Juden hätten bei den letzten Wahlen innerhalb der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) rund 25% der Wähler gestellt.

Dass der amerikanische Journalist, Fotograf und Filmemacher Edward Serotta (der Mann hat im Jahr 2000 das “Zentrum zur Erforschung und Dokumentation jüdischen Lebens in Ost- und Mitteleuropa”, Centropa, gegründet) soeben eine hohe Auszeichnung aus der Hand von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer erhalten hat, werte er jedenfalls als ein ermutigendes Zeichen für die verbesserte Integration der Juden in Österreich.

Nach seinem Vortrag, stand der Oberrabbiner für Fragen aus dem zahlreich erschienenen Publikum zur Verfügung.

Die Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus lehne er ab. Selbstverständlich müsse man an Israel Kritik üben dürfen, ohne sich deshalb den Vorwurf einzuhandeln, ein Antisemit zu sein. Allerdings sei bei jeder Kritik das „Kriterium der 3D“ zu beachten: Es dürften bei der Beurteilung Israels keine Doppelstandards zur Anwendung kommen; das Land sei nicht zu dämonisieren; Schließlich dürfe seine Existenz nicht delegitimiert werden. Dass etwa das Simon Wiesenthal-Zentrum in New York, Jakob Augstein vom „Spiegel“ für dessen Israel-Kritik einen Platz unter den Top-Ten-Antisemiten zugewiesen habe, halte er für überzogen. Es selbst rate bei diesem Thema zu mehr Gelassenheit. Im Übrigen habe das Thema eine kräftige Auseinandersetzung innerhalb der jüdischen Gemeinde bewirkt.

Die Frage der Wehrdienstfreistellung für orthodoxe Juden in Israel sollte neu überdacht werden. In den 1960er-Jahren wäre es um etwa 500 Personen gegangen, deren Dienstfreistellung leicht zu verkraften war. Heute dagegen ginge es um die hundertfache Zahl und da stelle die Sache sich anders dar. Er meinte, man sollte das ändern…

Das Verhältnis zu den christlichen Religionen – insbesondere zu evangelischen Kirche -sei gut. Die beiden letzten Päpste hätten „sehr konservativ begonnen“, dann aber doch zu einem offenen Kurs – auch in ihrem Umgang mit den Juden - gefunden. Die Entscheidung Benedikts XVI., zurückzutreten, respektiere er. Es handle sich schließlich um einen „Rationalisten“, der für sich entscheiden habe, das in Amt und Würden ertragene Siechtum seinen Vorgängers nicht selbst erleben zu wollen.

Den von Gegnern der Juden häufig zitierten „bösen Stellen im Talmud“ halte er gerne die lichtvollen, positiven entgegen. Viele dieser unangenehmen Passagen wären nur im Zeitbezug zu verstehen und hätten sich heute erledigt.

Dem in Wien errichteten Abdullah-Zentrum („Gottseidank war ich bei der Eröffnung gerade nicht in Wien“) stehe er unaufgeregt gegenüber. Er sehe jedenfalls keine davon ausgehende Gefahr. „Wir werden das aufmerksam verfolgen“ (sic!).

Das kürzlich erschienene Buch mit dem Titel „Rede an uns“ von Peter Menasse (in welchem dieser, selbst Mitglied der Kultusgemeinde, die Juden auffordert, den Blick nach vorn zu richten und sich nicht ewig an der Shoah abzuarbeiten) sehe er mit gemischten Gefühlen. Immerhin lebten immer noch einige Überlebende und auch deren Nachkommen könnten an dem Thema nicht einfach vorbeigehen.

Den Antisemitismus in Österreich sehe er eher als „Randproblem“. Dass Jörg Haider mit dem Literaten Sichrowsky sich einen Juden an Bord holte, habe signalisiert, dass er nicht als Antisemit gelten wolle. Daß H. C. Strache Israel besucht habe, wäre ebenso zu interpretieren. Früher hätten Antisemiten jedenfalls den Vorwurf nicht zurückgewiesen, welche zu sein…

Andreas Tögel

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