Buch- und CD-Rezensionen

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von Dr. Beate Hiltner-Hennenberg

der Leser gerne mehr erfahren, wie ihm dies gelang, bei wem er hospitierte, wer – neben Otto Brahm und André Antoine in Paris - seine Lehrmeister waren.

Jedenfalls muss er eine Menge gelernt haben, denn schon 1904 wurde er von Raphael Löwenfeld als Dramaturg ans renommierte Schillertheater in Berlin berufen. Daneben war er erfolgreich als Redakteur der Zeitschrift Die Volksunterhaltung tätig; er konnte also seine Talente aufs schönste nutzbar machen. Ihm ist es zu verdanken, dass an dieser Bühne viel von den Autoren Hauptmann, Sudermann und Rittner erstaufgeführt wurde, daneben französische und russische Werke. Die Presse berichtete von gut durchdachten, sauber gearbeiteten Aufführungen.

1912 wechselte er als Oberregisseur an das Deutsche Opernhaus in Charlottenburg; zuvor hatte 1911 sein Vater, der Stadtverordnetenvorsteher Otto Kaufmann, ein Opernunternehmen auf dem Charlottenburger Terrain ins Leben gerufen. Er gründete eine Aktiengesellschaft, legte ein Abonnement auf und sorgte dafür, dass das Haus an der Bismarckstraße gebaut wurde. Die Operndirektor-Entscheidung zwischen Hans Kaufmann und Georg Hartmann fiel knapp aus; letztgenannter erhielt den Zuschlag.

Als Oberregisseur konnte Kaufmann immerhin die Spielpläne erarbeiten. Nach Fidelio, mit dem das Haus eröffnet wurde, punktete er mit vier Inszenierungen, darunter Der Wildschütz und Die Entführung aus dem Serail. Allerdings war dies die Zeit des Ersten Weltkrieges, und ab der Spielzeit 1916/ 1917 wurde versucht, mit Werken von Korngold oder Richard Genée der schweren Realität zumindest zeitweilig zu entfliehen. Nanon, heute kaum mehr bekannt, war der Renner des ganzen Jahres. Es ist leider aus dieser Zeit nicht allzu viel überliefert, immerhin sprachen die Kritiken in Hinblick auf die Regiearbeit von „einer durchaus wichtigen Tendenz einer Abkehr von der Engheit“ und vom „Sich-Befreunden mit [...] alter und neuer Dramenproduktionen“.

Bis 1920 war Kaufmann in Berlin tätig. Mit seinem Fortgang, so Detlef Meyer zu Heringsdorf, verlor die Charlottenburger Oper ihren auf Publikumserfolge abonnierten Regisseur. Am Landestheater Braunschweig war die Intendantenstelle frei geworden, und Hans Kaufmann, als Oberregisseur des Deutschen Opernhaus gleichzeitig auch Schriftführer der Vereinigung künstlerischer Bühnenvorstände, hatte davon zeitig Kenntnis bekommen. Er wollte sich vorwärts entwickeln und konnte für seine Bewerbungen auf höchst schmeichelhafte Referenzen von höchsten Stellen zurückgreifen. Oberbürgermeister Scholz beschreibt Kaufmann als „eine feingebildete, vornehme Persönlichkeit aus gutem Hause, auch juristisch vorgebildet, von guten Umgangsformen und bewährtem Takt“. Seit 1914 war Kaufmann, eines der Einstellungserfordernisse für den Intendantenposten, mit Gertrud Seligmann verheiratet. 1915 wurde ihr Sohn Herbert geboren.

Doch – wir befinden uns im Jahre 1920 – befindet sich in den überlieferten Berufungsakten auch ein singuläres abratendes Schreiben, das gegen Ende erwähnt, „ganz nebenbei bemerkt ist Dr. K. jüdischer Religion“. Tatsächlich begann hier schon unterschwellig die Diskriminierung.

Kaufmann wurde dennoch am 20. 1. 1920 zum Intendanten berufen. Er plante Uraufführungen, allerdings dominierte ansonsten das 19. Jahrhundert. Wobei sich Kaufmann als liberal Gesinnter aus bürgerlichem Hause zeigte, er gab der Bühne Raum sowohl für Sozialkritik als auch für aktuelle Themen. Die Grenze, bis wohin er zu gehen gedachte, war etwa Ernst Tollers Versdrama Masse Mensch von 1924. In seiner Amtszeit von 1920-1925 brachte er über 30 anspruchsvolle Dramen aufs Parkett.

Um 1924 und 1925 hatte sich Kaufmann erneut in der Theaterlandschaft umgesehen, aus einer Bewerbung für das Amt des Operndirektors in Leipzig wurde nichts, auch Kiel oder Freiburg waren nicht interessiert. 1925 erhielt Kaufmann einen Ruf nach Bern. Er hatte sich nicht auf die Stelle ans dortige Stadttheater beworben; jedoch könnte er sich dort besser stellen. So nahm er an. Er ging gemeinsam mit der Schauspielerin Theamaria Lenz, die er 1927 in Basel heiratete. Das Stadttheater Bern vereinigte Schauspiel und Oper sowie die Kammerspiele unter einem Dach, das war neu für ihn. Mit Hauptmann, Ibsen und Strindberg brachte er die Moderne in die Schweiz.

Nun passiert etwas Sonderbares: Offiziell gab Kaufmann 1930 seine dortige Stellung auf, ohne schon etwas anderes als Sicherheit zu haben. Warum? Gab es bereits eine offene antijüdische Propaganda? Aber warum löste er seinen Vertrag von sich aus? Zwischen den Zeilen ist von einem Abtreibungsstück, das er bringen sollte, aber absolut nicht wollte, die Rede. Beide Seiten, Theater und der scheidende Intendant, vereinbarten Stillschweigen. Mit diesem Zeitpunkt, er wird es nicht geahnt haben, war seine aktive künstlerische Theaterkarriere zu Ende. Am 1. August 1932 berief man ihn zwar noch einmal zum Verwaltungsdirektor am deutschen Schauspielhaus Hamburg, doch mit der Machtübernahme durch Hitler am 30. Januar 1933 begann die rabiate nationalsozialistische Rassenpolitik mit dem Boykott jüdischer Geschäfte. Die Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935, welche deutschen Juden die staatsbürgerlichen Rechte entzogen, nötigten ihn, seine Ehe aufzulösen.

Aus dieser Zeit datiert die Freundschaft zwischen der Schauspielerin Lenz, Kaufmanns zweiter ehemaligen Frau, mit der Mutter des Biografen. Denn Fuhrmanns Vater besaß ein Sanatorium, und dort war ein gewisses Zusammenleben der ehemaligen Eheleute Kaufmann zeitweilig möglich. Fuhrmann kann auf sehr persönliche Dokumente zurückgreifen, vieles wurde allerdings aus Angst vor Repressalien 1943 verbrannt.

Nach der gesellschaftlichen Ausgrenzung erfolgte für Kaufmann 1941 Schritt für Schritt die physische Vernichtung. 1942 wurde er Hiddesen bei Detmold denunziert. Immerhin vermutet der Biograf, dass der Grund, warum Kaufmann so lange noch verdeckt im Untergrund leben konnte, darin lag, dass ein SS-Hauptsturmführer Hahn seine schützende Hand über ihn hielt. Dennoch: Kaufmann kam mit dem Transport nach Theresienstadt. Dort haben von 140000 Juden nur 19000 überlebt, 14 Prozent. Es war möglich, und vielleicht machte es das Schicksal etwas erträglicher, dass man dort mit Häftlingen Theaterstücke aufführen konnte. Überliefert ist das Werk Der Schlachtenlenker.

Nach drei Jahren kehrte er, vorzeitig gealtert, nach Hiddesen zurück. Noch einmal sah es so aus, als könne er an seine Theaterleidenschaft anknüpfen. Hans Kaufmann sollte 1945 Intendant des Lippeschen Landestheaters in Detmold werden. Formell wurde er auch dazu ernannt, doch schon vor Ablauf eines Jahres entzog man ihm wieder die Leitung. Die Presse fand seine Inszenierungen steif und konventionell, man unterschob, er sei überfordert. De facto funkte ein Theaterring dazwischen, der ebenfalls ein Ensemble konstituierte. Später wurde der Ring zerschlagen, aber Kaufmann war draußen.

Seinen letzten Kampf focht Kaufmann mit den Verwaltungsbehörden aus, um einer angemessenen Entschädigung willen. Der Kampf geriet zu einer Farce; anscheinend war der Personalakt verschwunden. Fuhrmann äußert die Vermutung, dass in den fünfziger Jahren einzelne Persönlichkeiten der nationalsozialistischen Ideologie nicht fremd gegenüberstanden. 1957 verstarb Hans Kaufmann im Detmolder Krankenhaus.

Es ist beschämend, dass der Künstler und Theaterregisseur Kaufmann, der zahlreiche Publikumsgenerationen mit seinen Inszenierungen bildete, die letzten Lebensjahre so völlig anerkennungslos leben musste. Im Gegenteil, dass er mit ansehen musste, dass ihm nach der Rückkehr aus dem Konzentrationslager politisch belastete Persönlichkeiten vorgezogen wurden. Dass er keine Entschädigung bekam. Sein Sohn Herbert wanderte spätestens 1936 nach Israel aus. Von ihm konnte der Biograf keine Spur ausfindig machen. Welch trauriges Schicksal! Wir sollten es uns vergegenwärtigen und für mehr Gerechtigkeit sorgen.

Peter Andreas; Michael Fischer, Gräber unsterblicher Komponisten, Verlag Bärenreiter, Kassel 2003. Gerade im wettertrüben Herbst, um Allerseeelen und Allerheiligen, gedenken wir der Verstorbenen, solcher, die uns näher standen oder auch ferner. Das greifen die Medien, egal ob Verlage oder Theater, gerne auf. Ein Wiener Theater holte jüngst die wehmütigen, aber herzrührenden Schinken von Georg Kreisler bis Ralph Benatzky wieder hervor in die Öffentlichkeit. Sicher, um an sie und deren Vermächtnis musikalisch zu erinnern, andererseits aber auch, um sich am eigenen Dasein zu erfreuen.

Die Österreicher haben sich ja oberflächlich gesehen – mit dem Sterben eher kommod eingerichtet, sie besingen in den schönsten Tönen Situationen wie „Wenn i amoi sterb“ wie auch „Erst wanns aus wird sein“. Tiefer drunten siehts anders aus: „Die Musik ist vielleicht“, so vermutete der Dichter Heinrich Heine neidlos, „das letzte Wort der Kunst, wie der Tod das letzte Wort des Lebens“. Tatsächlich scheinen Trauer und Tod eine magische Anziehung auf Musiker ausgeübt haben. Weltberühmte Komponisten wie Joseph Haydn oder Ludwig van Beethoven haben im Angesicht ihres Todes ihre wichtigsten Werke verfasst, Arbeiten letzter Gültigkeit. Andere, etwa Mozart, der sich als Freimaurer früh mit dem Tod auseinander setzte, schaffte es, Wärme und Trost in seine Trauermusiken hineinzuschreiben. Die zahlreichen Abbildungen und Originalzitate werten dieses Buch auf.

Gidon Kremer, Zwischen Welten, Verlag Piper, München; Zürich 2003.

Gidon Kremer, in Riga geboren, ist nicht erst seit seiner spektakulären spartenübergreifenden Konzerte und Recitals einer der großen, aufregenden und wegweisenden Geiger unserer Zeit. Mit seinem Eintreten für die zeitgenössische Musik, mit seinem Kammermusik-Festival in Lockenhaus, natürlich auch mit seiner Übersiedlung in den Westen hat er weltweit für Aufsehen gesorgt.

Wie kam es dazu, wer half ihm, sich so und nicht anders zu entwickeln, seine Persönlichkeit zu formen? In seinem dritten Buch, nach Kindheitssplitter und Obertöne, beschreibt Kremer kritisch, aber auch mit großer innerer Beteiligung die Jahre seiner strengen und harten Ausbildung in Moskau, seine Erfahrungen in der Sowjetunion, seine Erlebnisse bei David Oistrach, auch er ein Künstler mit jüdischen Wurzeln. Er berichtet, anekdotenreich, über seine Erlebnisse im Studentenwohnheim, über Gespräche, in denen er reifen und wachsen konnte, und, nicht zuletzt, über die Anfänge seiner Weltkarriere.

Das Buch ist packend und authentisch geschrieben. Es geht um das unbedingte Ringen um seine künstlerischen Ideale, um das ehrliche Suchen nach musikalischer Wahrheit genau so wie um die ersten Liebeserfahrungen. Weil Gidon Kremer, schon damals und nicht weniger heute, sich noch immer als ein Suchender begreift, als ein Arbeitstier, trotz seiner immensen Erfolge. Als einer, der sich nicht – wie viele andere Künstler seiner Preisklasse – aufbläst. Für jene, die die alte Sowjetunion noch kennen lernten, sind seine Beschreibungen des totalitären Regimes eine Rückerinnerung an all jene wahnsinnigen Paradoxien, die es umso erstaunlicher erscheinen lassen, dass sich trotz all des zeitfressenden Lern-Ballastes wie Geschichte der KPdSU oder

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