Buch- und CD-Rezensionen

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von Dr. Beate Hiltner-Hennenberg

Marxismus-Leninismus solch außergewöhnlichen Künstler, wie sie die Sowjetische Schule hervorbrachte, entwickeln konnten. Aus dem lesenswerten Buch spricht ein sympathischer und umfassend gebildeter Künstler.

Jens Malte Fischer, Gustav Mahler. Der fremde Vertraute, Verlag Zsolnay, Wien 2003.

Gustav Mahlers Musik vereint in gewaltiger großräumiger Synthese divergierende Klangwelten. Das machte die Rezeption der Werke Mahlers, den man den Zeitgenossen der Zukunft (Blaukopf) nannte, anfangs nicht eben leicht. Vor allem die starken Gegensätze und die Vielfarbigkeit seines Orchesterapparates hat Mahler, ein aus der böhmischen Provinz stammender, sich mit außerordentlichem Ehrgeiz hocharbeitender Künstler, für seine innere Ideen benutzt. Und deren hatte er immens viele. Mahler war also zweifellos einer der größten Komponisten, der musikalisch über die Kontraste zwischen Leben und Kunst, zwischen Liebe und Tod gesprochen hat. Vor allem seine emotionale Tiefe und seine Erinnerungsarbeit lässt Mahler zu ähnlich innerlich reichen Komponisten wie Franz Schubert zugehörig erscheinen. Und dies muss erst einmal jemand nachzeichnen.

Nachdem sich in den sechziger- und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts Musikschriftsteller wie Theodor W. Adorno, Kurz Blaukopf, Hermann Danuser oder auch Wolfgang Schreiber mit dem Komponisten beschäftigten, jedoch vor allem sein Werk im Auge hatten, legt Jens Malte Fischer, Theaterwissenschaftler in München, nun die erste ausführliche deutschsprachige Biografie über diese facettenreiche, sicher nicht leicht zu verstehende Persönlichkeit vor.

Der meisterhafte Rechercheur zeichnet - in entsprechenden Spannungsbögen - Mahlers dramatisches Künstlerleben, seine schwierigen familiären Verstrickungen wie seine immensen Erfolge, die ihn Kapellmeisterstellen in Wien und New York bescherten, nach.

Eine umfassende Chronik, ein Literaturverzeichnis, verschiedenste Anmerkungen, Werkverzeichnis und Werkregister, ein Personenregister und eine Empfehlungsliste runden dieses wunderbare Standardwerk ab.

Ildiko Raimondi: Schubert Orchesterlieder (Junge Philharmonie)

Unter dem Titel Schubert unerhört präsentiert die Sopranistin Ildikó Raimondi, Solistin an der Wiener Staatsoper, gemeinsam mit der Jungen Philharmonie Wien unter Leitung von Michael Lessky Orchesterlieder, die thematisch mit Franz Schubert in Verbindung stehen.

Die Absicht der Künstler war es, der Eintönigkeit einschlägiger Schubert-Lied-Veranstaltungen entgegen zu wirken und gleichzeitig Bekanntes und Neues auf künstlerisch hohem Niveau einem interessierten und avancierten Publikum anzubieten.

Die Musikstücke wurden sorgfältig und akzentuiert in zweifacher Hinsicht ausgewählt: Eine Programmschiene bilden wegweisende Lieder Schuberts, die der nachfolgenden Komponistengenerationen so wertvoll waren, dass verschiedene namhafte Komponisten den originalen Klavierpart orchestrierten. Zu hören sind beispielsweise An Silvia (in einer erstaunlich lieblichen Instrumentierung von Michael Lessky), Ständchen (die Instrumentierung von Arnold Schönberg trifft den ländlich-volkstümlichen Ton), An die Laute (Instrumentierung Felix Mottl) und Ellens Gesang II (die Vorliebe von Johannes Brahms’ für Bläser birgt einen eigenen Reiz).

Die zweite Schiene der CD beinhaltet Orchesterlieder, und zwar von Komponisten, die sich der repräsentativen Wirkung des Schubertschen Liedgestus produktiv annäherten. Die dessen neues Wort-Ton-Verhältnis für sich übernahmen und in neue Richtungen weiterentwickelten. Zu diesem Bereich gehören Gustav Mahlers Liebeslied Liebst du um Schönheit (ein kleiner Druckfehler auf der Rückseite des Covers tut nichts), Alexander von Zemlinkys Vertonung der Eichendorffschen Gedichts Waldgespräch oder Hugo Wolfs furioses Er ist’s nach dem Gedicht von Eduard Mörike.

Es ist der gesamten Produktion die Freude am Programm, an der Musik anzuhören!

Ludwig Richter, Damals in Dresden. Neudruck der Ausgabe von 1944, Verlag E. A. Seemann, Leipzig 2003.

Das Richter-Gemälde Brautzug im Frühling hing bei meiner Großmutter, einer stolzen Dresdnerin, zwischen der Barock-Kredenz und ihrem Blüthner-Flügel; und dieses Arrangement entsprach dem völlig üblichen Gusto damaliger Zeit. Als Kind hatte ich keinen blassen Schimmer, dass dieses Bild bei der Weltausstellung 1855 in Paris die Medaille II. Klase zugesprochen bekam. Noch immer freue ich mich, wenn ich es irgendwo als Reproduktion wieder sehe, weil irgendwie alles stimmig und natürlich dargestellt ist, die Menschen so bescheiden wandeln und dennoch alles eine wunderbare Fröhlichkeit atmet.

Dass die Gemälde, Radierungen, Holzschnitte und Illustrationen des Dresdners Ludwig Richter derzeit wieder im Kommen sind, hat wohl weniger mit dem Nostalgie-Kult zu tun als damit, dass man an ihm eines der typischen Künstlerschicksale Mitte des 19. Jahrhunderts ausmachen kann. Unter armen, Richter schreibt selbst „verkommenen“ Verhältnissen aufgewachsen, lernte der das „Wahre, Naturgemäße“ Suchende bei seinem Vater, der sich zum Professor für Landschaftskunst an der Königlich Sächsischen Akademie hocharbeitete, erste handwerkliche Kenntnisse. Typischerweise kommen Reisen hinzu, mit einem Fürsten nach Frankreich, durch ein Stipendium dann nach Italien. Nach und nach wird Richter bekannter. Bisweilen wird er unterstützt durch einen Mentor oder Gönner. Nach seiner Position als Zeichenlehrer an der Meißner Porzellanmanufaktur in Meißen schafft er es wieder ins kunstsinnigere Dresden, hat ein Lehramt, später wird er Nachfolger seines Vaters an der Kunstakademie.

In Damals in Dresden berichtet er von Fußwanderungen mit seinen Schülern, oft ins Böhmische, um Studien zu sammeln, um sie ein kunstgeübtes Auge zu lehren. Wie sehr er dies besaß, zeigen seine Gemälde Die Überfahrt am Schreckenstein, Abendandacht oder Sankt Annenkirche zu Graupen. Darüber hinaus zeugen sie davon, dass Richter Schicksalsschläge wie den Tod einer jüngeren Tochter kannte. Und doch spricht durch all seine Kunst nicht nur die Freude über die Natur, sondern auch die – selbst erfahrene - Gewissheit christlicher Glaubenserfahrung.

Anat Feinberg, George Tabori, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2003.

George Tabori, geboren 1914 in Budapest als György Tábori), gilt als einer der bekanntesten Regisseure und meistgespielten Autoren des deutschen Theaters der Jetztzeit.

Ich hatte das große Glück, ihn in den Neunzigern persönlich anlässlich einer Probenphase zu Schönbergs Oper Moses und Aron an der Oper Leipzig kennenzulernen, wo er die sonst höchsten Regisseur-Drillich gewohnte Solisten-, Chor und Statisterie-Crew durch seine anti-aktionistische, provokant-ruhige und lauschend-hinterfragende Art erheblich verstörte.

Tabori – bereits jetzt eine Legende, die unter uns lebt, ein „ewiger Optimist“, als der er sich bezeichnet, in Personalunion Stückeschreiber, Regisseur, Theaterdirektor und Schauspieler, einer der besten des deutschen Theaters. Tabori – ist aber auch ein Zeuge des vergangenen zwanzigsten Jahrhunderts, einer, der den Holocaust überlebte, und der die Erinnerung daran stets in seinen Arbeiten wach zu halten versucht.

Eigentlich logisch, dass ein solch namhafter Künstler sein umfangreiches künstlerisches und persönliches Archiv, derzeit 30 laufende Meter mit Manuskripten seiner Romane, Erzählungen, Theaterstücke, Hörspiele und Filme, der Stiftung Archiv der Berliner Akademie der Künste übergab. Er ist seit Jahren selbst Akademie-Mitglied. Das war vor drei Jahren, und erst im Mai dieses Jahres wurde diese Übertragung der Öffentlichkeit bekannt gegeben – typisch Tabori, ist man versucht zu sagen: Immer für Überraschungen und Erstaunliches zu haben.

Dank dieser Archivunterlagen konnte Anat Feinberg, in Tel Aviv geborene und derzeit in Heidelberg wirkende Professorin für hebräische und jüdische Literatur an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg, die erste Tabori-Biografie in deutscher Sprache vorlegen. Zuvor hatte sie eine wissenschaftliche Studie über den Künstler – allerdings nur in englischer Sprache – veröffentlicht.

Nun ist es ja nicht so, dass über die Verdienste des Ausnahmekünstlers George Tabori bislang Stillschweigen geherrscht hätte, die Interviews mit und über ihn in in- und ausländischen Theaterzeitschriften sind Legion. Er hat sogar eine eigene Homepage, die allerdings das letzte Mal am 26. 2. 2001 aktualisiert wurde. Auch er selbst hat zu jeder Zeit – als begnadeter Erzähler, der er ist – das Erlebte mit fantasievollen Anekdoten ausgeschmückt, so dass er bei „vielen Dingen nicht mehr weiß, ob sie wirklich waren“. Seine Autobiografie, an der er seit einigen Jahren schreibt und deren erster Teil („Autodafé“) inzwischen vorliegt, ist sowieso ein work in progress.

Umso wichtiger war daher die Suche nach originalen Lebenszeugnissen, nach Dokumenten, Briefen und Notizen, die es ermöglichen, Taboris Lebensgeschichte zu rekonstruieren und dabei durchaus auch noch Unerkanntes – immerhin war er in 17 Ländern kürzer oder länger zu Hause - oder Vergessenes zu entdecken. Mit System und in chronologischer Folge gliedert sich die Tabori-Biografie in die solche Kapitel wie Jugend in Budapest, Kriegs- und Wanderjahre, (Un-)glück in Hollywood, New York: Zwischen Familie und Theater, Eine schicksalhafte Premiere in Berlin, Theaterexperimente im Labor, Provokationen in München, Von Beckett bis Mozart, Zwischen „Kreis“ und Burgtheater sowie Abschied von Wien.

In ihnen kommen seine Lebensstationen als Kellner, Journalist, Geheimdienstagent, Drehbuchschreiber in Hollywood, Romanautor, vor allem aber seine Theaterarbeiten zur Sprache.

Das Buch ist vom Lay out her sehr gut lesbar und interessant und durchdacht aufbereitet. Zum Fließtext werden auf fast jeder Seite farbige Schienen gesetzt mit politischen Erklärungen, mit Briefzitaten, mit Abbildungen, die das gerade Behandelte näher erläutern. Der Leser kann diese quasi lexikalischen Erläuterungen, wann immer er sie braucht, benutzen oder auch weglassen.

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