Richter auf Zeit

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von Mag.Dr. Georg Vetter

Ein Beitrag zur Steigerung des Vertrauens in die Justiz und zu mehr Demut beim Umgang mit der Macht

Jene zehn Sekunden, die der Justizminister über die Aufhebung der Lebenslänglichkeit einer richterlichen Ernennung nachgedacht hat, haben zu überraschend empfindlichen Reaktionen an der Spitze der Richtervertretung geführt. Das Privileg der lebenslangen Arbeitsplatzgarantie zu hinterfragen hieße, an den Grundfesten des Staates zu rütteln. Die Unabhängigkeit der Justiz wackle, Rechtstaat und Demokratie seien in Gefahr. Selbst Peter Michael Lingens forderte im Profil den Bundeskanzler zur Wahrnehmung seiner gedankenpolizeilichen Verantwortung auf.

Denkverbote reizen dazu, sich Gedankenfreiheit zu nehmen. Also denken wir über ohne Tabus über den Beruf des Richters und seine Unabhängigkeit nach.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass sich die österreichischen Richter in ihrer Gesamtheit kaum von anderen Berufsgruppen unterscheiden: Überall gibt es ein paar hervorragende, der Großteil aber entspricht dem Durchschnitt. Das ist genau so wie bei Anwälten, Ärzten oder Computer-Fachleuten. Die Bezahlung der Richter ist allerdings, im Gegensatz zur öffentlichen Meinung, relativ schlecht. Wer mit 26 Jahren heutzutage seinen ersten Posten einnimmt, erhält monatlich netto rund 1.500 Euro. Meist ist dieser erste Job mit der Übernahme einer Abteilung verbunden, in der sich der Vorgänger die letzten Monate nicht gerade überanstrengt hat. Viele Akten sind liegen geblieben, was bedeutet, dass sich der junge Richter in viele, manchmal bereits Jahre anhängige Kausen einzuarbeiten hat. Adäquat ist die Bezahlung keinesfalls, und der Richter sucht nach Ausweichstrategien. Sein Gehalt ist nicht verhandelbar, also wird er zunächst den aufgestauten Aktenberg abarbeiten und sich dann bemühen, den Arbeitsanfall möglichst gering zu halten. Selbst dem größten Idealisten wird es irgendwann zu viel, sich für wenig Geld ständig dem bonum commune hinzugeben. Wer mit seiner juristischen Qualifikation etwas dazu verdienen möchte, wird seine Energie in Tätigkeiten außerhalb des Gerichtssaales stecken – in Rechtskurse, wissenschaftliche Arbeiten oder ähnliches.

Eigennutz als Triebfeder

In einer Welt, in der praktisch alle Menschen zu ihrem eigenen Nutzen arbeiten, wäre es utopisch, von Richtern Übermenschliches zu erwarten. Adam Smiths Analyse aus dem Jahr 1776 ist nach wie vor richtig: Jeder denkt in erster Linie an sich selbst und seine Nächsten. Die moderne Volkswirtschaftslehre hat aus dieser Erkenntnis eine ökonomische Analyse der Bürokratie entwickelt, die die Frage zu klären sucht, welche Eigeninteressen ein Staatsdiener verfolgt. Die gleiche Frage kann auch für die Richter gestellt werden. Sie werden danach trachten, die Arbeit möglichst zu minimieren. Lange Verfahren, die in der Öffentlichkeit als Begründung für die Idee der zeitlich beschränkten Ernennung der Richter herhalten müssen, liegen daher keineswegs im Eigeninteresse der Justiz: Richter sind an kurzen Verfahren interessiert, die möglichst ohne begründungspflichtige Urteile enden. Das Abfassen eines Urteiles bedeutet Arbeit – Arbeit, für die der Staat keinen zusätzliche Euro zahlt. Jeder Richter versucht daher, Urteile – Versäumungsurteile ausgenommen – zu vermeiden.

Richter lieben daher strittige Verfahren nicht. Diese bedürfen der ausführlichen inhaltlichen Vorbereitung und allenfalls einer schriftlichen Entscheidung. Richter versuchen daher nachhaltig, die Parteien zu einem Vergleich zu bewegen – was von manchen als sogenannte Vergleichspresserei empfunden wird. Sie führen dabei – zu Recht! – die möglichen Kosten eines Verfahrens ins Treffen und „drohen“ manchmal unverhohlen mit der Bestellung eines – kostenerhöhenden – Sachverständigen. Mehr oder weniger offen gehen manche Richter sogar so weit, die Parteien fühlen, dass sie die Anrufung des Gerichtes nicht besonders schätzen, und es wohl besser sei, sich zu einigen und ohne Richter auszukommen. Nach der ausführlichen Darlegung aller Risiken der jeweiligen Prozessstandpunkte verlieren die Parteien nicht selten alle Illusionen hinsichtlich eines Zusammenhangs zwischen Justiz und Gerechtigkeit und beugen sich der ökonomischen Rechtswirklichkeit durch Eingehen von Kompromissen. Verärgern möchte man den Richter ja auch nicht. Die allgemeine Frage des Richters, ob denn prinzipiell ein Vergleich denkbar sein, darf daher niemals, auch bei absoluter Siegessicherheit, mit Nein beantwortet werden. Spätestens dann müsste man sich belehren lassen, dass auch der sicherst scheinende Prozeß verloren gehen kann. Was natürlich ebenfalls richtig ist: Zeugen können vergessen oder unauffindbar sein, Dokumente in Verstoß geraten, die Rechtslage kann sich ändern, der Gegner insolvent werden. Richter sind ganz normale Menschen, die sich emotional vereinnahmen lassen. Ein Appell an höhere Prinzipien der Gerechtigkeit wäre völlig fehl am Platze. Die Blindheit der Justiz ist gewünscht, weil sie für Unparteilichkeit steht. Sie ist aber auch ein Risiko, weil sie zu unverstandenen Urteilen, ja zu Ablehnung und Haß führen kann.

Sollte sich ein Richter bei den Vergleichsgesprächen zu weit vorwagen und sich präjudizieren, darf man sich auch nicht der Illusion hingeben, dass ein Ablehnungsantrag wegen Befangenheit einen Sinn machen könnte. Ablehnungsanträge machen zunächst einem anderen Richter Arbeit, nämlich jenem, der über den Ablehnungsantrag entscheiden muß. Dieser kann dem Antrag Folge geben – oder nicht. Gibt er ihm nicht Folge, was meistens der Fall ist, wird sich der erfolglos abgelehnte Richter nicht gerade freuen. Ist der Ablehnungsantrag hingegen erfolgreich, verärgert man jenen Richter, der den Fall nun zu entscheiden hat – und mit unerwarteter Mehrarbeit belastet wird. Ablehnungsanträge sind daher meistens kontraproduktiv.

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