Die Schatten der Vergangenheit und die Lehren der Geschichte

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von Univ.Prof.Dr. Rudolf Burger

PS. Der kokette Sophismus des George Santayana: „Wer sich der Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie wieder zu durchleben“, fungiert heute, bis zum Überdruss wiederholt, als pseudo-axiomatische Basis für alle Sorten von „Vergangenheitspolitik“. Gegen das popularfreudianische Dogma ist freilich schon jene empirische Erfahrung zu halten, die Alexis de Tocqueville in den „Souvenirs“, seinen Aufzeichnungen über die Revolution von 1848, prägnant so formuliert hat: „Ich habe immer beobachtet, dass man in der Politik häufig untergeht, weil man ein zu gutes Gedächtnis hat“ – eine Beobachtung, die sich angesichts der „furchtbaren Ursprünglichkeit der Tatsachen“ (Tocqueville) beliebig oft wiederholen lässt. Lethe ist ein Heilmittel.

PPS. Während im Nahen Osten jahrtausendealte „kollektive Gedächtnisse“ jeweils mit Recht sich gegenseitig zerfleischen und während in Europa das Erinnerungsgeschäft blüht, rief der afghanische Interimspräsident Hamid Karsai bei seiner Amtseinführung vor dem Großen Rat am 22. Dezember 2001 dazu auf, „die schmerzliche Vergangenheit zu vergessen“, um das zwanzigjährige Schlachten in seinem Land zu beenden. Vielleicht hört man auf ihn. In Afghanistan.

o.univ.Prof.Dr.Rudolf Burger ist Vorstand der Lehrkanzel für Philosophie
und Rektor der Universität für angewandte Kunst in Wien

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