Untersuchung über den Reichtum der Nationen

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von Endre Bárdossy
  • Gutes Werfenkönnen in gekonntem Bogen: Zweckdienliche Angaben, Treffsicherheit (ευβολια/eubolía), im Gegensatz zu hyperbolischen Übertreibungen (υπερβολια),

  • Zusammenfließen zweier Ströme: Zulassen anderer Meinungen (συνεσις/sýnesis),

  • Freund und Berater zu sein: Zur Beurteilung, was recht und billig ist (γνωμη/gnóma).

  • Schlauheit: Eigenschaft des Klugen als auch des Verschlagenen (δεινοτης/deinótes).

Im Altertum und in der Patristik rückte das Prudente immer wieder in die Nähe des Weisen und Philosophischen. «Klug und weise» klingt noch heute in unseren Redewendungen nach. Prudentia ist jedoch deutlich weniger und in der weiblichen Klugheit auch pragmatischer als die Übergescheitheit der alten Männer und Philosophen. Weniger ist oft mehr als ein Zuviel. Klugheit als verhaltenes Besorgen des Richtigen und Zweckmäßigen übertrifft in einzigartiger Weise alle wissenschaftliche Einsicht und sophistische Kunstfertigkeit. Die Systeme kniffliger Kunstbegriffe (sofisma /sóphisma) und weltferner Weisheit (sofia/sophía) sind noch lange keine Klugheit. Es mag beinahe scheinen, dass das griechische Sprachgefühl das Prudente eigentlich viel höher einschätzte als die spitzfindigen Redensarten. Aus der sokratischen Liebe zur Weisheit ist deshalb keine Besserwisserei geworden, da er wusste, dass er eigentlich nichts weiß.

THOMAS VON AQUIN wie schon vorhin Platon und Aristoteles, meint: «Alle moralischen Tugenden müssen klug sein»30 . Erst durch die Klugheit wird aus der Tüchtigkeit vollendetes Können, in Kunst und Technik, sowie in allen öffentlichen und zivilen Bereichen des Lebens. An der Klugheit haben alle Tugenden teil und sind kraft dieser Teilhabe Tugend. Klugheit ist noch keine Teilhabe am lumen divinum, sondern eine Wegzehrung bereits für dieses Leben. Sie ist nicht theoretisch, sondern bezieht sich auf die konkrete Wirklichkeit menschlichen Handelns als rechte Vernunft31 der Geschäftstüchtigkeit mit acht integralen Bestandteilen32: Die praktische Vernunft muss sich auf dem Weg der Ungewissheit, der Wahrheit erinnern und dabei verständig, lernwillig, erfinderisch, berechnend, vorsorglich, umsichtig und vorsichtig ans Werk herangehen.

Klugheit ist nicht nur Tugend des Einzelnen, sondern auch Regierungskunst und Verhältnis des Untergebenen dem Vorgesetzten gegenüber. Die Klugheit in wirtschaftlichen Angelegenheiten bezieht THOMAS auf die richtige Leitung der Hausgemeinschaft. Eine Politische Ökonomie gab es damals noch nicht, sie begann erst mit den spanischen Doktoren der Spätscholastik, über die HAYEK öfters anerkennende Worte fand. Bei David HUME erfuhr die Klugheit nach einem langen Weg in der Geschichte eine wesentliche Abwertung. Er wunderte sich, inwiefern sie «by some moralists at the head of the virtues» plaziert werden konnte, da ihre Funktion sei, lediglich «to conform our actions to the general usage and custom»33.

Adam SMITH verstand die Klugheit als Besorgung des eigenen Glücks in der Sphäre des Wirtschaftlebens 34.

§ 5 Gerechtigkeit35
Griech. dikaiosunh (dikaiosýna), lat. iustitia

Das griechische Denken sprach nicht bloß vom Recht, der δικη (díka), als Brauch, Sitte, Urteil, von Rechts wegen erkannte Strafe, Buße in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Der Griechenglaube lebte durchdrungen in der tiefen Struktureinheit dessen, was würdig und recht zu empfinden dem Menschenwesen aufgegeben war. Im Lateinischen besagt dica Prozess, Klage oder das Amt des Richters selbst. Noch heute erinnern wir uns des Zeitwortes dico, dicare und de-dicare als Dedikation / Widmung, die eine Art göttliche Weihe meinte. Es handelte sich um eine religiös-ethische und zugleich öffentlich geregelte Angelegenheit. Auf die Göttin Dikh (Díka) zurückgehend, galt das Recht seit jeher als Weltnorm göttlichen Ursprungs.

Auch Israel sah das Gerechte in dem von Gott gewährten Bund begründet und bezog es über das moralische und forensische Verständnis hinaus auf das ganze Bundesverhältnis. Gott allein setzt das Recht und menschlicherseits ist das Recht stets Antwort auf seine Forderungen.

PLATONS Staatsideologie systematisierte die «Vier Angeln» der im griechischen Wesen breit angelegten Tradition. Er ordnete je einem Stand im Staat oder einem Seelenteil eine Tugend zu:

  • Besonnenheit dem Nährstand,

  • Tapferkeit den Kriegern und Beamten,

  • Weisheit den zur Herrschaft berufenen, mehr durchtriebenen als klugen Philosophen, d. h. sich selbst mit Anspruch auf die oberste Staatsgewalt,

  • Gerechtigkeit, die deklarierte er schließlich als Grundlage der übrigen drei zur Zurechtweisung der Andersdenkenden wie einen Schuster zu seinem Leisten: «Das Seinige tun und nicht vielerlei treiben»36 , das ist das Wesen der Gerechtigkeit.

Somit stützte PLATON seinen, von keinem Erfolg gekrönten Regierungsanspruch auf ein solides Bauern- und Soldatentum. Er ließ jedoch das Geld- und Handelswesen als etwas Unehrenhaftes vom Szenarium des Anständigen versinken. «Poderoso caballero es don Dinero /Mächtiger Ritter ist Don Dinarius», sagt man vortrefflich im Spanischen. Geld und Geldverdienen schmecken aber in PLATONS aristokratischer Ethik nach etwas geradezu Verachtenswertem: Man betreibt «es» unter einem breiten Mantel der Verschwiegenheit oder hat «es» unter Lehenseid. Man spricht von so etwas doch nicht!

ARISTOTELES entwickelte Platons Tugendlehre zwar nicht hinsichtlich der Geldtheorie, aber rechtstheoretisch wesentlich weiter: «Die Gerechtigkeit ist eine Tugend, die einem jeglichen das Seine nach dem Gesetz zukommen lässt, Ungerechtigkeit ist es dagegen ein fremdes Gut illegal zu erhalten»37. Gerechtigkeit wäre also demnach die höchste Bürgertugend dem Gesetz und dem Brauch der Polis gegenüber. Der Stagirite38 stellte keine platonischen Forderungen nach einem Sozial- und Ständestaat auf, sondern sammelte klugerweise die gesunden Anschauungen seines Volkes. Er widmete seinem Sohn Nikomachos ein ganzes Buch über «die jegliche Tugend umfassende Gerechtigkeit»39. Dabei rief er emphatisch aus: «Weder Abend- noch Morgenstern sind so wundervoll» wie diese und differenzierte sie als

  • kommutative (ausgleichende) Gerechtigkeit bei Güteraustausch und Verträgen, sowie

  • distributive (austeilende) Gerechtigkeit im Verband einer kleineren Gemeinschaft.


30 Omnis virtus moralis debet esse prudens. Virt. Comm. 12-23
31 Recta ratio agibilium. Summa theologica I / II, 57, 4
32 Memoria, intellectus, docilitas, sollertia, ratio, providentia, circumspectio, cautio
33 Treatise on Human Nature, 1739, III, 3,1,2
34 Theory of Moral Sentiment, 1759, III, I
35 Hist.Wb.Phil. Bd.3, 329
36 Respublica IV, 433a
37 Rhet. I, 9, 1366 b 9ff
38 Beiname des Aristoteles nach seinem Geburtsort Stageiro/Stágeiros in Mazedonien.
39 Nikomachische Ethik V, 3, 1129b, 25ff

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