Das Leiden zwischen Schein und Sein

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von Dr. Anton Szanya

Georg von Schönerer – Der Apostel der Deutschen

Georg Ritter von SCHÖNERER war der Sohn des Matthias von SCHÖNERER, eines wegen seiner Verdienste geadelten Pioniers des österreichischen Eisenbahnbaues, der in Rosenau bei Zwettl im niederösterreichischen Waldviertel begütert war. Wie für so viele andere Deutschösterreicher wurden die Kriege der Jahre 1866 und 1870/71 auch für Georg von SCHÖNERER zu politischen Schlüsselerlebnissen. Unter dem Eindruck der glanzvollen Siege Preußens über das österreichische und das französische Kaiserreich wurde er zu einem glühenden Anhänger BISMARCKS und ein überzeugter Deutschnationaler. Für SCHÖNERER konnte am Ende dieses glorreichen Siegeszuges nur die Beendigung der Schmach des Ausschlusses der österreichischen Deutschen aus dem Deutschen Bund und ihre Aufnahme in das Deutsche Reich stehen. Für diese „Vollendung“ des Deutschen Reiches wollte er sich politisch einsetzen.

Im Jahre 1873, dem Jahr des großen Börsenkrachs und der auf ihn folgenden Wirtschaftskrise, wurde Georg von SCHÖNERER für den Bezirk Waidhofen an der Thaya/Zwettl in den Reichsrat gewählt, wo er dem sogenannten Fortschrittsklub beitrat. Drei Jahre später trat er aus dem Fortschrittsklub wieder aus, um von da an als kompromissloser Kämpfer gegen Liberalismus, Kapitalismus, Judentum und Korruption aufzutreten, was ihm die bewundernd gemeinte Bezeichnung „Charakterfettaug auf der politischen Bettelsuppe“3 eintrug. Im Jahr 1878 war SCHÖNERER einer der Hauptredner gegen die Besetzung Bosniens und der Herzegowina, weil dadurch die Übermacht der Slawen in der Monarchie noch weiter gestärkt würde, während dem Staat unvorhersehbare finanzielle Belastungen erwachsen würden, die vor allem die Deutschen in Österreich zu tragen haben würden. Am 18. Dezember 1878 löste er im Reichsrat heftige Tumulte aus, als er in einer seiner Reden ausrief: „Immer mehr und mehr und immer lauter und lauter hört man in den deutschen Kronländern den Ruf: ‚Wenn wir nun schon zum Deutschen Reich gehören würden, um von Bosnien und seinem Anhange endlich befreit zu sein!’“4 SCHÖNERER blieb aber nicht bei der Kritik an der Politik Österreich-Ungarns stehen, sondern er schritt dazu fort, unter der Parole „Volksrecht bricht Staatsrecht!“ der Dynastie Habsburg jede Legitimität ihrer Herrschaft abzusprechen und im Hause Hohenzollern das wahre Herrschergeschlecht aller Deutschen zu sehen.

Das Linzer Programm

Die volkstribunenhafte Art SCHÖNERERS, sein die Vorurteile der Massen bestätigendes Auftreten gegen die herrschende politische Klasse, gegen das – vor allem als jüdisch beherrscht dargestellte – Kapital und gegen die Gleichstellungsansprüche der nichtdeutschen Nationalitäten in Österreich-Ungarn brachten ihm nicht nur die begeisterte Anhängerschaft des sogenannten „kleinen Mannes“ ein, sondern sie zog auch eine Anzahl intellektueller Persönlichkeiten an, aus der der Arzt Victor ADLER, der Journalist und Historiker Heinrich FRIEDJUNG, der Rechtsanwalt Karl LUEGER und der Journalist Engelbert PERNERSTORFER besonders hervorgehoben seien. Aus diesem Kreis kam eine Fülle von Vorschlägen, Plänen und Maßnahmen zur Modernisierung des politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens der deutschen Bevölkerung in Österreich wie beispielsweise die Gründung des „Deutschen Schulvereins“ zur Finanzierung deutscher Schulen und Kindergärten in den gemischtsprachigen Gebieten der Monarchie.

Vor allem aber wurde der Kreis um Georg von SCHÖNERER durch die Ausarbeitung des »Linzer Programms« im Jahr 1882 bekannt, in dem die Grundzüge für eine Neuordnung des Staates niedergelegt wurden.

Die innenpolitischen Zielsetzungen dieses Programms liefen auf eine tatsächliche Aufteilung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie hinaus, deren Teile nur noch durch die Personalunion des gemeinsamen Herrschers mehr symbolisch als tatsächlich zusammengehalten werden sollten. „I. Es ist sowohl im nationalen als im staatlichen Interesse gelegen“, lauten die diesbezüglichen Ausführungen des Linzer Programms5, „daß diejenigen Länder der österreichisch-ungarischen Monarchie, welche dem deutschen Bunde angehörten, für sich ein möglichst unabhängiges und streng einheitlich organisiertes Ganzes bilden, und es muß demnach angestrebt werden: 1. Daß das derzeit bestehende Verhältnis zwischen der diesseitigen Reichshälfte und Ungarn durch die Personalunion ersetzt werde; 2. daß das Königreich Dalmatien sowie Bosnien und Herzegowina endgültig in Ungarn einverleibt werden; 3. daß die Kronländer Galizien und die Bukowina entweder mit Ungarn vereinigt oder aber denselben eine Sonderstellung ähnlich jener eingeräumt werde, wie sie Kroatien innerhalb des ungarischen Staatsverbandes besitzt.“ das heißt, von den „im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern“ sollten die deutschsprachigen und wirtschaftlich am weitesten entwickelten – aus diesem Grunde sollte auch das Königreich Böhmen trotz seiner überwiegend tschechischen Bevölkerung, die aber innerhalb des geplanten Gesamtverbandes eine schwache Minderheit wäre, in diesem mit eingeschlossen bleiben – zusammengefasst werden, während die wirtschaftlich weniger entwickelten slawischen Kronländer zu Ungarn geschlagen werden sollten. Ungarn wäre damit wirtschaftlich nachhaltig belastet und zudem durch die zu erwartenden Nationalitätenkonflikte zwischen den Magyaren und den slawischen Völkern außenpolitisch gelähmt. Die Einbeziehung Ungarns und der Balkanländer in eine zu schaffende Zollunion mit dem Deutschen Reich, wie sie im Abschnitt VII, Punkt 18, des Linzer Programms vorgesehen wurde, sollte diese Länder außerdem auf Dauer in wirtschaftliche Abhängigkeit bringen.

Der Abschnitt II des Programms zielt sodann auf eine dauerhafte Festigung der Vorherrschaft des Deutschtums in dem zu bildenden deutschen Länderverband ab, indem gefordert wird, dass „durch ein Gesetz die deutsche Sprache als Staatssprache erklärt, insbesondere aber verfügt werde: 4. Daß die deutsche Sprache ausschließlich Sprache des Heeres, der Vertretungskörper und der öffentlichen Ämter sei, daß demnach der gesamte innere Amtsverkehr sowie die öffentlichen Bücher und Protokolle ausschließlich in deutscher Sprache geführt werden. [...] 5. daß in Orten

 


 

3 Diese Äußerung stammt von dem Waldviertler Dichter Robert HAMERLING. (Brigitte Hamann: Hitlers Wien; Lehrjahre eines Diktators. München, Zürich: Piper 1996. S. 340.)
4 [Eduard Pichl]: Georg Schönerer und die Entwicklung des Alldeutschtums in der Ostmark; Ein Lebensbild von Herwig. Bd 1. Wien: Alldeutscher Verein für die Ostmark 1912. S. 70.
5 Die Zitate aus dem Linzer Programm sind entnommen aus Albert Fuchs: Geistige Strömungen in Österreich 1867 – 1918 (1949). Wien: Löcker 21984. S. 179 – 181.

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