Das Leiden zwischen Schein und Sein
Ostmark, den Verein zur Erhaltung des Deutschtums in Ungarn, den Jungdeutschen Bund, den Deutschen Turnerbund, den Bund der Germanen, der unter anderem auch eine Deutschvölkische Stellenvermittlung betrieb, den Deutschen Gesangverein und andere mehr. An der Spitze dieser vielfältigen Bewegung stand als unumschränkter Führer Georg von SCHÖNERER. Sein Wort war bindend, und abweichende Meinungen wurden nicht geduldet. „Ohne Einvernehmen mit Schönerer, dem Führer und Schöpfer unseres Programms, ist [...] kein Alldeutscher berechtigt, in der Öffentlichkeit Abweichungen von dem Programme Schönerers oder von den Grundsätzen zu verkünden, die Schönerer vertritt. Niemand außer Schönerer hat das Recht, Schönerers Programm oder die von Schönerer vertretenen Grundsätze [...] abzuändern, und es gibt niemanden unter uns, der über die erworbene oder anerkannte Autorität verfügte, gegen den Willen des Führers Schönerer in den Reihen der Alldeutschen programmatische Neuerungen zu vertreten.“9
In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts gestaltete Georg von SCHÖNERER seine religiös gefärbte Germanenverehrung weiter aus. Im Jahre 1887 beging er die „Zweitausendjahr-Feier germanischer Geschichte“, die er mit dem Sieg der Kimbern und Teutonen über ein römisches Heer im Jahr 11310 vor unserer Zeitrechung bei Noreia beginnen ließ. Am 24. 6. 1888 wurde daher von den Schönerianern in der Wachau festlich das Jahr 2001 n. N. (nach Noreia) begangen. Nicht nur die Zeitrechnung wurde germanisiert, sondern auch der Kalender, soll heißen „Zeitweiser“, indem die lateinischen durch germanische Monatsnahmen11 ersetzt wurden. SCHÖNERER änderte sein Geburtsdatum gemäß seiner Zeitrechung vom 17. Juli 1842 auf den 17. Heuert 1955 n.N.12
Die germanische Religiosität der Kreise um SCHÖNERER war durch und durch geprägt von einer auf einem manichäischen Untergrund aufruhenden Todessehnsucht. Auch die bereits genannte Pflege der Turnens hatte nicht die Freude an der Bewegung, an der Freiheit von beengender Bekleidung oder die Freude an der Schönheit eines geübten Körpers zu Inhalt und Ziel, sondern auch hier stand die Vorbereitung auf den Endkampf in der Art einer Götterdämmerung im Vordergrund: „Darum, deutsche Arbeiter, Bürger und Bauern, gründet zur Hebung der Gesundheit und Volkskraft allerorten Turnvereine und fördert das Schulturnen, auf daß das deutsche Turnen zu einem wallenden Meere werde, das die Grenzmark des deutschen Vaterlandes schirmend umbraust, auf daß wir Ostmarkdeutsche in der Stunde der höchsten Not auch die nötige körperliche Kraft und den Mut besitzen, um den Endkampf mit unseren völkischen Gegnern, wenn es sein muß, auch wieder durch Blut und Eisen zur Entscheidung bringen. Heil in diesem Sinne der deutschen Turnerei!“13
Der germanophil-neuheidnische Antisemitismus
Standen die Deutschen nach Ansicht SCHÖNERERS und seiner Parteigänger auf der höchsten Stufe der hierarchischen Ordnung der Rassen, so standen für ihn die Juden auf der untersten Stufe. SCHÖNERER traf sich in seiner antisemitischen Agitation mit den wachsenden Ressentiments vor allem der Wiener Bevölkerung. Seit der Einführung des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, das auch die Freizügigkeit der Person innerhalb Cisleithaniens gewährte, strömten viele Menschen aus den östlichen Kronländern Galizien und Bukowina nach Wien in der Hoffnung, in der wachsenden Hauptstadt Arbeit zu finden. Selbstverständlich waren darunter auch viele Juden, für die die ihnen von seiten der katholischen Polen und der orthodoxen Ruthenen entgegengebrachte Feindseligkeit ein zusätzlicher Anstoß war, von daheim wegzugehen. Schlugen den Slawen, die von den Wienern als zusätzliche Konkurrenten um Arbeit, Behausung und Lebensunterhalt erlebt wurden, vielfach Verachtung und Hohn entgegen14, so traf die Juden zusätzlich auch noch der in jahrhundertelanger christlicher Erziehung verinnerlichte Hass gegen sie. Eine Verschlimmerung erfuhr die Lage der Juden in Wien, als im Jahre 1881 vermehrt jüdische Flüchtlinge vor den Pogromen in Russland nach Österreich und damit auch nach Wien kamen. Angesichts dieser Flüchtlingswellen machte sich SCHÖNERER zum Sprecher des Volkes und sprach sich am 11. Mai 1882 im Reichsrat heftig gegen das „massenhafte Herbeiströmen eines unproduktiven und fremden Elementes“ aus und forderte gesetzliche Maßnahmen gegen die jüdische Einwanderung.15 Als der Reichsrat seine diesbezüglichen Anträge ablehnte, verschärfte SCHÖNERER seinen Ton. Mit dem Schlagwort „Ob Jud, ob Christ ist einerlei – in der Rasse liegt die Schweinerei“, forderte er eine strenge Sondergesetzgebung gegenüber den Juden, auch gegen die zum Christentum übergetretenen. Nach seinen Vorstellungen sollte die Freizügigkeit für Juden eingeschränkt, der Zwischenhandel durch jüdische Geschäftsleute verboten, an den Schulen und Universitäten ein numerus clausus für Juden entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung eingeführt und der Ausschluss aus den Staatsämtern, dem Lehrberuf und dem Pressewesen verfügt werden. Unter der Losung „Durch Reinheit zur Einheit“ forderte SCHÖNERER eine klare und scharfe Ausgrenzung und Absonderung alles Jüdischen, denn: „Wir Deutschnationale betrachten den Antisemitismus als einen Grundpfeiler des nationalen Gedankens, als Hauptförderungsmittel echt volkstümlicher Gesinnung, somit als die größte Errungenschaft dieses Jahrhunderts.“16 Es war nur mehr eine Frage der Zeit, bis auf dem Plakat mit einem Aufruf zu einer Massenversammlung der Schönerianer für den 18. Februar 1884 der Hinweis prangte: „Juden ist der Eintritt verboten!“17
9 Eduard Pichl: Schönerer und die Entwicklung des Alldeutschtums in der Ostmark. Bd 5. Oldenburg o.J. (1938). S. 332.
10 Nicht 118 v.u.Z., wie Friedrich HEER schreibt. (Friedrich Heer: Der Glaube des Adolf Hitler, a. a. O. S. 74.)
11 Diese waren: Hartung, Hornung, Lenzmond, Ostermond, Maien, Brachmond, Heuert, Ernting, Scheidung, Gilbhart, Nebeling, Julmond.
12 Brigitte HAMANN schreibt irrtümlich 1855. (Brigitte Hamann: Hitlers Wien, a. a. O. S. 350.)
13 Brigitte Hamann: Hitlers Wien, a. a. O. S. 351.
14 Selbst gebildete Menschen gaben sich ungescheut derartigen Gefühlen hin, wie aus einer Äußerung von Adolf LOOS über den Kaiserjubiläums-Festzug des Jahres 1908 hervorgeht: „im jubiläumsfestzug gingen völkerschaften mit, die selbst während der völkerwanderung als rückständig empfunden worden wären. glücklich das Land, das solche nachzügler und marodeure nicht hat.“ (Brigitte Hamann: Hitlers Wien, a. a. O. S. 148.)
15 [Eduard Pichl]: Georg Schönerer Bd 1, a. a. O. S. 162.
16 [Eduard Pichl]: Georg Schönerer und die Entwicklung des Alldeutschtums in der Ostmark; Ein Lebensbild von Herwig. Bd 2. Wien: Alldeutscher Verein für die Ostmark 1913. S. 2.
17 Brigitte Hamann: Hitlers Wien, a. a. O. S. 345.