Religiosität und Politischer Extremismus
die Erfahrungswissenschaften nach immer umfassenderer Erkenntnis der äußeren Welt und nach ihrer immer vollkommeneren Beherrschbarkeit streben, die Moral- und Rechtsnormen zusehends genötigt werden, sich auf allgemein anerkennungsfähige Begründungen zu stützen, Die Künste sich von überlieferten Kanones befreien, um zum unmittelbaren Ausdruck der inneren, subjektiven Erfahrungen vorzustoßen.
- die Erfahrungswissenschaften nach immer umfassenderer Erkenntnis der äußeren Welt und nach ihrer immer vollkommeneren Beherrschbarkeit streben,
- die Moral- und Rechtsnormen zusehends genötigt werden, sich auf allgemein anerkennungsfähige Begründungen zu stützen,
- Die Künste sich von überlieferten Kanones befreien, um zum unmittelbaren Ausdruck der inneren, subjektiven Erfahrungen vorzustoßen.
Hervorgehend aus der Profanierung der Kultur, kommt es zu einer Rationalisierung der Gesellschaft, die sich darin zeigt, dass
- der kapitalistische Betrieb mit seiner rationellen Rechnungsführung zur Leitlinie wirtschaftlichen Handelns wird und
- der bürokratische Staatsapparat eine rationale, vorhersehbare Rechtssetzung und Verwaltung im gesellschaftlichen und politischen Bereich gewährleistet.
Dieser Prozess bleibt nicht nur auf die Gesellschaft beschränkt, sondern führt auch zu einer Rationalisierung des Privaten, weil
- Traditionen in Frage gestellt werden und nur eine vernunftgemäße Begründung ihren Fortbestand sichert,
- Handlungsnormen von jedem Menschen von Fall zu Fall vor und für sich selbst begründet werden müssen, da universelle Normen zunehmend an Verbindlichkeit verlieren, und
- die Ich-Identität zunehmend an die Stelle der Eingebundenheit der Person in das gesellschaftliche, früher ständische, und familiäre Umfeld tritt.
Nicht zuletzt sei auch noch auf die Rationalisierung des Politischen in der Moderne verwiesen, die dazu führt, dass
- lediglich die Souveränität des Volkes als Begründung jeglicher Hoheitsgewalt anerkannt wird,
- die rationale Legitimation am Beginn jeglicher Herrschaftsausübung steht,
- die Forderungen der Menschenrechte als Riegel gegen Willkürherrschaft sich in einem Ausmaß durchgesetzt haben, dass sogar Herrschaft, die sie praktisch mit Füßen tritt, sich wenigstens durch Lippenbekenntnisse zu ihnen zu legitimieren versucht, und schließlich
- die Religion in den Privatbereich abgedrängt wird, zumindest in dem Sinne, dass es in den modernen Staaten keine offizielle Staatsreligion mehr gibt.
Die Erfolge der Moderne
Diese solcherart charakterisierte Moderne kann denn auch auf unbestreitbare Erfolge hinweisen. Trotz aller Einwände, die man ohne Zweifel vorbringen könnte, kann die Moderne für sich in Anspruch nehmen, dass sie für die Menschen nutzbringender und erfolgreicher war und ist als alle Epochen der Weltgeschichte vor ihr. Keine dieser Epochen kann nämlich für sich in Anspruch nehmen,
- Krankheit, Siechtum und frühen Tod entscheidend zurückgedrängt,
- durch die industrielle Produktion von Gütern und Dienstleistungen die Befreiung von Mangel grundsätzlich für jeden Menschen erreichbar gemacht,
- allgemeine Bildungsmöglichkeiten breitesten Kreisen aufgetan,
- die Idee der Menschenrechte entwickelt und in einem vorher ungekannten Ausmaß verwirklicht,
- religiös oder traditionell begründete Herrschaftsformen zugunsten der Rechtsstaatlichkeit beseitigt,
- die persönliche Einflussnahme auf alle öffentlichen Angelegenheiten im Grundsätzlichen möglich und
- die Selbstbestimmung über das eigene Leben zu einem Leitwert der Lebensplanung gemacht zu haben.
Die Mythen der Moderne
Die Vordenker der Moderne und der ihr vorangehenden Aufklärung beriefen sich und berufen sich noch heute auf die Vernunft als Richtschnur für die Ausgestaltung der modernen Welt. Und dennoch ließen und lassen sie sich von der Kraft der alten Menschheitsmythen gefangen nehmen, wenngleich sie diese auch in neue Kleider hüllen und deren Bilder und Verheißungen mit Hilfe der Technik und der Industrie verwirklichen wollen.
Zusammengefasst lassen sich vier solcher mythischer Themenkreise ausmachen, die für die Aufklärung und die Moderne bestimmend waren und immer noch sind:
- Zum einen die Erlösungshoffnung, durch fortschreitende Aufklärung aus den Fesseln der Unwissenheit und des Aberglaubens befreit zu werden.
- Zum anderen die Versöhnungshoffnung, dass der Mensch durch die Erkenntnis, dass er eine Hervorbringung der Natur ist, und durch die Abwendung von der irrigen Ansicht, er sei die Krone der Schöpfung, wieder zur Harmonie mit der Natur gelangen könne.
- Weiteres die Hoffnung auf einen ewigen Frieden, der durch den Abbau von Vorurteilen und durch vernunftgeleitete Herrschaftsausübung herbeigeführt werden könne.5
- Zuletzt die Erwartung, das Rätsel der Geschichte lösen und die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz beantworten zu können.6
5 Immanuel KANT versuchte im Jahre 1795 in einer kleinen Schrift mit dem Titel »Zum ewigen Frieden« diese Hoffnung rational zu begründen.
6 Den bedeutendsten Versuch in dieser Richtung unternahm wohl Karl MARX, indem er die Aufrichtung einer klassenlosen Gesellschaft als Ziel der menschlichen Geschichte nachweisen wollte. In neunziger Jahren legte Francis FUKUYAMA, aufbauend auf Georg Friedrich Wilhelm HEGEL, dar, dass das Ende der Geschichte mit der weltweiten Durchsetzung des liberalkapitalistisch-demokratischen Staates erreicht sei. [Francis Fukuyama: Das Ende der Geschichte; Wo stehen wir? (The End of History). München: Kindler 1992.]