Religiosität und Politischer Extremismus

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von Dr. Anton Szanya

ansprechbaren Du, und sei es nur ein phantasiertes, wie „böswillige“ Psychologen behaupten.

DER FUNDAMENTALISMUS

Damit hat der Ausflug in die Tiefenpsychologie wieder zur Problematik der Enttäuschungen an der Moderne zurückgeführt. Denn die Widersprüche zwischen den Verheißungen, die das Programm der Moderne verkündet, und den Zumutungen, die sie dem einzelnen aufbürdet, der die Gewißheit, die er sucht, weder draußen in der Welt noch in sich selbst finden kann, leisten dem aus Verzweiflung geborenen Rückfall in Gewissheiten und Tröstungen, für die die Vernunft keine Gründe nennen kann, Vorschub. Die Versuchung zum fundamentalistischen Rückfall ist die andere Seite des Januskopfes der Moderne. Sie ist mit ihrem Triumph verwachsen.

Charakteristik des Fundamentalismus

„Fundamentalismus ist der selbstverschuldete Ausgang aus den Zumutungen des Selberdenkens, der Eigenverantwortung, der Begründungspflicht, der Unsicherheit und der Offenheit aller Geltungsansprüche, Herrschaftslegitimationen und Lebensformen, denen Denken und Leben durch Aufklärung und Moderne unumkehrbar ausgesetzt sind, in die Sicherheit und Geschlossenheit selbsterkorener absoluter Fundamente. Vor ihnen soll wieder alles Fragen haltmachen, damit sie absoluten Halt geben können. Vor ihnen soll wieder alles andere relativ werden, damit sie der Relativierung entzogen bleiben. Wer sich nicht auf ihren Boden stellt, soll keine Rücksicht mehr verdienen für seine Argumente, Zweifel, Interessen und Rechte. [...] Fundamentalismus ist eine willkürliche Abschließungsbewegung, die als immanente Gegentendenz zum modernen Prozess der generellen Öffnung des Denkens, des Handelns, der Lebensformen und des Gemeinwesens absolute Gewißheit, festen Halt, verläßliche Geborgenheit und unbezweifelbare Orientierung durch irrationale Verdammung aller Alternativen zurückbringen soll. Seine Beute ist dort am reichsten, wo Zumutungen und Kosten der Moderne ihre Chancen und Segnungen hoffnungslos übersteigen.“17

Mit diesen Worten charakterisiert Thomas MEYER den Fundamentalismus. Damit entspricht der Fundamentalismus dem, was bereits LACTANTIUS und AUGUSTINUS im 4. und 5. Jahrhundert unter Religion verstanden haben, nämlich dass durch sie und in ihr „die Seele mit dem einen Gott, von dem sie sich gewissermaßen losgerissen hat, in der Versöhnung sich wieder verbindet.“18 Religion und religiöses Denken bestimmt sich somit durch eine Gebundenheit an einen absolut gesetzten Zentralwert, an Gott. Das Denken des Fundamentalismus ist gleichermaßen strukturiert, wenngleich jede Spielart desselben einen anderen zentralen Wert hat.

Spielarten des Fundamentalismus

So wie nämlich die Moderne sich weltweit in größerem oder geringerem Maße durchgesetzt hat, so ist auch ihre Verneinung, der Fundamentalismus, weltweit zu beobachten. Entsprechend seinen unterschiedlichen Rahmenbedingungen zeigt er sich in einer Vielzahl von Erscheinungsformen.

Am spektakulärsten treten von diesen die religiösen Fundamentalismen in Erscheinung, derer es eine beträchtliche Anzahl gibt:

  • der islamische Fundamentalismus,
  • der provinzielle protestantische Fundamentalismus in den Vereinigten Staaten,
  • der katholische Fundamentalismus mit seiner Speerspitzen Opus Dei,
  • der jüdische Fundamentalismus der israelischen Siedlerbewegung,
  • der hinduistische Fundamentalismus,
  • der New-Age-Fundamentalismus mit seiner Unzahl von Sekten und Kulten.

Der New-Age-Fundamentalismus steht am Übergang zum säkularen Fundamentalismus, von dem als Beispiele genannt seien:

  • der rassistische Fundamentalismus der neuen Nationalismen,
  • der grüne Fundamentalismus auf der Grundlage eines biologistische aufgefassten Weltgesetzes des Lebens,
  • der marxistisch-leninistische Fundamentalismus, der auch nach dem Zusammenbruch des Kommunismus noch seine Anhänger hat.

Fundamentalismen im Vergleich

Trotz dieser Vielfalt an Spielarten kann letztlich doch von einer einzigen Art des Fundamentalismus gesprochen werden, an der einige durchgehende Hauptmerkmale beobachtet werden können. Einige davon seien im folgenden zusammenfassend behandelt:

 


 

17 Thomas Meyer: Fundamentalismus; Aufstand gegen die Moderne. Reinbek: Rowohlt 1989. S. 157/158. MEYER paraphrasiert an dieser Stelle bewusst die Definition der Aufklärung durch Immanuel KANT, die da lautet: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne die Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen!“ (Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Karl Vorländer: Philosophie der Neuzeit. Bd 5: Die Aufklärung. Reinbek: Rowohlt 1969. S. 256.)
18 Günter Lanczkowski: Geschichte der Religionen. Frankfurt am Main: Fischer 1972. S. 6.

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