Religiosität und Politischer Extremismus

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von Dr. Anton Szanya

Krieg der Gläubigen gegen die Ungläubigen, der Eingeweihten in die erlösende Wahrheit gegen die Verworfenen, der Wahrer der Menschheitsinteressen gegen ihre Feinde.

Der Heilige Krieg hat so viele Gesichter wie der Fundamentalismus selbst. Seine Waffen sind die versteckte Zensur, die Brandmarkung unliebsamer Personen als Feinde der Wahrheit und des Heils, Bücherverbrennungen und Rufmord schon dort, wo die Fundamentalisten noch ein verstreuter Haufen sind. Verbote, Verfolgungen, öffentlich verordnete Weltanschauung, Aufhebung der Meinungs- und Vereinsfreiheit, Beaufsichtigung von Wissenschaft und Kunst, Ahndung jedes abweichenden Gedankens als Umsturzversuch sind die Kohorten, mit denen die Schlacht geschlagen wird.

AUSWEGE

Der Fundamentalismus als Antithese zum Fortschritt der aufklärerischen Rationalität hat die Moderne ohne Zweifel in eine kritische Situation gebracht. In diesem Sinne kann er aber auch zur Chance für eine neue Kräftigung der Moderne werden, indem er dazu zwingt, sich Gedanken über Wege aus der derzeitigen Krise zu machen.

Neubewertung des Mythos

„Der Mythos begann zu entarten, als er in eine Doktrin umgewandelt wurde, das heißt in ein Gebilde, das eines Beweises bedurfte und einen Beweis suchte.“19  Es war die religiöse Dogmatik, die als Afterwissenschaft vermeinte, den Mythos durch Rationalisierung vor der aufklärerischen Rationalität retten zu müssen. Dieses Unterfangen war schon zur Zeit des AUGUSTINUS dazu verurteilt, den staatlichen Büttel zu Hilfe rufen zu müssen. „Zwingt sie einzutreten“20, nämlich in die Kirche, rief er die Schergen bereits im Jahre 411 gegen die Donatisten. Und genau so verfahren die Heiligen Krieger ihrer dogmatisierten Mythen auch heute.

Man darf aber nun nicht in den Fehler verfallen, den Mythos frontal anzugreifen. Wie schon ausgeführt worden ist, kommt er einem zutiefst menschlichen Bedürfnis entgegen. Außerdem wird er in einer noch vorrationalen Entwicklungsstufe des Menschen grundgelegt, woraus sich auch erklären läßt, warum mythische Vorstellungen eine so starke Festigkeit gegenüber der Vernunft zeigen. Es kommt vielmehr darauf an, den vernünftigen Umgang mit dem Mythos zu lernen. Da, wie gleichfalls schon dargetan worden ist, weder die Politik noch die Wissenschaft als die Orte gelten können, an denen der Mythos ein Wohnrecht hat - dort sollen und müssen das Kalkül, der Beweis und die Einsicht beheimatet sein - , bleibt der Schluss, dass die Kunst der Ort des Mythos ist.

Beide, die Kunst und der Mythos, sind seit den frühesten Entwicklungsstadien der menschlichen Kultur eng miteinander verknüpft. Es ist die Kunst, die seit jeher dem Mythos ästhetischen Ausdruck verleiht. Die Kunst ist es auch, die bei genauerem Hinsehen erkennen lässt, dass im eigentlichen gar nicht die Götter und der Kosmos der Gegenstand des Mythos sind, sondern dass es der Mensch selbst ist, der in der Kunst sein Idealbild von sich gestaltet. Sei es in der Dichtung, in der die geheimen Sehnsüchte und Wünsche wie auch die verdrängten Ängste und Triebe an den literarischen Gestalten vorgeführt werden. Sei es die bildende Kunst und Architektur, wo in Bild, Skulptur und Bauwerken das menschliche Bemühen um die Überwindung der Vergänglichkeit Ausdruck findet. Sei es die Musik, in der die Menschen die Entgrenzung ihrer Individualität erleben und ihr Aufgehen in einer Gemeinschaftsseele oder in einer imaginierten Transzendenz.

Neue Persönlichkeitsbildung

Zu diesem vernünftigen Umgang mit dem Mythos befähigt und imstande ist aber nur ein Persönlichkeitstyp, der sich über die dialektischen Spannungen zwischen seinen bewussten Strebungen und seinen unbewussten Trieben im Klaren ist. Der sich darüber im Klaren ist, dass die Flucht in eine wieder heimelig gemachte Welt, in der die Impulse des Unbewussten zu einer allumfassenden Harmonie mit der Welt führen sollen, genauso ein Irrweg ist wie der Weg der einseitigen Förderung der Intellektualität und der Verdrängung des Irrationalen, wie Tendenzen zu einer einseitigen Begabtenförderung in der bildungspolitischen Diskussion erkennen lassen.

Wie müsste nun die Persönlichkeit beschaffen sein, die den vorhin genannten Ansprüchen gerecht werden könnte? Sie müsste ein Typus sein wie der „uomo universale“, der allseitig gebildete Mensch, wie ihn der Humanismus, diese erste Befreiungsbewegung des Menschen aus den Fängen einer den Verstand knebelnden Religion, vor rund fünfhundert Jahren als Ideal entworfen hat, der allseitig gebildete Mensch, der seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowohl für das Wohl der Gemeinschaft auch zur Erlangung und Bewahrung des eigenen Glücks einsetzt. Es müsste ein Typus sein, wie ihn vor etwas mehr als dreißig Jahren Erich FROMM als „Revolutionären Charakter“ gezeichnet hat. Es wäre dies „ein Mensch, der sich von den Bindungen an Blut und Boden, an Vater und Mutter, von der Loyalität gegenüber dem Staat, der Klasse, der Rasse, Partei oder Religion gelöst hat [...] ein Humanist, sofern er in sich die ganze Menschheit erfährt und ihm nichts Menschliches fremd ist. In ihm sind Skepsis und Glaube. [...] Er ist unabhängig; was er ist, verdankt er seinen eigenen Bemühungen, er ist frei und keines Menschen Diener.“21

Wien, am 2.11.2002

Der Autor:
Prof. Dr. Anton Szanya ist Mitarbeiter des Österreichischen Volkshochschularchivs, Abt. Dokumentation

 


 

19 Leszek Kolakowski: Die Gegenwärtigkeit des Mythos (Obecność mitu, 1972). München, Zürich: Piper 1984. S. 15.
20 Karl Heussi: Kompendium der Kirchengeschichte. Tübingen: Mohr 131971. § 25 k.
21 Erich Fromm: Der revolutionäre Charakter (1963), in: Erich Fromm: Das Christusdogma und andere Essays. München: Deutscher Taschenbuch-Verlag 1984. S. 132/133.

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