Untersuchung über den Reichtum der Nationen

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von Endre Bárdossy

II. TEIL: KATALLAKTIK NACH FRIEDRICH AUGUST VON HAYEK

Die Doppelbedeutung der griechisch gedachten Wurzel, die der Hayek'schen Wortbildung «Katallaktik» zugrunde liegt, kann an Hand eines Schulwörterbuches überprüft werden:

  • kat-allagh/kat-allagé, lat. reconciliatio: AUSTAUSCH im Sinne von Ausgleichung, Versöhnung,

  • allagh /allagé, lat. commercium, neg-otiatio von neg-otium, Nichtmüßigkeit, nicht untätig sein, d. h. sich zur Verhandlung/ Versöhnung bereithalten, AUSTAUSCH im Sinne von Handel, Handelsverkehr, Verhandlung.


§ 9 Strukturverfassung von Freiheit und Marktwirtschaft

Tauschvorgänge der Gesinnung und des Welthandels sind Prozesse, die im Liberalismus die Stelle der Raubwirtschaft der kleinen Horden einnehmen. In der Universität von Sydney sagte HAYEK in einem Vortrag am 6. Oktober 1976 dazu:

«Mehrmals habe ich vorgeschlagen, dass die Theorie für die Erklärung der Marktfunktion Katallaktik heißen müsste. - - - Ich habe mich ein wenig verliebt in dieses Wort, seitdem mir offenbar geworden ist, dass es im Altgriechischen nicht nur Handelsverkehr bedeutete, sondern darüber hinaus auch die Zulassung eines Feindes als Freund in eine Gemeinschaft. Demzufolge habe ich es vorgenommen, die Spielregeln des Marktes danach zu benennen, kraft dessen wir einen Fremden zu einer katallaktischen Runde willkommen heißen können. - - - Die Runde, die begann vielleicht schon eine kleine Schar von Männern, die Schirmherrschaft ihres eigenen Stammes verlassend, um sich zum Dienst von völlig Unbekannten bereitzuhalten. Als die ersten Neolithischen Handelsleute eine Ladung von steinernen Kriegsbeilen aus Britannien über den Kanal verschifften, um sie gegen Bernstein oder gar gegen volle Weinfässer einzutauschen, ihr Vorsatz war nicht, an Unbekannte einen Gefallen zu erweisen, sondern sie wollten einfach größere Gewinne erzielen. Gerade deshalb interessierten sie sich um Leute, obwohl völlig unbekannte, die sich bereit zeigten, bessere Preise zu erlegen. Durch die Übergabe der Kriegsbeile an Andere, die davon zweifellos auch gut profitierten, wurde ihr Lebensstandard viel besser als in der Nachbarwirtschaft zuhause»71.

Desgleichen bereits im Walter Eucken Institut72, Freiburg im Breisgau 1967 führte HAYEK in einem Vortrag aus, dass das griechische Verb καταλλασσω/katallásso, nicht nur im Aktivum austauschen und somit den Freihandel der Tauschgesellschaft, sondern im Passivum auch ein Sich-versöhnen, Sich-selber-austauschen und somit die Konversion eines Feindes in Freund, d. h. nichts weniger als die Beilegung einer ständigen Feindschaft in der Raubgesellschaft bedeute. Im dreibändigen Werk (1973-1976-1979)73, das die Beziehungen zwischen Recht und Gesetzgebung in Bezug auf den Liberalismus vertiefte, wird die Ordnung des Marktes als Katallaktik gedeutet. Auch in seinem Schwanenlied74, nennt er den Gegensatz zu Katallaktik

  • Szientismus: Wissenschaftsgläubigkeit, oder
  • Konstruktivismus: als Synonym für den Ersteren.

Dieses Denken more geometrico75 ist nicht nur eine Haltung in der sozioökonomischen Theorie und Praxis, sondern auch ein Titel für abstrakte Malerei und Plastik, bei der die Linienführung in geometrische Figuren aufgeht. Mir scheint es ein vertrauenswürdiger Indizienbeleg zu sein, zugunsten von SEDLMAYRS Interpretation der Kunstgeschichte, die darauf besteht, dass Kunst, Wirtschaft und Lebensform nicht in einem luftleeren Raum aneinander vorbeileben können. Konstruktivismus, der bei HAYEK die nicht humanistische Opposition zur Katallaktik benennen soll, bezeugt bei SEDLMAYR eine auffallende Homologie. Die gewaltige Strömung des Unmenschlichen nährt sich nach HAYEK von vier repräsentativen Einzugsgebieten:

  1. Empirismus, der für jede Annahme der Wahrhaftigkeit auf eine Versuchstätigkeit besteht.

  2. Positivismus, der die Koexistenz und die logische Verkettung aller Phänomene in Zeit und Raum unter der Bedingung beschreiben will, dass sie immer unserer Beobachtung zugänglich sein müssten.

  3. Utilitarismus, der die Rechtfertigung von allem mit dem Saldo einer Verlust- und Gewinn-, d. h. Lust-Un-Lust-Rechnung beschränken möchte.

Diese vier Schlagworte können als Glaubensbekenntnisse der hochmütigen Wissenschaft und der modernen Erkenntnistheorie verstanden werden. Sie stimmen alle in der Zurückweisung der traditionellen Moral überein. Daraus folgt der doppelte Schluss:

  • Nach den Konstruktivisten haben wir keinen Grund den überlieferten Prinzipien treu zu bleiben, obwohl sie zur Erschließung unserer Lebensform nötig waren und weiterhin nötig sind.

  • In der Folge verlangt der Konstruktivismus die Formulierung einer neuen Moral, die gewöhnlich auf der Grundlage «wissenschaftlicher» Erkenntnisse mit den sozialistischen Moralvorstellungen zu koinzidieren pflegt.

Diese und ähnliche Postulate der Wissenschaftlichkeit lassen vier unterschwellige Überzeugungen vermuten, die man wie folgt zusammenfassen kann:

  1. Alles ist unvernünftig, was sich keine wissenschaftliche Rechtfertigung leisten und der Beobachtung nicht unterworfen werden kann76.

  2. Nichts kann vernünftigerweise angenommen werden, was nicht verstandesmäßig erklärt wird: «Ich muss zugeben – sagt HAYEK – dass auch ich in anderen Zeiten dieser Idee nachgehangen bin. Der Philosoph, mit dem ich weitgehend übereinstimme, Sir Karl POPPER hat einmal behauptet, kein Rationalist "könne jemals blind irgendeine Tradition annehmen"77 Die Hervorhebung ist von mir und halte dafür, dass diese Forderung so schwierig zu erfüllen sei, wie eben gar keine anzunehmen. Es mag dabei um einen Lapsus des Autors handeln, da er ein anderes Mal das völlig Gegenteilige unterstellte, "wir wissen nie wovon in Wirklichkeit die Rede ist"78 Es kann mit Sicherheit angenommen werden, dass ein der Freiheit zugeneigter Mensch niemals davon Abstand nehmen wird, seine Orientierung, die er auf traditionellem Wege empfangen haben mochte, einer Prüfung zu unterziehen, um sie abzulehnen, falls dies nötig sei. Aber das Mitsein in gesellschaftlicher Lebensform kann nur in dem Maße erträglich werden, insofern wir zur Annahme eines gewissen Überlieferungskomplexes bereit sind (obwohl wir uns darüber) nicht immer Rechnung ablegen), dessen Effekte wir nie zur Gänze verständlich artikulieren können».

  3. Es wird auch jedes Verhalten unvernünftig hingestellt – dem vorherigen Punkt ähnlich – wenn die Zielvorstellung nicht im vornhinein festgestellt werden kann79.

  4. In gleicher Weise wird jedes Unterfangen unvernünftig angesehen, nicht nur wenn seine Wirkungen unbekannt bleiben, sondern auch wenn sie nach der utilitaristische Schule als ungünstig anzusehen sind.


71 Hayek (2) 54
72 Veröffentlicht durch das Institut für Wirtschaftliche Angelegenheiten, London 1968. Referenz in Hayek (2) 63, 80
73 Hayek (1) Kap. X
74 Hayek (3) Kap. IV. «Eine Litanei von Irrtümern». Cf. griech. lithá/litá, eine Wunschliste zu erflehen.
75 More geometrico beduetet «streng nach Art der Geometrie verfahrend», von lat. mos, moris, Pl. mores /Art, Gewohnheit, Brauch, Sitte, Moral. Baruch Espinoza (1632-1677), der nach Holland vertriebene Philosoph und Optiker spanisch-jüdischer Abstammung, versuchte seinen Tractatus theologico-politicus (1670) in dieser Form durchzudenken, womit er sich von seinen Religions-vorstehern die Exkommunikation aus der Synagoge einhandelte. Der Argentinier Jorge Luis Borges widmete seinem Andenken ein Sonett seltener Schönheit und geometrischer Klarheit.
76 Cf. Monod, Born
77 1948/ 63:122
78 1974/76:27. Cf. auch Bartley 1985/1987

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