Schattenwirtschaft: Fluch oder Segen für die legale Volkswirtschaft?
Umfang der Schattenwirtschaft umso größer ist, je schlechter die legale Wirtschaft funktioniert. Deshalb sollen zunächst die Vorgänge im Untergrund in den drei oben genannten Fällen etwas näher beleuchtet werden:
Der Anteil der Schattenwirtschaft beträgt in der UdSSR etwa 50%, in Italien etwa 30% und in Deutschland und den USA etwa 10-15%. Ohne Schattenwirtschaft wäre nicht nur das BIP in den Oststaaten wesentlich niedriger gewesen, sondern das gesamte Prinzip der Planwirtschaft hätte ohne illegale Hilfsdienste gar nicht existieren können.
Die offizielle Planwirtschaft braucht zur Erfüllung ihres Plansolls die freie Untergrundwirtschaft, den grauen und den schwarzen sowie den linken Markt. Diese Elemente der Schattenwirtschaft waren aus der Planwirtschaft nicht wegzudenken, trotzdem alle illegalen Tätigkeiten mit strengsten Strafen geahndet wurden. Seit 1983 wurden Anbieter auf dem schwarzen Markt mit 10 Jahren Haft im Konzentrationslager bestraft. Ein Fischereiminister, der Kaviar illegal in westliche Länder exportierte, wurde hingerichtet. Trotz dieser strengen Strafen war aber die Sowietwirtschaft ohne Unterstützung durch den verbotenen schwarzen Markt nicht in der Lage, auch nur den primitivsten und lebensnotwendigsten Bedarf der Bevölkerung zu decken. Und auch das reguläre Plansoll der Staatsbetriebe wäre nicht ohne Untergrundwirtschaft zu erfüllen gewesen. Die Betriebe hatten untereinander ein halblegales Austauschsystem entwickelt, das in Funktion tritt, sobald die planmäßige Versorgung mit Rohmaterial, Maschinen, Ersatzteilen und Zulieferungsprodukten versagte. Sobald sich Schwierigkeiten in der Zulieferung ergeben, sprang ein Vermittler, der sogenannte "Tolkatsch" ein, der Mittel und Wege fand, um die benötigten Produkte herbeizuschaffen. Tolkatsch heißt Stoßer, und die Tätigkeit dieses, im Grunde nach den Richtlinien eines freien Marktes arbeitenden Stoßers, bestand darin, unter Ausnützung aller nur irgend möglichen Mittel, die Versorgungsschwierigkeiten zu überbrücken. Meist bestand der erste Versuch zur Beschaffung der durch die Planwirtschaft nicht oder nicht rechtzeitig gelieferten Güter in einem Tauschhandel der im eigenen Betrieb erzeugten, oder wenn nötig erzeugbaren oder beschaffbaren Produkte, gegen die gesuchten Produkte. Deshalb war auch ein illegales Lager die erste Bedingung für das Funktionieren der Planwirtschaft.
War die Beschaffung durch Tauschhandel nicht möglich, musste ein größeres Risiko in Kauf genommen werden. Durch Bestechung ließ sich bei einiger Vorsicht sogar die Genehmigung zu einem Sondertransport per Flugzeug zur raschen Anlieferung der benötigten Güter beschaffen und ebenso eine Sonderverfügung, die die benötigten Waren einem anderen Bestimmungsort entzog. Dort musste ein anderer Tolkatsch dann sehen, wie er die nun an dieser anderen Stelle fehlenden Produkte wieder beschaffen konnte.
Aber auch für den Privatmann wurden von Staatsbeamten meist nur dann die offiziellen Dienste erbracht, wenn die Untertanen auch bereit waren, ein kleines Sonderhonorar zu bezahlen.
Begehrte Theaterkarten, ein Flugticket, eine Zulassung zum Studium, eine Zuweisung einer besseren Wohnung oder ein Bezugsschein für ein Auto war ohne diskrete Bestechung schwer zu erhalten. Am besten war die gewünschte Entscheidung des zuständigen Beamten nicht durch Geld, sondern auch durch Beschaffung einer Mangelware zu erreichen. Und was der Staat überhaupt nicht konnte, das schaffte der hervorragend organisierte Apparat der Schwarzhändler:
Gegen Dollar, die Währung des Untergrundes, beschafften Moskauer Schwarzhändler innerhalb weniger Minuten jedes begehrte Gut. Das Geschäft wurde allerdings meist besonders diskret abgewickelt. Ein möglicher Interessent für ein Schmuckstück wurde zuerst in einer harmlosen Diskussion abgetastet. Entpuppte er sich als potenter Käufer und als zuverlässig, verschwand der erste Kontaktmann um eine Straßenecke, wo ein anderer Mittelsmann erst die Ware bereit hatte, um das Geschäft zu realisieren. Riskantere Geschäfte, wie etwa der Verkauf von verbotenen Büchern oder von Waffen, wurden eher in einer Wohnung abgewickelt. Dabei wurde zuerst über eine Mittelsmann ein Deckname vereinbart, den der Interessent erst nennen musste, um in ein Geheimquartier Einlass zu finden.
Ähnlich wie in der Marktwirtschaft bei langen Lieferzeiten, waren gebrauchte Wagen in der UdSSR teurer als neue, da für 250 Einwohner nur ein Auto pro Jahr gebaut wurde, während in Deutschland zur gleichen Zeit für je 20 Einwohner ein Auto pro Jahr erzeugt wurde. Für den Erwerb eines Autos waren außerdem mehrere Anrechtscheine erforderlich, die nur unter bestimmten Bedingungen ausgegeben wurden, aber auch illegal erwerblich waren.
Oft wurden deshalb auch von Mitgliedern der oberen Klasse, der Nomenklatura, die bessere Möglichkeiten hatten, Bezugsrechte zu erwerben, Waren, die aufgrund einer politischen Bevorzugung erworben werden konnten, auf dem schwarzen Markt verkauft. Sogar Lastkraftwagen für Betriebe wurden illegal gehandelt. Tausende von Verkaufstalenten, Vermittlern und Maklern mit entsprechender Erfahrung im Aufspüren von Marktlücken und illegalen Möglichkeiten zur Befriedigung des Bedarfs im Privatsektor und in der Planwirtschaft waren so im Untergrund tätig und weit leistungsfähiger als der Handelsapparat des Staates, der nicht einmal die elementarsten Bedürfnisse der Bürger zu befriedigen in der Lage war.
Die Bedeutung der Schattenwirtschaft übertraf in der UdSSR bei weitem die der offiziellen Planwirtschaft. Der Arbeitslohn in der Planwirtschaft war außerdem unabhängig von der Leistung und vom Fleiß des Arbeiters. Es bestand somit kein Anreiz sich besonders einzusetzen, und jeder drückte sich deshalb so weit es irgend möglich war vor seiner offiziellen Arbeit. Dafür setzte er seine ersparten Kräfte um so besser ein, wenn er anschließend am inoffiziellen Markt illegal gegen einen leistungsgerechten Lohn zu arbeiten Gelegenheit fand. Und die ergab sich ohne Schwierigkeiten, weil der offizielle Markt so gut wie überhaupt keine brauchbaren Dienstleistungen anbieten konnte.
Aber auch in der Planwirtschaft gab es gesetzlich nicht verbotene Tätigkeiten in der Schattenwirtschaft. Das von Bauern mit gesetzlicher Genehmigung bewirtschaftete Land in der UdSSR umfasste etwa 4% der gesamten im Staat verfügbaren landwirtschaftliche nutzbaren Fläche. Auf diesem kleinen Bruchteil der nutzbaren Fläche erzeugten die Bauern über 60% aller Kartoffel, sowie über 33% an Obst, Gemüse, Eiern, Milch und Fleisch des gesamten Konsums im Lande.
Diese bedeutende Leistung der Schattenwirtschaft lag natürlich nicht an den Menschen, sondern am System. Das hatte man seinerzeit sogar auch in Ungarn, dem Wirtschaftswunderland unter den Ländern der Planwirtschaft, erkannt. Dort gab es pro Kopf doppelt so viele, teils auch illegale, Privatbetriebe wie in der