Anfänge bürgerlicher Ideologie

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von Dr. Anton Szanya

anvertrauen kann, ohne daß man lächerlich wirkt?“71 Schließlich seien Bildung und Ausdrucksfähigkeit untrennbar miteinander verbunden. „Denn literarische Fähigkeiten ohne Sachkenntnis sind fruchtlos und unnütz, und Sachkenntnis, mag sie auch noch so umfassend sein, erscheint, wenn sie einer glanzvollen Darstellung entbehrt, irgendwie armselig und unverständlich.“72

Hinwendung zur Philosophie des Aristoteles

Seine profunde Kenntnis der griechischen Sprache ermöglichte es Lionardo BRUNI auch, die griechische Philosophie gründlicher zu studieren als dies bis zu seiner Zeit im vorwiegend lateinisch sprechenden und schreibenden Westen der Fall gewesen war. Er lernte auf diese Weise Philosophen kennen, die vor ihm weithin unbekannt waren wie beispielsweise XENOPHON (430 - 355/354 v.u.Z.)73 Entscheidend für seine weitere persönliche Entwicklung wurde für BRUNI seine Übersetzung der „Ethik“ des ARISTOTELES ins Lateinische etwa um das Jahr 1417.

Bis dahin hatte er noch einem Stoizismus gehuldigt, wie er, vermittelt durch die Werke des Marcus TULLIUS Cicero (106 - 43 v.u.Z.) und des Lucius ANNAEUS Seneca (4 v.u.Z. - 65), Coluccio SALUTATI und seine Generation geprägt hatte. Auch pries er bis dahin auch noch PLATON wegen des Umstandes, daß er in seiner Philosophie der christlichen Lehre so nahe gekommen wäre und er darum ein Philosoph sei, „der in keiner Weise von der christlichen Religion abspenstig macht, sondern so viel Übereinstimmung mit ihr zeigt, daß die Grundlagen seiner Lehren aus unseren Büchern entnommen zu sein scheinen.“74

Unter dem Einfluß seiner wachsenden Kenntnis des ARISTOTELES wandte sich Lionardo BRUNI zunehmend von PLATON ab. Mit der Hinwendung zu ARISTOTELES verbunden war bei BRUNI auch eine neue Lebensanschauung. Er verschrieb sich der aristotelischen Güterlehre, die dem Genuß und der Verwendung irdischer Güter ihr Recht gibt und nicht das tätige Leben und die natürlichen Leidenschaften geringschätzig abtat, worin sich stoische Apathie und christliche Askese in gleicher Weise gefielen. Hatte zum Beispiel SALUTATI noch den Reichtum als Quelle des Lasters verachtet, so fand BRUNI durchaus lobende Worte für ihn: „Es gibt aber auch nützlichen Reichtum, da er sowohl seinem Besitzer zur Zier gereicht als auch Gelegenheit zur Ausübung der Tugend bietet. Er nützt auch den Söhnen, die durch ihn leichter zu Ehren und Würden aufsteigen.“75

Brunis Menschenbild

Mit „Ehren und Würden“ sind die Stichworte gefallen, warum BRUNIS Hinwendung zu ARISTOTELES für die Beleuchtung der Ursprünge der politischen Bildung so bedeutsam ist.

Die aristotelische Philosophie kam BRUNIS Neigung zur politischen Tätigkeit sehr entgegen. BRUNI war ebenso wie sein Lehrer SALUTATI ein durch und durch politischer Mensch. Während aber SALUTATI, in seiner Jugend noch entscheidend von den Idealen eines asketischen Christentums geprägt und von stoischen Lehren beeindruckt, noch um die Rechtfertigung dafür gerungen hat, nicht weltflüchtig die Einsamkeit gesucht, sondern sich in den Trubel der politischen Auseinandersetzung begeben zu haben, fand BRUNI in der aristotelischen Ethik und Güterlehre die Bestätigung seiner Ablehnung der „vita contemplativa“. Er fand sie dort um so leichter als er in der Theologie seiner Zeit keine ihn beeindruckende Gelehrsamkeit mehr sah, ja überhaupt ihre Wissenschaftlichkeit in Zweifel zog, wenn er an einer Stelle bemerkte: „Aber ich spreche nicht von jener gewöhnlichen und verworrenen Gelehrsamkeit, die diejenigen besitzen, die sich heute mit Theologie beschäftigen, sondern von jener rechtmäßigen und echten Bildung, die eine echte Verbindung herzustellen sucht zwischen der Kenntnis der literarischen Überlieferung und den Gebieten der Wissenschaften ...“76 In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, daß BRUNI zur Ausgestaltung und Untermauerung seiner Darlegungen fast nie Bibelstellen oder Zitate aus den Kirchenlehrern heranzog, wie dies SALUTATI noch vielfach getan hatte.

Eben weil der Mensch ein geselliges Wesen, einzvon politikon, ist, war für BRUNI ein tätiges Leben dem beschaulichen vorzuziehen. „Das beschauliche Leben ist zwar gewiß gottähnlicher und seltener, das tätige Leben aber im allgemeinen Nutzen hervorragender“, stellte er lapidar fest. BRUNI ging sogar noch weiter, indem er am Beispiel des Lebens Dante ALIGHIERIS seine Verachtung derer, die sich der Kontemplation verschrieben haben, Ausdruck gibt. „Dieses Beispiel ist eine vollkommene Widerlegung jenes Irrglaubens, in dem so viele Unwissende nur denjenigen für einen Jünger der Wissenschaft erachten, der sich in Abgeschiedenheit und Müßigkeit verkriecht. Ich für meinen Teil habe unter diesen Stubenhockern, die den Verkehr mit den Menschen meiden, noch keinen getroffen, der wenigstens bis drei zählen konnte.“77

Die Neigung BRUNIS zum politisch tätigen Leben - und sein vorhin wiedergegebener Satz, daß das tätige Leben von größerem Nutzen für die Gemeinschaft sei, läßt wohl den Schluß zu, daß nach BRUNIS Auffassung das tätige Leben in erster Linie eine Tätigkeit in der Politik zum Inhalt hatte - beeinflußte auch sein Bildungsideal. In diesem räumte er der Kenntnis der Geschichte einen bedeutenden Platz ein. „Über viele Dinge gibt uns die Geschichte nützliche Unterweisung, indem sie an Beispielen zeigt, was für einen Ausgang ähnliche Unternehmungen gehabt haben. Ihre Belehrung ist vergleichbar mit derjenigen von hochbetagten Männern, die von den jungen Leuten deswegen als weise geschätzt werden, weil sie in ihrem Leben vieles gesehen haben und durch eigenen sowie durch fremden Schaden klüger geworden sind und nunmehr vernünftiger urteilen und bessere Ratschläge

 


 

71 „Quid enim prodest multa et pulchra scire, si neque loqui de his cum dignitate neque mandare litteris nisi ridicule possis?“ (Hans Baron: Leonardo Bruni, a.a.O. S. 19.)
72 „Nam et litteras sine rerum scientia steriles sunt et inanes, et scientia rerum quamvis ingens, si splendore careat litterarum, abolita quaedam obscuraque.“ (Hans Baron: Leonardo Bruni, a.a. O. S. 19.)
73 XENOPHON war Schüler des SOKRATES (470 - 399 v.u.Z.) und hinterließ historische [darunter vor allem die „Anábasis“, die Schilderung des Rückzuges der griechischen Söldnertruppe des persischen Thronprätendenten KYROS nach dessen Niederlage in der Schlacht bei Kunaxa (401 v.u.Z.)], philosophische (vor allem seine Erinnerungen an SOKRATES) politisch-ethische [am bedeutendsten hiervon ist die „Kýrou paidía“, ein Buch über die Erziehung des Perserkönigs KYROS II. (559 - 529 v.u.Z.)] und verschiedene kleinere Schriften.
74 „... qui a vera religione ... nequaquam abhorret, sed tantam habet convenientiam, ut fundamenta sententiarum suarum ex nostris libris putetur sumpsisse.“ (Hans Baron: Leonardo Bruni, a.a.O. S. 4.) Diese Sätze schrieb BRUNI in der Widmung seiner Übersetzung von PLATONS Dialog „Phaidon“ an Papst INNOCENTIUS VII.
75 „Sunt vero utilies divitiae, cum et ornamenta sint possidentibus et ad virtutem exercendam suppeditent facultatem. Prosunt etiam nati ,qui facilius per illas ad honores dignitatesque sublevantur.“ (Hans Baron: Leonardo Bruni, a.a.O. S. 120/121.)
76 „Eruditionem autem intelligo non vulgarem istam et perturbatam, quali utuntur ii, qui nunc theologiam profitentur, sed legitimam illam et ingenuam, quae litterarum peritiam cum rerum scientia contingit ...“ (Hans Baron: Leonardo Bruni, a.a.O. S. 6.)
77 „Nella qual cosa mi giova riprendere l’errore di molti ignoranti, i quali credono, niuno essere studiante, se non quelli, che si nascondono in solitudine ed in ozioso; ed io non vedi mai niuno di questi camuffati e rimossi dalla conversazione delli uomini che sapesse tre lettere.“ (Hans Baron: Leonardo Bruni, a.a.O. S. 53.)

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