Anfänge bürgerlicher Ideologie

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von Dr. Anton Szanya

vielen kleinen und großen Kommunen Italiens mit republikanischer Verfassung herangezogen werden kann, daß eine Familie, wollte sie eine angesehene und einflußreiche Position in der Stadt einnehmen und behaupten, sich politisch betätigen mußte. „Weder Reichtum allein, noch allein eine angesehene Stellung in der Stadt waren gewöhnlich ausreichend, einen hohen gesellschaftlichen Rang zu erreichen. Beide, Reichtum und politisches Amt, mußten miteinander verbunden werden“, beschrieb Lauro MARTINES45 diese Situation. Wo sich nun Reichtum und Politik verbinden, wird letztere nach den wirtschaftlichen Interessen der maßgeblichen Leute gemacht. SALUTATI hat diesen Umstand zwar wohl erkannt, wie ja seine Zornesrede zeigt, aber seine moralisierende Sicht der Dinge hinderte ihn an der Erkenntnis der Unvermeidlichkeit eines derartigen Handelns der „aktiven Mitglieder“ seiner Klasse. Politik war im Florenz seiner Zeit auch ein beständiger Kampf um Sein oder Nichtsein. Viele der Großen Familien in Florenz sind in den politischen Machtkämpfen des 14. und 15. Jahrhunderts durch Verbannung und Vermögenskonfiskation ruiniert worden. Die Namen ACCIAIUOLI, ALBERTI oder RINUCCINI seien stellvertretend für viele andere genannt. Mit dem Bild vom Staat als einer vielköpfigen Hydra beschrieb SALUTATI sehr anschaulich die Situation eines Politikers, den die vielfältigen Parteiegoismen und Familiengegensätze in den Oligarchien der Stadtrepubliken hin und her rissen. Mit welchen Mitteln da Politik gemacht wurde, ließ SALUTATI erahnen, als er aufzählte, was seiner Meinung nach fälschlicherweise aber nichtsdestoweniger allgemein als Nutzen der politischen Tätigkeit angesehen wurde. Das düstere Bild, das nach dem Zeugnis SALUTATIS das Volk von den Oligarchen hatte, wird so fern der Wirklichkeit nicht gewesen sein.

Es war vor allem seine moralische Beurteilung der Zeitumstände, die Salutati immer wieder dazu bewogen, das politische Freibeutertum mit heftigen Worten zu geißeln. Zum einen konnte es ihm als politisch Tätigem aus den bereits dargelegten ethischen Gründen wie auch im Interesse der Wahrung seines persönlichen Ansehens nicht recht sein, in derart schlechtem Ruf zu stehen. Zum anderen haben ihm seine klassische Bildung und seine Kenntnis der römischen Geschichte, auch und weil er sie nur in der zu seiner Zeit noch nicht kritisch hinterfragten schönfärberischen Überlieferung der römischen Geschichtsschreiber kannte, den Blick für große Politik geöffnet, sodaß er die Einstellung seiner Zeitgenossen, für die Politik nur ein Mittel zur Durchsetzung egoistischer Partialinteressen war, vom Standpunkt seiner ethischen Überlegenheit aus zurückweisen konnte.

Salutatis Stellung zum Staat

Ebenso wie sein Verhältnis zur Politik war auch SALUTATIS Verhältnis zum Staat ein moralisches, und zwar ein vorwiegend christlich-moralisches. Ausgehend von seiner juristischen Ausbildung setzten SALUTATIS Überlegungen bei Recht und Gesetz an. Sie waren für ihn die unentbehrlichen Grundlagen jeglicher Art des gemeinschaftlichen Zusammenlebens der Menschen. Doch weit über diese Funktion hinaus lag die Bedeutung von Recht und Gesetz darin, daß sie als Ausfluß der sittlichen und göttlichen Gebote aufzufassen waren. „Denn das göttliche Gesetz setzt fest, das Naturgesetz lenkt und das menschliche Gesetz verkündet und befiehlt. Es ist aber dasselbe, was befohlen wird, wozu hingelenkt wird und was festgesetzt ist. Denn das göttliche Gesetz steht fest und ist deutlich sichtbar, das Naturgesetz empfängt und bewegt, das menschliche Gesetz aber verkündet und verpflichtet.“46

Aus dieser vorausgesetzten engen und unlösbaren Verbindung der drei Stufen des Rechts - göttliches Recht, Naturrecht, menschliches Recht - ergab sich für SALUTATI klar und unabweislich, daß ein Rechtsstaat nach seinem Verständnis nur auf dem Gesetz der christlichen Religion aufbauen konnte. „Was nämlich üblicherweise als sarazenisches Gesetz, tartarisches Gesetz oder wie in alter Zeit samaritanisches Gesetz bezeichnet zu werden pflegt“, äußerte sich SALUTATI hierzu unmißverständlich, „kann vernünftigerweise nicht als Gesetz bezeichnet werden. Jene sind nämlich nicht Gesetze des Heils, sondern des Verderbens, sie sind nicht heilig, sondern gotteslästerlich, sie sind nicht vom Glauben, sondern vom Aberglauben. Wir alle sollen uns nämlich dem evangelischen Gesetz der christlichen Lehre unterwerfen.“47 Nur Gesetze, die auf der jüdisch-christlichen Verkündigung beruhen, können nach Meinung SALUTATIS Anspruch auf bindende Kraft erheben. „Es stellt in der Tat die größte Bedeutung und den unschätzbaren Ruhm der Gesetze dar“, führt er diesbezüglich aus, „daß sie Gott und nicht irgendeinen Menschen als Ursprung hatten. Jene nämlich hat Gott auf die Tafeln geschrieben und dem lauschenden Volk auf wunderbare Weise unter Blitz und Donner verkündet. Diese empfing die Nachkommenschaft Abrahams, in dessen gesegnetem Samen alle Stämme und in der Folge das ganze Menschengeschlecht enthalten waren. ... Es gibt kein Gesetz, das das göttliche nicht nachahmt ... und die Einrichtungen des göttlichen Gesetzes nicht vorwegnimmt und verehrt.“48

Daraus folgerte SALUTATI, daß nicht jedes formell gültige Gesetz wirklich zu Recht bestehe, als er ausführte: „Es ist etwas Verschiedenes, die Kraft eines Gesetzes zu haben oder ein Gesetz zu sein. Was nämlich ungerecht ist, mag ... als Gesetz befolgt werden, weil es Gesetzeskraft hat, ein Gesetz ist es dennoch keineswegs.“49 Demnach wäre, wie SALUTATI weiter fortsetzte, den Gesetzen des Staates nur dann unbedingter Gehorsam zu leisten, wenn es sich um Gesetze im vorhin beschriebenen Sinn handelte. „Wir wollen der Obrigkeit gehorchen, denn da alle Obrigkeit von Gott kommt, widersetzt sich derjenige, welcher sich der Obrigkeit widersetzt, wie der Apostel sagt, der göttlichen Ordnung. Gehorcht euren Vorgesetzten und unterwerft euch ihnen; sie selbst nämlich, wie der Lehrer der Völker bezeugt, wachen gleichsam über eure Seelen und müssen Rechenschaft darüber ablegen. Wir sind ja durch Gott der ganzen Schöpfung unterworfen, aber, damit wir es nicht vielleicht vergessen, man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen. Dumm ist nämlich der

 


 

45 „Neither wealth alone, nor civil eminence alone, normally sufficed to attain high social rank. The two, walth and office, hat to be combined; ...“ (Lauro Martines: The Social World of the Florentine Humanists 1390 - 1460. London 1963. S. 55.)
46 „Divina quidem lex instituit, naturalis inclinat, humana promulgat et iubet. Idem autem est, quod iubetur, et ad quod inclinatur, et quod institutum est. Divina quidem lex instat et eminet, naturalis recipit atque movet, humana vero promulgat et obligat.“ [Coluccio Salutati: De nobilitate legum et medicinae. Zitiert in Alfred von Martin: Coluccio Salutati und das humanistische Lebensideal; Ein Kapitel aus der Genesis der Renaissance. Leipzig, Berlin 1916. S. 132, Anm. 7 (= Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, Bd 23.)]
47 „Nam quod vulgo dici solet lex Saracenica, lex Tartarica vel (ut antiquitus) lex Samaritanorum, non potest rationabiliter dici. Non enim sunt leges ille salutis, sed perditionis, non sacre, sed sacrilege, non religionis, sed superstitionis. Omnes enim christiani preceptis legis evangelice subiacemus.“ [Coluccio Salutati: De nobilitate ... Zitiert in: Alfred von Martin: Mittelalterliche Welt- und Lebensanschauung im Spiegel der Schriften Coluccio Salutatis. München, Berlin 1913. S. 154. (= Historische Bibliothek, Bd 33)]
48 „Verum maxima legum auctoritas et inextimabilis gloria est ... Deum habuisse, non hominem quempiam, inventorem. illas quidem Deus scripsit in tabulis et audienti populo mirabiliter in coruscantionibus promulgavit. Hac accepit posteritas Abrahe, in cuius semine benedicende fuerant omnes gentes et per consequens totum humanum genus. ... Nulla quidem lex est, que divinam non imitetur ... queve divine legis instituta non precipiat, non andorat.“ (Coluccio Salutati: De nobilitate ... in: Alfred von Martin: Mittelalterliche, a.a.O. S. 155.)
49 „... aliud est legis habere vigorem, aliud legem esse. Quod enim iniustum est, licet ... pro lege servetur, legis quidem vigorem habet, lex tamen omnino non est.“ (Coluccio Salutati: De nobilitate ... in: Alfred von Martin: Coluccio Salutati, a.a.O. S. 136, Anm. 6.)

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