Anfänge bürgerlicher Ideologie

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von Dr. Anton Szanya

1402 zertrümmerte er das osmanische Reich, das für einige Jahre in Thronkämpfe der verschiedenen Söhne des gefangen weggeführten Sultans BAJEZID I. Yildirim66 versank.

In dem für die romäischen Reichsteile folgenden ruhigen zwei Jahrzehnten kam es in Mistra zu einer späten Nachblüte des Hellenismus. Angeregt durch die unmittelbare Nähe Mistras zum antiken Sparta entwickelte der neuplatonische Philosoph Georgios GEMISTOS PLETHON (1360? - 1450?) nach dem Vorbild der „Politeia“ PLATONS den Plan für einen griechischen Musterstaat auf der Peloponnes, von dem eine Wiedergeburt des Griechentums ausgehen sollte. Neben Anregungen für eine wirtschaftliche und militärische Neuordnung schlug er auch vor, daß die Griechen zum Glauben an die alten Götter zurückkehren sollten. Es ist daher nicht verwunderlich, daß der Patriarch von Konstantinopolis die Schriften PLETHONS dem Feuer überantwortete.67

Mit dem Regierungsantritt Sultan MURADS II. (1404 - 1451; Sultan seit 1421) war die ruhige Zeit vorbei. In den Jahren 1423 und 1425 durchzogen osmanische Heere Griechenland und die Peloponnes, eine Spur der Verwüstung hinter sich lassend. PLETHON ging nach Italien; mit ihm und nach ihm noch andere wie Johannes ARGYROPOULOS, Theodoros GAZA, GREGORIOS aus Trapezunt oder Konstantinos LASKARIS. Dort gaben sie den „Humanistischen Studien, wie die Beschäftigung mit Sprache, Philosophie und Geschichte der Antike zusammenfassend genannt wurde, neuen Auftrieb und damit auch der Herausbildung eines weitverzweigten Privatschulwesens. Durch dieses Bildungssystem wesentlich geformt wurde neben vielen anderen auch Lionardo BRUNI.

Lionardo Bruni - der homo politicus

Lionardo BRUNI (1369 - 1444), geboren in der toskanischen Stadt Arezzo, geriet schon in jungen Jahren in den Bannkreis der humanistischen Bildung, als er neben seinen juristischen Studien in Florenz die Vorlesungen des romäischen Gelehrten Manuel CHRYSOLORAS über griechische Sprache und Philosophie hörte. Im Kreise der an der klassischen Bildung interessierten Florentiner erregte der junge BRUNI die Aufmerksamkeit Coluccio SALUTATIS. Beide Männer kamen einander näher, und SALUTATI gewährte dem vaterlosen BRUNI ausreichende materielle Unterstützungen, um ihm seine Studien zu ermöglichen. BRUNI hat sich nach dem Tode SALUTATIS dafür erkenntlich gezeigt, indem er einem seiner Söhne, der an einem Augenleiden litt, zwei kirchliche Pfründen verschaffte, die ihm eine angemessene Lebensführung ermöglichten.

Im Jahre 1405 erlangte BRUNI eine Sekretärsstelle an der römischen Kurie unter Papst INNOCENTIUS VII.68 in deren Ausübung er nicht nur den diplomatischen Schriftwechsel, sondern auch verschiedene politische und militärische Aufgaben zu erledigen hatte. Die Übertragung eines Bistums als Anerkennung für seine Dienste lehnte BRUNI jedoch ab; er bevorzugte ein Leben im Laienstand. Als sich mit der Absetzung des Papstes GREGORIUS XII.69 durch das Konzil von Pisa im Jahre 1409 die Situation der römischen Kurie prekär zu gestalten begann, suchte BRUNI einen ehrenvollen Weg, um aus dem kurialen Dienst auszuscheiden, der sich ihm im Jahre 1410 mit der Berufung zum Kanzler von Florenz eröffnete. Allerdings war diese Stelle wesentlich geringer dotiert als seine frühere an der Kurie, sodaß BRUNI Florenz nach wenigen Monaten wieder verließ, um einen Posten bei dem auf dem Konzil von Pisa gewählten Papst JOHANNES XXIII. anzunehmen. Das bedeutendste Ereignis im Dienste dieses neuen Papstes war die Reise zum Konzil von Konstanz und der Aufenthalt in dieser Stadt, wovon BRUNI ausführliche Berichte an seine Freunde und Bekannten gab. Als die Verhandlungen des Konzils erkennen ließen, daß die Tage JOHANNES’ XXIII. als Papst gezählt waren, verließ BRUNI den kurialen Dienst erneut und kehrte im Jahre 1415 nach Florenz zurück.

Dort führte BRUNI in den folgenden Jahren das Leben eines Privatgelehrten und arbeitete an seinem Hauptwerk, einer „Geschichte der Stadt Florenz“, das ihm nach seiner Fertigstellung große Ehrungen von seiten der Stadtregierung und eine Befreiung von allen Abgaben einbrachte, weil er darin den Nachweis erbracht hatte, daß die Stadt nicht von C. IULIUS Caesar (100 - 44 v.u.Z.), der als Begründer des römischen Kaisertums galt, sondern bereits in der Zeit der römischen Republik von Lucius CORNELIUS Sulla (138 - 78 v.u.Z.) gegründet worden war. Daneben vertiefte er sich in umfangreiche Studien der griechischen Philosophie, vor allem des ARISTOTELES, vom dem er einige Werke neu ins Lateinische übersetzte. Als im Jahre 1427 das Amt des Kanzlers von Florenz wieder frei wurde, nahm BRUNI es ein zweites Mal an und bekleidete es bis zu seinem Tode im Jahre 1444.

Brunis Stellung zu Bildung und Philosophie

Die vollkommene Beherrschung der beiden antiken Sprachen und die daraus gewonnene Kenntnis der Alten Geschichte bestärkten Lionardo BRUNI in der Meinung, daß alle echte Bildung nur in einer Aneignung der klassischen Bildungsideale zu finden sei. Ein Vergleich seiner Gegenwart mit der Welt der Antike zeigte in seinen Augen eindeutig die Überlegenheit der letzteren über die erstere. „... weder im Kriegswesen noch in der Staatsführung, weder in der Redekunst noch im Studium der schönen Künste entsprechen unsere Zeiten den Alten. Es sei denn unser Zeitalter könnte einem Platon, Aristoteles oder Karneades oder vielen anderen Alten in Weisheit und Gelehrsamkeit, einem Demosthenes oder Tullius in der Redekunst, oder in der Staatsführung einem Perikles, Solon oder Cato, oder selbst in der Kriegskunst, worüber wir hier schreiben, einem Pyrrhos oder Hannibal, einem Fabius Maximus oder Marcus Marcellus oder einem Caius Iulius Caesar gleichwertige oder vergleichbare Männer gegenüberstellen.“70

Allein durch beständiges und eingehendes Studium der alten Schriftsteller könne man für sich die Bildung und die Fülle der Kenntnisse erwerben, die notwendig wären, um diesen großen Männern nahe zu kommen. Vor allem aber, und hier schlug der Philologe und Stilist in BRUNI durch, sollte man ständig seine Ausdrucksfähigkeit schulen. „Denn was nützt es, Vieles und Schönes zu kennen, wenn man weder würdig darüber sprechen noch sich dem Papier

 


 

66 1347? - 1403; Sultan seit 1389.
67 Zu Mistra am Beginn des 15. Jahrhunderts siehe: Georg Ostrogorsky: Geschichte des byzantinischen Staates (1940). München: Beck 1980. S. 487/488. Und: Franz Georg Maier: Byzanz. Frankfurt am Main: Fischer 1976. S. 299/300 (= Fischer Weltgeschichte. Bd 13)
68 Cosimo MIGLIORATI, 1336 - 1406; Papst seit 1404.
69 Angelo CORRER, 1325 - 1417; Papst 1406 - 1415.
70 „... nec in re militari nec in gubernatione rerum publicarum nec in eloquentia nec in studiis bonarum artium tempora nostra antiquis respondere. Nisi forte Platoni aut Aristoteli aut Carneadi aut multis aliis veteribus in sapientia et doctrinis, aut Demostheni et Tullio in eloquentia, aut in gubernatione rerum publicarum Pericli, Soloni et Catoni, aut in has ipsa, de qua contendimus, militari arte Pyrrho aut Hannibali aut Fabio Maximo aut M. Marcello aut C. Iulio Caesari saecula nostra pares aliquos aut comparandos queunt proferre! [Hans Baron: Leonardo Bruni Aretino; Humanistisch-philosophische Schriften mit einer Chronologie seiner Werke und Briefe. Leipzig, Berlin 1928. S. 124/125. (= Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters und der Renaissance, Bd 1.)]

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