Anfänge bürgerlicher Ideologie

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von Dr. Anton Szanya

erteilen können.“78 Auch an anderer Stelle betonte BRUNI den Nutzen der Geschichte: „Die Kenntnis der Vergangenheit leitet nämlich die Umsicht und den Ratschluß, und der Ausgang ähnlicher Unternehmungen bestärkt uns entweder in unserem Vorhaben oder hält uns davon ab.“79

Die Hervorhebung der Kenntnis der Geschichte als Entscheidungshilfe für politisches Handeln und die Betonung der Wichtigkeit einer guten Ausdrucksfähigkeit, die im Umgang mit Menschen unentbehrlich ist, als tragende Elemente seines Bildungsbegriffs weisen auf BRUNIS Idealbild vom Menschen. Er war der erste, der dem Menschenbild des Humanismus Gestalt gegeben hat: es ist der umfassend gebildete, im praktisch-politischen Leben stehende Mensch - der Renaissancemensch. Ausgehend von der Tatsache, daß der Mensch eine Einheit von Körper und Geist ist, wies BRUNI der Körperlichkeit des Menschen diejenigen Eigenschaften als Güter zu, die das bis dahin in Geltung stehende christlich-asketische Menschenbild für hinfällig und wertlos erachtet hatte. Bei BRUNI standen nun neben den Gütern des Geistes wie Weisheit, Klugheit, Tapferkeit und Gerechtigkeit gleichrangig auch die Güter des Körpers, als das sind Gesundheit, Schönheit, Kraft, Ausdauer, Abhärtung, Standhaftigkeit und ähnliches mehr.80

Als Verkörperungen seines Ideals stellte Lionardo BRUNI seinen Zeitgenossen vor allem Marcus TULLIUS Cicero vor, über den er sich voll des Lobes äußerte: „Als ein Mann, der wahrlich geboren wurde, um den Menschen sowohl im staatlichen Leben als auch auf dem Gebiete der Wissenschaft zu nützen, hat er den Staat als Konsul und in vielen Reden vor Schaden bewahrt und in Bildung und Wissenschaft nicht allein seinen vielen Mitbürgern, sondern schlechthin allen, die die lateinische Sprache beherrschen, das Licht der Bildung und Weisheit angezündet. ... Deshalb ist es gleichermaßen angebracht, ihn sowohl ‘Vater des Vaterlandes’ zu nennen als auch ‘Vater unserer Redekunst und Wissenschaft’. Wenn man seine Bücher und seinen schriftlichen Nachlaß liest, möchte man niemals glauben, daß er noch Zeit zur Erledigung von mancherlei Geschäften gefunden hat. Andererseits aber, wenn man seine Taten und Bemühungen, seine Beschäftigungen und Anstrengungen in öffentlichen und privaten Angelegenheiten bedenkt, möchte man annehmen, daß ihm zum Lesen und Schreiben keine Muße verblieben ist. ... So hat er allein, wie ich glaube, die zwei größten und schwierigsten Aufgaben der Menschen erfüllt: auch im Staat, der den Erdkreis regierte, viel beschäftigt, schrieb er mehr als Philosophen, die in Muße nur dem Studium lebten; andererseits in hohem Maße ausgefüllt von Studien und der Abfassung von Büchern, erledigte er mehr Staatsgeschäfte als solche, die von jeder Sorge um die Wissenschaft frei waren. ... Ich glaube, daß er dieser Dinge wegen zu bewundern ist: erstens wegen seiner erstaunlichen und göttlichen Geistesgröße, zweitens wegen seiner wachen und tüchtigen Natur, drittens, daß er, erfüllt mit aller Weisheit und Gelehrsamkeit, sich dem Staat gewidmet hat.“81

Das Lob, das BRUNI seinen Vorbildern dafür zollte, daß sie sich sowohl der Bildung als auch der Politik gewidmet haben, beruhte nicht allein auf seiner Übereinstimmung mit ARISTOTELES, daß der Mensch einzvon politikon wäre, sondern mehr noch darauf, daß er davon überzeugt war, daß der Staat eine Lebensnotwendigkeit für den Menschen sei. „Da nun aber der Mensch ein schwaches Wesen ist“, begründete BRUNI dieses Auffassung, „und da er aus sich selbst keine Kraft und Vollkommenheit hat, diese aber aus der bürgerlichen Gemeinschaft erwirkt, kann letztlich keine Wissenschaft dem Menschen angemessener sein, als Stadt und Gemeinschaft zu kennen und zu wissen, wodurch eine Gemeinschaft von Bürgern erhalten wird oder zugrunde geht.“82

Darum sah er in der „Polítika“ des ARISTOTELES, die BRUNI wegen ihrer Bezogenheit auf die Verhältnisse des antiken Stadtstaates wie auf seine zeitgenössischen Verhältnisse zugeschnitten erschienen ist, eine Art Pflichtlektüre für jeden, der in das politische Leben eintreten wollte. In diesem Sinne schrieb er an den Widmungsträger seiner lateinischen Übersetzung der „Polítika“, einen führenden Politiker der Republik Siena: „Eure Ehrwürdigkeit möge daher nicht ungnädig sein, sondern diese kleine Gabe annehmen und nicht die Geringfügigkeit derselben beurteilen, sondern die Bemühung ihres Übersenders, und ich möchte empfehlen, daß die Lektüre dieser Schrift für Eure Bürger zur Pflicht gemacht werde, denn es ist für eine Republik von höchster Wichtigkeit, daß ihre Bürger von verehrungswürdigen Lehren durchdrungen sind und weder durch Zufall noch durch Gewalt, sondern auf dem sicheren und rechtmäßigen Wege nach eingehender Unterweisung an die Staatsführung herangehen ...“83

BRUNI folgte hier seinem Lehrer SALUTATI und der allgemeinen humanistischen Auffassung, daß Politik und Staatsführung nicht einer bestimmten Gruppe im Staat vorbehalten sein sollten. Nicht der Zufall der Erbfolge und schon gar nicht die gewaltsame Usurpation berechtigten zu irgendwelchen Ansprüchen auf die politische Führerstellung, sondern einzig und allein die in persönlichem Bemühen erworbene Bildung gäbe hierzu ein Anrecht. Nur dem neuen humanistischen Bildungsadel stünde es zu, das Schicksal der Staaten zu gestalten, nur die Gebildeten wären fähig, für die Gemeinschaft segensreich zu wirken. Daher sollte es sich nach dem Willen BRUNIS jeder Bürger, der ja jederzeit in ein öffentliches Amt berufen werden konnte, angelegen sein lassen, sich eine gründliche Vorbildung anzueignen. Denn es entspräche nicht dem Wert der politischen Wissenschaft, wenn jedermann ohne besondere Kenntnisse und Fähigkeiten die Möglichkeit erhielte, in das Leben hunderter Mitbürger unter

 


 

78 „Habet ... historiae cognitio ... utilitatem plurimam per exempla smilium coeptorum atque exitum multarumque rerum instructionem, qua senes adolescentibus sapientiores existimatur, quoniam plura conspexerunt in vita et non ex suis tantum, verum etiam ex alienis periculis cautiores effecti melius iudicant melioraque consilia assumunt.“ (Hans Baron: Leonardo Bruni, a.a.O. S. 148/149.)
79 „Dirigit enim prudentiam et consilium praeteritorum notitia, exitusque similium coeptorum nos pro re nata aut hortantur aut deterrent.“ (Hans Baron: Leonardo Bruni, a.a.O. S. 13.)
80 „... cum homo constet ex anima et corpore utriusque particulae bona ac quasi dotes quaedam exsistant (ut animi quidem sapientia, fortitudo, iustitia ceteraeque virtutes, corporis autem valitudo, forma, robur, firmitas, patientia laborum, pernicitas et eiuscemodi aliae) ...“ (Hans Baron: Leonardo Bruni, a.a.O. S. 135.)
81 „Homo vere natus ad prodessendum hominibus vel in re publica vel in doctrina, siquidem in re publica patriam consul et innumerabilis orator servavit, in doctrina vero et litteris non civibus suis tantum, sed plane omnibus, qui Latina utuntur lingua, lumen eruditionis sapientiaeque aperuit. ... Itaque non magis ‘patrem patriae’ appellare ipsum convenit quam ‘patrem eloquii et litterarum nostrarum’, cuius libros monumentaque si evolvas, numquam otium illi fuisse credas ad negotia obeunda. Rursus autem, si res gestas eius, si contentiones, si occupationes, si certamina in re publica et privata consideres, nullum tempus illi reliquum fuisse existimes ad legendum vel scribendum; ... Ita solus, ut credo, hominum duo maxima munera et difficillima adimplevit: ut et in re publica orbis terrarum moderatrice occupatissimus plura scriberet, quam philosophi in otio studioque viventes; et rursus studiis librisque scribendis maxime occupatus plura negotia obieret, quam ii, qui vacui sunt ab omni cura litterarum. ... Huius ego causam fuisse puto admirabilem quamdam ac divinam ingenii magnitudinem, deinde, vigilantem solertemque naturam, tertio, quod plenus omni sapientia omnique doctrina ad rem publicam se contulerat.“ (Hans Baron: Leonardo Bruni, a.a.O. S. 114/115.)
82 „... cumque homo imbecillum sit animal et, quam per se ispum non habet sufficientiam perfectionemque, ex civili societate reportet, nulla profecto convenientior disciplina homini esse potest, quam, quid sit civitas et res publica, intellegere et, per quae conservetur intereatque civilis societas, non ignorare.“ (Hans Baron: Leonardo Bruni, a.a.O. S. 73.)
83 „Vestra igitur excellens magnitudo non dedignetur hoc parvum munus recipere, aestimans non exiguitatem doni, sed affectionem mittentis, ac iuberem ut eius legendi copia fiat civibus vestris. Plurimum enim interest reipublicae, ut cives sanctissimis praeceptis imbuatur ac non casu neque fortuitu, sed certo ligitimoque calle per disciplinam incendant ad civitatem gubernandam ...“ (Hans Baron: Leonardo Bruni, a.a.O. S. 143.)

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