Anfänge bürgerlicher Ideologie

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von Dr. Anton Szanya

Gottes tätig ist, ist ohne Zweifel selbst unsterblich.“91 Dieser allumfassende Macht- und Gestaltungsanspruch des Menschen über die Welt ist bis in die Gegenwart die wesentliche Triebkraft der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen.

Obwohl die Namen eines PLOTINOS oder eines Marsilio FICINO kaum noch jemandem außerhalb der wissenschaftlichen Fachkreise bekannt sein dürften, wirkt also der geistige Anstoß, den sie der kulturellen Entwicklung gegeben haben, bis in die Gegenwart weiter. Nun, da allenthalben die „Grenzen des Wachstums“92 erkennbar werden, kommt es nach und nach auch zu einer Neueinschätzung der bisherigen historischen Entwicklung. „Der lange Zeit als großartige Selbstbefreiung gepriesene Schritt des mittelalterlichen Menschen in die Neuzeit war im Grunde eine neurotische Flucht aus narzißtischer Ohnmacht in die Illusion narzißtischer Allmacht. Der psychische Hintergrund unserer so imposant scheinenden neueren Zivilisation ist nichts anderes als ein von tiefen unbewältigten Ängsten genährter infantiler Größenwahn. Wie das Kind, das sich gewaltsam und illusionär selbst in eine allmächtige Elternfigur verwandelt, um seinen unverläßlichen Eltern nicht länger wehrlos ausgeliefert zu sein, trägt unsere Zivilisation seit damals Merkmale einer krankhaften Selbstüberforderung. Der verunsicherten Beziehung zu Gott, die einen langen Prozeß schmerzhafter Auseinandersetzung erfordert hätte, hat man sich durch Identifizierung entzogen. Aber das durch diese Gleichsetzung erzeugte großartige Selbstbewußtsein ist stets trügerisch geblieben, und das auf die technische Naturbeherrschung fundierte Machtgefühl verleugnet seit je die tatsächliche infantile Abhängigkeit von eben dieser Natur, ohne deren Ressourcen ein Überleben der Menschheit undenkbar ist. ... Die Angst, sich die seit dem Mittelalter nur verdrängte infantile Abhängigkeitsposition einzugestehen, ist fatalerweise momentan immer noch viel größer als die Angst, mit einem objektiv selbstmörderischen Größenwahn unterzugehen.“93 Es wird also Zeit, sich endlich zu einer reifen Einstellung gegenüber der Position des Menschen in der Welt durchzuringen.

 


 

91 „Universalis providentia Dei, qui et universalis causa, propria est. Homo igitur qui universaliter cunctis et viventibus et non viventibus providet est quidem Deus. Deus proculdubio animalium, qui utitur omnibus, imperat cunctis, instruit plurima. Deum quoque esse constitit elementorum qui habitat colitque omnia. Deum denique omnium materiarium qui tractat omnes, vertit et format. Qui tot tantisque in rebus corpori dominatur et immortalis Dei gerit vicem est proculdubio immortalis.“ [Marsilio Ficino: Theologia Platonica de immortalitate animorum ac aeterna felicitate libri XVIII (1474). In: Raymond Marcel (Hg.): Théologie platonicienne de l’immortalité des ames. Bd. 2. Paris 1964. S. 224/225. Hervorhebungen im Text von A.S.]
92 Donella H. meadows u.a.: Die Grenzen des Wachstums (The Limits of Growth). Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1972.
93 Horst Eberhard Richter: Der Gotteskomplex; Die Geburt und die Krise des Glaubens an die Allmacht des Menschen. Reinbek: Rowohlt 1979. S. 29-31. Hervorhebung im Original.

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