Anfänge bürgerlicher Ideologie

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von Dr. Anton Szanya

Welt zurückziehen wollte. Denn auch in der Einsamkeit wäre man vor den Einflüssen der Welt nicht sicher. Der Weg ins Kloster oder in die Einsiedelei wäre daher nicht in jedem Fall der richtige Weg zum Seelenheil. Vielmehr sollte sich der Mensch freimachen von bösen Gedanken, denn es hätte keinen Sinn, sich in die Einsamkeit zu flüchten, aber alle irdischen Wünsche mitzunehmen. Als Ergebnis dieser Überlegungen kam SALUTATI zu einer Erkenntnis, die für ihn als immer noch dem Christentum verbundenen Menschen von unschätzbarer Bedeutung war: Der Begriff der Gottnähe sei nämlich nicht räumlich, sondern geistlich zu verstehen: „Gott ist der Mittelpunkt, der zugleich in der unendlichen Ausdehnung besteht und dem, da er allgegenwärtig ist, niemand näher und niemand ferner sein kann. Es macht nicht so einen Unterschied in der Lebensweise aus, daß der, welcher den Mönchsstand wählte, nicht doch zuweilen - wäre es doch nicht so viel öfter! - Gott ferner sein kann als diejenigen, welche in dieser Welt gefährdet erscheinen. Der Geist ist es, der mit Gott verbunden wird, und aus welcher Lebenslage er auch immer rufen mag, er wird jenen finden, der ja niemals abwesend ist...“22

Könnte schon aus diesen Gründen der „vita contemplativa“ kaum mehr eine besondere Verdienstlichkeit zugeschrieben werden, erschien sie für SALUTATI im Hinblick auf ihre Verdienstlichkeit für die Sündenvergebung sogar gefährlich, bedurfte es doch nach katholischer Anschauung dazu neben der Reue auch der guten Werke. Die „vita contemplativa“ böte aber zu diesen kaum Gelegenheit, sodaß SALUTATI zu dem Ergebnis kam , daß sie sogar dem Willen Gottes widerspräche. Denn „wer nämlich den Nackten bekleidet, dem Hungernden zu essen, dem Dürstenden zu trinken gegeben, den Toten beerdigt, den Gefangenen befreit, den Kranken besucht und den Fremden aufgenommen hat, wird jenes so beglückende Wort hören: ‘Kommt, Gesegnete meines Vaters, und nehmt in Besitz das Reich, das euch seit der Erschaffung der Welt bereitet ist.’“23

SALUTATI unterstützte seine bis dahin ausschließlich auf christlichem Boden stehende Beweisführung zugunsten der „vita activa“ auch noch mit dem berühmten Diktum des ARISTOTELES (384 - 322 v.u.Z.) aus dessen „Polítika“ vom Menschen als einem zwon politikon, indem er meinte, „daß der Mensch dermaßen ein geselliges Wesen ist, daß es keinen von solch ungeselligem Wesen gebe, der nicht an einem Menschen seine Freude habe“.24 In ihrer Herausarbeitung der geselligen Natur des Menschen stand die antike Philosophie für SALUTATI im Einklang mit der christlichen Religion. „Denn wie die christliche Religion in vollkommenster Weise befiehlt, daß man sogar die Feinde in wahrhaftem Überfluß der Nächstenliebe lieben muß, so bewirkt die Natur, welche uns als politische und gesellige Wesen erzeugt hat, da der Mensch des Menschen wegen geschaffen ist, unbemerkt, daß wir natürlich alle, von denen wir geliebt werden möchten oder annehmen geliebt zu werden, selbst lieben.“25

Hier sind nun der christliche und der antike Strang im Denken SALUTATIS zur Begründung der sozialen Natur des Menschen miteinander verflochten worden. Die Schlußfolgerung, daß diese Natur des Menschen, da gottgewollt, an sich gut sei und keiner Vervollkommnung durch eine „vita contemplativa“ mehr bedürfte, lag nahe. SALUTATI sprach sie auch tatsächlich aus, als er sagte: „Wenn wir nun zum ewigen Ruhm bestimmt sind und, wie wir rechtgläubig annehmen, zur Ergänzung der Engelssitze vorgesehen, hätte uns die Natur als Gemeinschaftswesen erschaffen, wenn der Umgang mit den Menschen nicht zum Heil hinführte?“26

Damit hatte SALUTATI die Schwelle überschritten, jenseits derer der „vita contemplativa“ kein Wert mehr zugemessen werden konnte. Der im antiken Sinn tugendhafte und von christlicher Nächstenliebe bestimmte Lebenswandel erschien ihm nun als der wahre und rechte Weg des Menschen zu seiner Bestimmung, die darin bestand, „sich gewissenhaft mit den weltlichen Dingen zu beschäftigen“27

Die Berufung des Menschen zu politischem Handeln

Mochte die Berufung des Menschen auch in der „vita activa“ liegen, so war für Coluccio SALUTATI doch nicht jede Tätigkeit gleichermaßen wertvoll. Handel, Gewerbe und Landwirtschaft waren für ihn zu sehr auf Gewinn ausgerichtet, wodurch derjenige, der diese betrieb, allzu leicht geneigt wäre, seine Kunden oder Geschäftspartner übervorteilen zu wollen. Nach Ansicht SALUTATIS sollte die Tätigkeit, die ein Mensch ausübt, diesem Gelegenheit geben, seine Tugenden zu üben und möglichst vielen nützlich zu sein. Indem SALUTATI christliche Nächstenliebe und antikes Staatsdenken zusammenführte, gab es für ihn nur eine Tätigkeit, die in seinen Augen Wertschätzung verdiente, nämlich die politische. Er begründet dies folgendermaßen: „Aber Du wirst wohl sagen: welche Schlechtigkeit, Ehrlosigkeit und Schimpflichkeit sehe ich mit dem größten Unwillen unter meinen Mitbürgern, was alles ich in fremden Ländern und bei fremden Völkern nicht in solchem Ausmaß sehen würde; so groß ist nämlich Deine Liebe zum Vaterland, daß die Freude an seinen Vorzügen größer, aber der Schmerz über seine Mängel stechender ist. Deine Heimatliebe ist groß, und aus diesem Grunde, wenn Du es recht bedenken wolltest, sollst Du das Vaterland nicht länger meiden, sondern Dich zu seinem um so willigeren Einwohner wandeln, damit Du, wozu jeder beliebige tüchtige Bürger verpflichtet ist, um so mehr dem Vaterland nützlich bist, je mehr Du die anderen übertriffst. Denn da wir auch ohne Unterschied ob Jude oder Barbar, Lateiner oder Grieche alle Brüder in Christus sein sollen, müssen wir unter diesen Umständen doch alle Menschen gleichermaßen lieben, weil wir für alle zusammen das Heil, die Vollkommenheit in allem Guten und die gleiche Ehre wünschen sollen. Es gilt eben als alleinige Definition der Nächstenliebe, daß wir den Nächsten lieben wollen wie uns selbst. Dennoch muß man in der Beschaffenheit oder in den Werken der Nächstenliebe Abstufungen vornehmen, je nachdem wie nahe uns der Betreffende steht. Zwar darf in dem, was wir den anderen wünschen müssen, wohin auch immer Du Dich wenden möchtest, das gebe ich zu, keine Verschiedenheit aufkommen; aber da wir als gemäß der

 


 

22 „...Deus centrum est infinitis circunferentiis coexistens, cui, cum ubique sit, nulla proprior nullaque distantior dici potest. non est ... tanta vivendi differentia, quod qui religionem elegit non aliquando, et utinam multotiens!, longinquior sit a Deo quam qui videntur inter hoc secularia periclitari. mens est que Deo coniungitur et de quocumque statu vite clamaverit, quoniam ipse nusquam abest, invenit illum ...“ (Coluccio Salutati: Epistolario, Bd III, a.a.O. S. 541.)
23 „nam qui nudum induerit, famescentem paverit, sitibundum potaverit, humaverit mortuum, carceratum solverit, infirmum visitaverit et susceperit peregrinum, audiet felicissimum verbum illud: venite, benedictis patris mei: possidete vobis regnum paratum a constitutione mundi.“ (Coluccio Salutati: Epistolario, Bd III, a.a.o. S. 307.
24 „... hominem sic animal esse politicum, quod nullus tam solitarie conversationis sit, qui non homine delectatur.“ (Coluccio Salutati: Epistolario, Bd III, a.a.O. S. 520.) 25 „nam sicut perfectissime iubet Christiana religio etiam inimicos ess
e quadam caritatis redundantia diligendos, ita natura, que nos politicos et associabiles genuit, cum homo propter hominem sit creatus, latenter efficit ut omnes a quibus amemur vel presumamus amari, naturaliter diligamus.“ (Coluccio Salutati: Epistolario, Bd II, a.a.O. S. 318/319.)
26 „cum ad eternam gloriam nati simus et, ut orthodoxe credimus, ad replandas sedes angelorum instituti, non produxisset nos natura politicos, hoc est associabiles, siconversatio prorsus non diriget ad salutem.“ (Coluccio Salutati: Epistolario, Bd III, a.a.O. S. 51.
27 „sancte inter mundana versari ...“ (Coluccio Salutati: Epistolario, Bd II, a.a.O. S. 453.)

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