Religionen und Ideologien – Zwei Erscheinungsformen falschen Bewusstseins
dem er mit bischöflicher Druckerlaubnis bekräftigt: „Es gibt eine Hölle und sie ist ewig. Dämonen und Verdammte haben darin in Ewigkeit ihren Aufenthalt.“38 Auch der neue Katechismus bekräftigt: „Die Lehre der Kirche sagt, dass es eine Hölle gibt und dass sie ewig dauert. Die Seelen derer, die im Stand der Todsünde sterben, kommen sogleich nach dem Tod in die Unterwelt, wo sie die Qualen der Hölle erleiden, ‚das ewige Feuer’.“39 Auch dem Islam ist die Vorstellung der Höllenfeuer nicht fremd. Der Koran enthält viele Stellen, in denen darauf hingewiesen wurde, zum Beispiel: „An jenem Tage werden die Ungläubigen vor das Höllenfeuer gestellt, und es wird zu ihnen gesagt: ‚Ist es nun nicht wahr geworden?’ Und sie werden antworten: ‚Bei unserem Herrn! Jawohl.’ Und Allah wird sagen: ‚So kostet nun auch die Strafe, weil ihr Ungläubige gewesen seid.’“40
Diese eingehende Beschäftigung mit dem Ort eines jenseitigen Strafgerichts entspringt immer wieder zu beobachtenden priesterlichen Bestrafungswünschen. Die Ausflüsse dieser Wünsche sind nicht bloß bei Strafpraktiken islamisch geprägter Staaten und Todesurteilsverkündigungen durch fundamentalistische Mullahs zu beobachten, auch christliche Kardinäle ergehen sich gerne in derartigen Vorstellungen, wobei sie ihr Bedauern, dass sie sich unter dem Einfluss der humanistisch-aufgeklärten Kultur etwas Zurückhaltung auferlegen müssen, kaum verhehlen können. Deutliche Worte fand in dieser Hinsicht der aus Österreich stammende Kardinal Alfons STICKLER (geb. 1910), der in einem Interview äußerte: „Ich habe gelernt, dass im zivilen wie auch im kirchlichen Strafrecht der Strafzweck ein dreifacher ist: Sühne für das, was man gegen das Recht getan hat; die Besserung und die Abschreckung. Heute hat man auf den Begriff der Sühne völlig vergessen, und das ist auch einer der Gründe, warum heute wieder so oft die Todesstrafe strikt abgelehnt wird. [...] Weitere Belege für die von Gott der weltlich-staatlichen Obrigkeit gegebenen Vollmacht, die Todesstrafe zu verhängen, stammen von Paulus im Römerbrief und von Petrus in seinem ersten Brief. [...] Der kirchlichen Obrigkeit ist diese Vollmacht nicht gegeben – sie schreckt zurück vor dem Blut; ja sie muss für die Begnadigung der zum Tod Verurteilten bitten. Das aber hebt die der weltlichen Obrigkeit ausdrücklich von Gott verliehene Vollmacht nicht auf.“41
Zwischen Priestern und Laien besteht somit eine seltsame Wechselbeziehung. Die Priester wollen die Laien beherrschen und bestrafen; die Laien wollen sich den Priestern unterwerfen und zeigen eine hohe Bereitschaft zu leiden. In Begriffen der Tiefenpsychologie ausgedrückt, besteht zwischen Priestern und Laien eine sadomasochistische Symbiose. So kann die religiöse Persönlichkeit in verschiedenen sadomasochistischen Ausprägungen auftreten, die sich beim Überwiegen der masochistischen Komponente darin schickt, unerträgliche Lebenssituationen als „Kreuz“ auf sich zu nehmen, oder sich in Bußübungen bis hin zu Selbstgeißelungen, Bußgürteln und ähnlichem ergeht. Es gibt aber auch die sadistische Ausprägung der religiösen Persönlichkeit, die von dem unstillbaren Bedürfnis getrieben ist, andere zu bekehren, ihnen den eigenen Glauben aufzuzwingen, bis hin zu den Charakteren der Hexenjäger und Inquisitoren.
Das Dogma – Die Entartung des Mythos
Mittel und Ausdruck des priesterlichen Machtanspruches ist das Dogma. Das Dogma – entweder als Bezeichnung für einen einzigen oder aber auch der Gesamtheit eines ganzen Systems theologischer Glaubenssätze verwendet – erfließt aus dem von den Priestern sich zugeschriebenen Naheverhältnis zu den höheren Mächten. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass nur sie Gültiges über deren Wesen, deren Absichten und Pläne sagen können. Daraus folgt, dass die Priester keine Freiheit für eine persönliche Gotteserkenntnis zulassen können, um nicht den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen. Darin liegt auch die Problematik jedweden Dogmas begründet:
Die Aussagen des Dogmas sind metaphysische, unbeweisbare Glaubenssätze, das heißt, sie werden nicht bewiesen und können es auch gar nicht werden. Das heißt, die gläubige Annahme derartiger Glaubenswahrheiten wird anbefohlen. Wie schon die eigentliche Bedeutung des Wortes Dogma – Beschluss – sagt, werden diese Glaubenssätze von einer Instanz beschlossen und ihre uneingeschränkte und allgemeine Anerkennung hängt von dem Ansehen dieser Instanz und von ihrer Macht ab, sie nötigenfalls zu erzwingen.
Eine zweite Schwachstelle des Dogmas liegt in seinem Inhalt. Es besteht in der Regel aus angeblich der Überprüfung durch die Vernunft nicht zugänglichen Behauptungen, allen voran der Behauptung der Existenz eines Gottes oder mehrerer Götter oder sonstiger überirdischer Wesen. Der ganze Komplex religiöser Dogmen steht jedoch in dauerndem Gegensatz zu der aus der allgemeinen Erfahrung stammenden Lebenswirklichkeit der Menschen, sodass das Priestertum, um das Dogma durchzusetzen, das Bestehen einer zweifachen Wahrheit, nämlich der auf Erfahrung beruhenden Vernunftwahrheit und der höherwertigen, auf Offenbarung beruhenden Glaubenswahrheit, behaupten muss. Die Annahme einer derartigen Behauptung ist nur unter der Bedingung der Aufgabe jedes verstandesmäßigen Denkens möglich. Dessen war sich auch schon PAULUS bewusst, weshalb in seinem Zweiten Brief an die Korinther die dortige Gemeinde anfeuert: „Wir stoßen alle Vernunftgründe und alles Hochfahrende um, das sich erhebt gegen die Erkenntnis Gottes, und wir nehmen jeden Gedanken gefangen, um ihn Christus gehorsam zu
38 Georges Panneton: Himmel oder Hölle (Le ciel ou l’enfer, 1955-1956). Innsbruck u.a.: Tyrolia Verlag 2 Bde 1961-1963. Bd 2: Die Hölle. S. 49.
39 Katechismus der katholischen Kirche. München, Wien: Oldenbourg u.a. 1993. Art. 1035.
4046. Sure, Al Ahkaf, 35. [L.-W. Winter (Hg.): Der Koran, Das heilige Buch des Islam. München: Goldmann 61978, S. 410.]
41 [Alfred Worm: „... soll mit dem Schwert getötet werden ...“; Kurienkardinal Alfons M. Stickler über die Todesstrafe, den Gehorsam, Pater Udo Fischer und Bischof Kurt Krenn, in: profil 19/93 (10.5.1993) S. 24.]