Religionen und Ideologien – Zwei Erscheinungsformen falschen Bewusstseins

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von Dr. Anton Szanya

Das Wesen des Teufels

Wie alle Gefühle, so sind auch die Gefühle der Demut, der Frömmigkeit, der Liebe gegenüber Gott ambivalent56. Da nun in allen Religionen die Menschen wieder zu Kindern werden, die ihre Götter und Priester als Eltern betrachten, ist die Ambivalenz ihrer Gefühle diesen gegenüber besonders heftig, und ebenso heftig sind die Ängste vor der Bestrafung für die „bösen“ Regungen ihnen gegenüber. Diese Regungen werden daher vom göttlichen Ich-Ideal abgespalten und auf eine andere Figur projiziert – auf den Geist des Bösen. Diese Personifizierung des Bösen ist daher in den sogenannten monotheistischen Religionen untrennbar wie ein Schatten mit Gott verbunden. In der Religionsgeschichte lässt sich beobachten, dass die Personifizierung des bösen Prinzips in gleicher Weise an Größe und Macht zunimmt wie sich aus der Schar der Götter ein Vatergott erhebt, alle anderen entweder verdrängt oder zu niederen Geistern hinabdrückt und zum allmächtigen Himmelskönig emporwächst. Schon in der Religion des ZARATHUSHTRA (~630-~550) stand dem guten und weisen Gott Ahura Mazda sein Zwillingsbruder, der böse Gott Angra Mainyu gegenüber. Der jüdische Gott Jahwe findet seinen Widersacher in Satan, dem klügsten und schönsten der Engel. Dieselbe Gegnerschaft findet sich im Christentum, wo einander Gott und Teufel gegenüberstehen, und im Islam, wo Allah in Iblis den Gegenspieler findet, den er nicht überwinden kann. Zwar mag in allen diesen Religionen behauptet werden, dass der Widersacher Gottes gleichsam nur von dessen Gnade lebt und am Ende der Zeiten endgültig niedergeworfen werden wird, so ist es doch eine unleugbare Tatsache, dass das Übel und Leid in der Welt offensichtlich ist und der dauernden Erklärung seines Vorhandenseins angesichts eines gütigen Gottes bedarf, während der endgültige Sieg Gottes lediglich eine Zukunftshoffnung darstellt. Von dieser Warte aus betrachtet, sind alle Eingottreligionen im Grunde Zweigottreligionen.

Als Gegenbild zu dem guten Gott und als Verkörperung der von den Religionen verpönten Wesenszüge des Menschen kann man an der Gestalt des Teufels die folgenden Eigenschaften ausmachen:57

Der Teufel ist der Repräsentant der Rebellion und des Machtwillens. Er hat von Anfang an gegen Gott rebelliert und wurde von diesem in die Unterwelt verstoßen, von wo aus er weiterhin versucht, die göttlichen Pläne zu durchkreuzen. So verführt er die ersten Menschen, und seither sind alle Menschen, die sich gegen die bestehenden Verhältnisse auflehnen, verdächtig, mit ihm im Bunde zu stehen. Der Teufel kann somit durchaus als Vorkämpfer der menschlichen Autonomie gegenüber der Unterwerfung des Menschen unter Herrschafts- und Machtinteressen gelten.

Der Teufel ist der Repräsentant der Intelligenz.58 Er verkörpert Klugheit, Vernunft, List und Verschlagenheit und lehnt jede blinde Gläubigkeit ab. Es ist nur folgerichtig, dass die Priester aller Religionen in der Wissenschaft und im Erkenntnisdrang Werke und Wirkungen des Teufels erkennen und Wissenschafter als Teufelssöhne und Zauberer bei den Menschen in Misskredit zu bringen versuchten und teilweise immer noch versuchen.

Der Teufel ist der Repräsentant der Sexualität. Häufig wird der Teufel auch mit wüsten und perversen Orgien seiner Anhängerinnen und Anhänger in Verbindung gebracht, bei denen er im Mittelpunkt steht. Vor allem das leib- und lustfeindliche Christentum hob diese Züge des Teufels besonders hervor.

Der Teufel ist der Repräsentant des Ekels. Oft wird bei Beschreibungen des Teufels hervorgehoben, dass seine Welt ein Bereich des Schmutzes, des Gestanks und des Ungeziefers sei. Wo immer er erscheint, umweht ihn der Geruch nach Kot und Schwefel. Die Hölle ist nicht nur ein Ort der Quälerei, sondern auch eine riesige, stinkende Kloake, in der die gemarterten Seelen im Dreck ersticken. Die Hölle und der Teufel werden auf diese Weise zum grellen Gegenbild des Lichtes und der Reinheit des Himmels und Gottes.

Der Teufel ist aber auch Ausdruck der Paranoia, in die die Menschen von den monotheistischen Religionen getrieben werden. Diese Paranoia, dieser Verfolgungswahn ist eine treibende Kraft dafür, dass überall die Machenschaften des Satans gewittert werden, die auszurotten ein verdienstvolles Werk ist, um die Liebe des gestrengen Königs im Himmel zu gewinnen. Angefeuert von den Ausrottungsfantasien gegenüber den Feinden Jahwes im Alten Testament, die auch Eingang in das Neue Testament und den Koran gefunden haben, ergingen und ergehen sich Juden, Christen, Muslime und Fundamentalisten jeglicher Art in Pogromen, Kreuzzügen, Heiligen Kriegen, Terroranschlägen und Todesdrohungen.

Wenn vorhin davon die Rede war, dass die Aufklärung mit ihrer Kritik an den religiösen Dogmen wesentlichen Anteil am Tod Gottes hat, so gilt dies auch für den Teufel. Auch er stirbt, aber er stirbt auf eine andere Weise. Seit Beginn des vorigen Jahrhunderts gewinnt der Teufel in der Literatur zunehmend angenehmere Züge. Er

 



56 „Das heißt, daß je nach den Umständen Gefühle der Liebe und ebenso intensive Gefühle des Hasses miteinander abwechseln. [...] Diese [...] Ambivalenz ist normalerweise in gewissem Umfang das ganze Leben hindurch vorhanden, aber für gewöhnlich ist sie in der späteren Kindheit wesentlich weniger stark ausgeprägt [...], und in der Adoleszenz und im Leben des Erwachsenen ist sie noch schwächer. Es ist zuzugeben, daß das Nachlassen der Ambivalenz oft mehr scheinbar als wirklich ist. Die bewußten Gefühle gegenüber dem Objekt spiegeln oft nur die eine Hälfte der Ambivalenz wider, während die andere Hälfte im Unbewußten gehalten wird, trotzdem aber auf das psychische Leben des Betreffenden eine starke Wirkung ausübt. [Charles Brenner: Grundzüge der Psychoanalyse. (An Elementary Textbook of Psychoanalysis, 1972). Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag 201999, S. 99.]
57 Die diesbezüglichen Ausführungen folgen Josef Rattner: Tiefenpsychologie und Religion. Ismaning: Hueber 1987. S. 202-204.
58 Es ist bezeichnend, dass ein Name des Teufels in der christlichen Religion Luzifer lautet, abgeleitet vom lateinischen „lucifer“ – Lichtträger.

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